Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
den Bann zu lösen und die, die sich liebten, zu vereinen. Sie tat es mit der heitersten, anmutigsten Art.
Der junge Prinz, auf seiner Reise nach Frankreich, kam durch Hannover und hatte eine Unterredung mit dem Kurfürsten, dem er sich vorstellte, und der, von seinen Absichten in Kenntnis gesetzt, ihn zu seiner Nichte schickte.
Die Prinzessin empfing ihren Bewerber im Garten. Sie gingen auf und ab, anfangs stumm und beide verlegen. Keines konnte Worte finden. Der Prinz seufzte, und Charlotte sah ihn teilnehmend und auffordernd von der Seite an. Seine dunkeln Locken hingen ihm halb über die Stirn, das schöne Auge war mit Tränen gefüllt.
»Was ist Ihnen, mein Herr?« fragte Charlotte, »weshalb weinen Sie?«
»O, meine teure Prinzessin, wenn ich Ihnen das sagen dürfte!«
»Weshalb nicht? Reden Sie, mein Herr! Durch gegenseitige Aufrichtigkeit und Offenheit gewinnt man viel im Leben.«
»Das ist wahr!« entgegnete er. »Und ich will es wagen zu sprechen, wenn ich auch Gefahr laufe, Ihren Zorn zu erregen.«
»Den erregen Sie nicht. Da sorgen Sie nicht. Ich kann mich über nichts ärgern, was ich nicht selbst verschuldet habe. Nur die eigenen Fehler sind es, die unsern gerechten Zorn erregen.«
»Alsdann fasse ich Mut; denn das, was ich Ihnen zu klagen habe, hängt von keinem von uns beiden ab, sondern ist lediglich ein Befehl anderer.« Hierbei sah er starr zu Boden, als suchte er da den Mut, so fortzufahren, wie er angefangen.
»Sie meinen unsere Heirat?« fragte die Prinzessin.
Der Prinz neigte leise bejahend das Haupt, schwieg aber fortwährend.
»Sie lieben bereits?« fragte die Prinzessin ihn weiter.
Der Prinz sah sie forschend an, schwieg jedoch hartnäckig.
»Ich weiß es, Sie lieben eine andere! Sprechen Sie; was soll daraus werden, wenn wir beide schweigen? Sie lieben und getrauen sich nicht, den Gegenstand Ihrer Neigung mir zu nennen, weil Sie fürchten, ich werde auf dem von Ihren Eltern mir gemachten Antrag bestehen,« bemerkte Charlotte; »aber vernehmen Sie mich! Ich bin so wenig mit dem Willen Ihrer Eltern einverstanden, daß ich Ihnen selbst erkläre, wie ich Sie willig Ihrer gezwungenen Zusage entbinde. Es wird für uns beide gut sein, ich behalte meine Freiheit und Sie Ihre heimliche Geliebte.«
Der Prinz küßte ihr feurig die Hand. »Gott vergelte Ihnen Ihren heldenmütigen Entschluß,« rief er höchst freudig. Jetzt berichtete er seiner Freundin, wie er die Prinzessin von diesem Augenblick nannte, sein Verhältnis zu der Württembergerin und erging sich in der Beschreibung ihrer Reize so ausführlich, daß die Prinzessin ihn mit Lachen darauf aufmerksam machte, daß er das, was er sagte, seiner ehemaligen Braut erzähle. Charlotte übernahm es, die Sache ihren Eltern auseinanderzusetzen, und der Prinz von Kurland reiste ab. Die Stunde Gespräch hatte zwei Glückliche gemacht. Charlotte lief sogleich zu ihrer lieben › ma tante‹ und berichtete ihr den Ausgang der Unterhandlung. Sophie lobte sie wegen ihres Freimuts, fügte indes kopfschüttelnd hinzu: »Ich weiß nicht, liebes Kind, wie wir dich werden unter die Haube bringen. Du bist glatt wie ein Aal, wenn es darauf ankommt, der Ehe zu entschlüpfen; und dennoch mußt du dran!« –
Der zweite Bewerber war ein Markgraf von Durlach, den ihr Bruder ihr ausgesucht hatte, der jedoch eine Eigenschaft an sich hatte, die ihn sogleich, ohne alle weitere Erforschung und Untersuchung für Charlotte unerträglich machte; er war nämlich ein Zierbengel von der abgeschmacktesten Art. Das derbe, natürliche Mädchen sollte mit einem unwissenden Stutzer durchs Leben gehen? Welche Zumutung! Das erste Zusammentreffen war entscheidend. Der Prinz war wie ein Papagei in alle Farben gekleidet, sein Gespräch war ebenfalls der Ausdrucksweise dieses Vogels abgeborgt und enthielt immer dieselben Worte, die er bald ernsthaft, bald lachend immer wieder anbrachte. Als er fort war, übernahm sein Leibarzt die Verhandlung und erklärte, daß der Prinz eigentlich auf den Wunsch seines Vaters eine Prinzessin von Holstein heiraten solle, daß aber seine Neigung sich für Charlotte entschieden hätte. Diese ergriff die Gelegenheit und schrieb an den Prinzen, indem sie ihn aufforderte, nur ja nicht seinem Vater ungehorsam zu sein. Er möchte die ihm bestimmte Braut heiraten, sie würde sich mit dem Gedanken trösten, ihn glücklich zu wissen.
