Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


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und klangvoll wie die ihrer Meisterin; dennoch brachte sie größere Wirkung hervor. Der Kurfürst hörte so gern diese Stimme. Er sah so gern die Züge dieses Antlitzes, das sanfte Schönheit mit dem Stempel ihrer eigentümlichsten Reize versehen hatte.

      »Ach!« rief einst der Kurfürst im halben Traume, indem er die Arme in die Luft nach einem Gegenstand ausbreitete, der flüchtig nach oben zu verschwinden schien: »Warum sendet mir der Himmel diesen Engel, dessen Leitung ich nicht folgen darf?«

      Die Kurfürstin saß am Lager und hörte diese Worte. Sie drangen tief in ihr Inneres. Sie wußte es nun, sie war ihrem Gemahl nicht mehr das, was sie ihm gewesen, was sie ihm bis an den Tod zu sein hoffte. Sie antwortete nichts; leise schlich sie sich aus dem Zimmer; und in dem ihrigen angelangt, fühlte sie brennende Tränen ihr Auge netzen und ein herbes Weh ihr Inneres zerreißen. Hin war ihr Glück! Hin ihre Zufriedenheit und Ruhe!

      Ein verzeihliches Gefühl des beleidigten, weiblichen Stolzes trieb sie an, diejenige zu quälen, von der ihre eigene Qual ihren Anfang nahm. Sie behandelte das Fräulein mit rücksichtsloser Strenge, sie neckte sie mit kaltem Hohn, sie ließ sie auf alle Weise ihre Überlegenheit fühlen. Luise von Degenfeld, weit entfernt, hierüber beim Kurfürsten Klage zu führen, verdoppelte ihren Eifer, der Gebieterin zu dienen, ohne doch jemals hoffen zu können, es ihr zu Willen zu machen. Dieser schlecht versteckte Zwist konnte nicht verfehlen, auf beiden Seiten Parteigänger zu schaffen. Auf die Seite der Kurfürstin trat ihre Mutter, eine eitle, ränkevolle Frau, die ihre Zeit damit hinbrachte, am Hofe ihrer Tochter Mißvergnügen und Streitigkeiten zu veranlassen, indem sie behauptete, Friede und Eintracht unter die Vermählten zu bringen. Auf des armen Hoffräuleins Seite trat die Fürstin von Wied, die das Degenfeldsche Haus kannte, und deren Alter geeignet war, die Versuche zur Sühne, die sie anstellte, zu entschuldigen, indem Frau von Degenfeld, Luisens Mutter, die Jugendfreundin der Fürstin gewesen war. Sie erschien am Hofe zu Heidelberg mit der ausgesprochenen Absicht, Luise von dort zu entfernen, um sie mit sich zu nehmen, wo sie mit einer ihrer Töchter zusammen die Stütze und Freude ihres Alters ausmachen sollte. Diesem Plane widersetzte sich jetzt der Kurfürst, der Luise nicht aus seiner Nähe verlieren wollte.

      So standen die Angelegenheiten, als der Zeitpunkt erschien, von dem soeben die Rede gewesen.

      Die Fürstin Sophie von Hessen befand sich, als der unselige Streit durch die Gewalttätigkeit des Kurfürsten zu einer nicht wieder zu beseitigenden Aufregung angewachsen war, gerade in Wien, wo sie die Geschäfte des Landgrafen von Hessen bei den Ministern leitete. Die Fürstin von Wied lag krank in Heidelberg, und zu ihr brachte Karl Ludwig seine Geliebte, als er sie im eigenen Hause nicht mehr sicher wähnte.

      Die Kurfürstin hatte sich nämlich durch ihren jähzornigen Charakter zu einer auffallenden Tat verleiten lassen. Nachdem sie ein paar Tage in finsterm Groll sich in ihre Gemächer eingeschlossen, wartete sie nur die Entfernung ihres Gemahls ab, um mit ihrem Plane hervorzutreten. Mit einer Pistole bewaffnet, nachdem sie ihre Umgebung unter irgendeinem Vorwande entfernt hatte, legte sie sich in der Fensterecke ihres Gemachs auf die Lauer, um das gegenüberliegende Fenster, wo sie wußte, daß Luise von Degenfeld ihren Platz zu nehmen gewohnt war, im Auge zu behalten. Lange lauerte sie, wie die blutdürstige Tigerkatze, ehe es ihr gelang, ihr Opfer sicher zu fassen. Kaum hatte das bleiche Antlitz ihrer Feindin von der gegenüberliegenden Treppenstufe sich ihr gezeigt, als sie die Pistole abschoß und in demselben Augenblick einen durchdringenden Schrei vernahm, der durch die weiten Hallen des Palastes bis zu ihr drang.

      Einen Moment später, und sie warf schaudernd die Todeswaffe von sich.

      Mit verhülltem Gesicht stand sie in der Mitte ihres Zimmers, und die Schande der Tat, die sie soeben vollbracht, legte sich wie dunkles Gewölk um ihre Seele.

      »Mörderin!« hauchte sie vor sich hin. »Was hast du getan? Wohin riß dich die verzweifelte Wut! O, wäre ich doch nie geboren worden!«

      Sie tat einen Schritt vorwärts, sie blieb stehen – sie lauschte.