So war auch dieser Angriff abgewendet. Charlotte machte ihrem Bruder Karl bemerkbar, wie sehr verdienstvoll für seinen Freund es sei, sich in die Wünsche seines Vaters zu fügen, und wie nichts den Kindern mehr Segen brächte, als gehorsam gegen ihre Eltern zu sein.
»Jetzt bin ich zwei Bewerber los!« sagte sie zu Frau Uffeln, »ich will nun sehen, ob sich ein dritter meldet, oder ob man mich meine Wege gehen läßt.«
Es meldete sich aber der dritte, und dieser mußte genommen werden.
8.
Heimkehr nach Heidelberg
Charlotte war jetzt neunzehn Jahre, als sie ihre väterliche Burg wiedersah. Vieles fand sie darin verändert. Der Vater lebte von ihrer Mutter gänzlich getrennt, statt der Gemahlin herrschte die Geliebte, die sanfte, anmutige Degenfeld. Sie war unterdessen Mutter mehrerer Kinder geworden, als Charlotte einzog und sogleich eine herzliche Freundschaft mit der Degenfeld schloß. Der älteste Sohn, dem der Vater den Titel Raugraf beigab, war nur wenige Jahre jünger als die Prinzessin, ein schlanker, schöner junger Mann, der zu Charlotten die Neigung eines Bruders faßte, was ihm die Prinzessin erwiderte, wodurch sie sich den Dank ihres Vaters verdiente, der diese Zuneigung als eine ihm erwiesene Hingebung betrachtete.
Aus Hannover nahm Charlotte die fast mütterliche Zuneigung ihrer lieben Tante mit, die nicht leben zu können versicherte ohne ihr geliebtes Rauschen-Platten-Knechtchen. Sie mußte ihr versprechen, ihr regelmäßig zu schreiben, und nichts hielt Charlotte getreulicher als das Versprechen, das sie hier gab. Auch von Frau von Hörling, die in Hannover verheiratet zurückblieb, wurde auf das zärtlichste Abschied genommen.
Welche glücklichen Tage verlebte sie in Heidelberg! Wie entzückten sie die ganze Schönheit und der Reichtum der Gegend, mit welchen ganz anderen Augen sah sie sich in jedem reizenden Winkelchen des Schloßgartens um, und wie brünstig waren die Bitten, die sie zum Himmel schickte, hier unvermählt leben und sterben zu dürfen! Sie wünschte nichts sehnlicher, als dem Vater in seinem jetzigen Glück als liebende Tochter zur Seite zu stehen, die Hilfeleistungen im Innern des Hauswesens, wenn die junge Mutter bettlägerig war, zu übernehmen. Abends, wenn die Geschäfte des Tages abgemacht waren, saß sie an der Wiege des jüngsten Kindes und erzählte den kleinen Geschwistern Märchen und Geschichtchen, die sie selbst erfunden hatte. Den Tag über ergötzte sie sich mit Ausflügen in die Umgegend, wo sie bald ihr Halbbruder, bald der Jägermeister ihres Vaters begleitete. Die Ausflüge gingen oft sehr weit, und wenn es irgend möglich war, so wurde Schwetzingen besucht und die dortige, weitläufige Fasanerie betrachtet.
Mehrmals im Jahre machte die Prinzessin einen Besuch bei ihrer Mutter in Kassel, die sich, je mehr die Zahl der Jahre zunahm, immer friedfertiger gegen den Urheber ihres abgesonderten und getrennten Lebens bewies. Charlotte arbeitete daran, diese gute Stimmung der Kurfürstin zu benutzen, um eine Versöhnung anzubahnen, die aber doch nicht zustande kam. Die Kurfürstin verlangte, daß Luise von Degenfeld das Schloß zu Heidelberg räumen sollte, und dazu wollte diese sich wohl, nicht aber der Kurfürst verstehen. So blieben die Sachen beim alten.
In ihren neuen Gemächern eingerichtet und unter ihren Sachen Ordnung bringend, entdeckte Charlotte das kleine, goldene Heiligenbild, das ihr vor vielen Jahren der junge Mann gegeben hatte, der aus Frankreich kam. Sie nahm es, betrachtete es und entdeckte den Namen des Mannes auf der Rückseite der kleinen Figur. »Marquis Hippolite von Rohan« stand darauf. »Werde ich diesen Mann wohl jemals wiedersehen?« rief sie bei sich und schob das Bild unter ein Päckchen Briefe, die sie von ihrer Mutter hatte.
9.
Die Herberge zu den drei brennenden Herzen