      Ein dumpfer Lärm tönte von unten herauf. Sie vernahm Männerstimmen, unter diesen die des Kurfürsten.

      Es war unmöglich, sich zu verbergen; auch dachte die Fürstin nicht daran. Sie blieb stehen, mehr einer Bildsäule gleich als einem lebenden Wesen, als sie ihren Gemahl bei sich eintreten sah.

      Er blickte sie an, er sah das abgebrannte Pistol zu ihren Füßen; er sagte nichts, aber seine Blicke sprachen.

      »Dies für den Schlag!« sagte sie mit lautloser Stimme.

      »Elende!« rief der Kurfürst. »Wir können nicht mehr unter einem Dache wohnen. Morgen verläßt du dieses Haus. Danke es dem gütigen Geschick, das deinen Mordpfeil am Fensterkreuze zersplitterte, sonst solltest du ihren Tod mit deinem Leben bezahlen!«

      »Tue, wie du willst und wie du kannst!« sagte leise die beleidigte Frau. »Meine Tat und mein Leben stehen beide vor Gott. Nur unendlicher Jammer hat mich handeln lassen, wie ich gehandelt habe.«

      Sie glitt in das Nebengemach, das sie hinter sich abschloß.

      Das ganze Schloß war von Leuten angefüllt. Man mußte Wachen ausstellen, um ferneren Andrang zu hindern. Die arme Luise lag noch immer in Ohnmacht. Die auf sie gerichtete Kugel hatte das starke, steinerne Kreuz, das das Fenster einschloß, so hart getroffen, daß es abbröckelte und eine tiefe Spur hinterließ.

      Als Luise von Degenfeld wieder zu sich kam, befand sie sich in der Stadt, in der Wohnung der Fürstin von Wied. Der Kurfürst sah seine Gemahlin nicht wieder. Die Mutter kam aus Wien und nahm sie mit sich nach Kassel. Als sie fort war, nahm Fräulein von Degenfeld mit dem Kurfürsten das Schloß in Besitz. Er erhob sie zur Raugräfin und lebte mit ihr, wie man sagt, heimlich vermählt.

      Der Sohn des Kurfürsten kam auf ein paar Jahre zu einem Verwandten des Fürsten nach Neuburg, die Tochter reiste mit Madame Joli nach Hannover, wo die Kurfürstin Sophie, die Schwester Karl Ludwigs, schon bereit war, sie zu empfangen.

      4.

       Das siebzehnjährige Mädchen

       Inhaltsverzeichnis

      Wir übergehen in unserer Erzählung den Zeitraum von dreizehn Jahren, in denen nichts für uns Wichtiges vorfiel und haben jetzt unsere junge Prinzessin vor uns, am Hofe Ernst Augusts, des Herzogs und spätern Kurfürsten von Hannover.

      Die Zeugnisse der Geschichte geben der Tante Elisabeth Charlottes, der Kurfürstin Sophie, einen bedeutenden Rang. Sie war ebenso vorzüglich, was den Geist betrifft, wie vorsorgend und zärtlich, was ihre Pflichten als Gattin und Mutter angeht. Ernst August war einer der Fürsten, die höher zu stehen verdienten, als das Schicksal sie gestellt. Anfangs Bischof von Osnabrück, gelangte er später zur Herzogswürde in Hannover, und alsdann war die Klugheit seiner Gemahlin, noch mehr als seine eigene, Ursache seines Emporsteigens zum Besitze des Kurhutes, der ihm vom Hofe zu Wien verliehen wurde, nicht ohne Widerstreit der anderen Kurfürsten, in deren Reihe er bald trat. Er war klug, vorsichtig, zurückhaltend und hörte auf guten Rat. Sein älterer Bruder, der in Celle regierte, hatte diese Eigenschaften nicht, oder nur in geringem Grade, und deshalb war er zurückgeblieben, während Ernst August vorwärtsschritt.

      Drei Söhne hatte er, von denen Georg, der älteste, später König von England, der Gegenstand der besonderen Liebe der Mutter, einen finsteren und kalten Charakter zeigte. Ein Plan des Vaters, durch welchen er danach trachtete, die beiden Häuser Celle und Hannover zu vereinigen, war es, der die Heirat des Kurprinzen mit seiner Cousine, der Tochter des Herzogs von Celle, zuwege brachte. Diese Prinzessin, damals noch sehr jung, war, was ihre Geburt betrifft, nicht ebenbürtig, sie war es nur geworden, indem ihre Mutter, eine Französin von geringer Herkunft, in den Fürstenstand erhoben worden war. Sophie Dorothee zeigte sich durch die Einredungen ihrer Eltern zu dieser Ehe willig und erschien mit diesen, als Georgs zukünftige Gemahlin, am Hofe zu Hannover gerade zu der Zeit, wo unsere pfälzische Prinzessin ihr siebzehntes Jahr erreicht hatte. Man kann sich denken, welch ein Gegenstand der Neugierde und des weiblichen Interesses sie dem jungen Mädchen wurde, das damit ein neues Mitglied