Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
katholischer Priester die Ehe einsegnete, die weiter niemand als nur mir bekannt wurde. Ich sorgte für die Neuvermählten, und als das Geschick den Bruder mir nahm, erstreckte ich meine Sorge auch auf die junge Witwe, die mit einem Knaben niedergekommen war. Es huben damals die unseligen Unruhen in den vereinigten Provinzen zu wüten an, die die Länder verwüsteten und die Hälfte der Einwohner zwangen auszuwandern, um in den Nachbarstaaten vor des Krieges Flamme Schutz zu suchen. Die arme Mechthild Sparre, dies war der Name der Witwe meines Bruders, kam zu mir und kündigte mir an, daß sie in Geleitschaft eines Verwandten mütterlicherseits, nach Frankreich auszuwandern beabsichtige. Sie nahm dorthin ihren Knaben mit. Ich konnte nichts tun; es wäre töricht gewesen, mich ihrem Glück zu widersetzen, ich gab ihr also meine besten Wünsche, das Wenige, was ich an Kostbarkeiten besaß, mit, und so sind sie und ihr Kind meinen Blicken entschwunden. Als ich später mein glückliches Ehebündnis schloß, unterließ ich nicht, mich nach Mechthild zu erkundigen, doch stets ohne den geringsten Erfolg. Sie war und blieb verschwunden. Meinem Bruder in der Pfalz, deinem Vater, habe ich die Geschichte mitgeteilt, und sollte es ihm gelingen, des Knaben Aufenthalt zu erkundschaften, so wird er an ihm handeln, wie es einem Oheim gegen seines Bruders Kind geziemt.«
Charlotte stand lange da, mißmutig sinnend, und als die Tante zu sprechen aufgehört, sagte sie: »Liebe Tante, da siehst du das Unglück, das sich stets an diejenigen heftet, die ihrem Stande entgegen Bündnisse schließen. Nichts kann ich weniger leiden als solche Torheit. Ist einer ein Fürst, so soll er stets und immerdar fürstlich handeln; ein niederes Mädchen aber durch sein fürstliches Wort zu betören, sie als seine Gemahlin heimzuführen, ist gegen Gottes und der Menschen Gesetze freventlich gehandelt und bringt immerdar Schande und Unglück. Das ist meine Meinung und meine Ansicht von der Sache.«
5.
Liselotte sieht sich in der Welt um
Die Grundsätze, die sich in der aufkeimenden Jungfrau entwickelten, ihr fester, unbeugsamer Sinn, ihre Offenheit und Wahrheitsliebe wurden bald ihrer Umgebung bekannt, die sie schätzte und liebte oder, wie es der Charakter der Beobachtenden mit sich brachte, tadelte und floh. Immer hatte sie aber ihre Tante, die Kurfürstin, zur Freundin.
Die junge Prinzessin aus Celle, wie sie sich denn bei allen einzuschmeicheln suchte, gab auch unserer Charlotte die freundlichsten Zeichen ihres Wohlwollens. Charlotte betrachtete sie mit mißtrauischen Blicken: sie traute ihr nicht. Des Kurprinzen stille und feste Gradheit, sein an harten Stolz grenzender Charakter machten auf Charlotte einen günstigen Eindruck. Den Stolz hielt sie für männlich, die Schweigsamkeit für Charakter, und so war Vetter Georg ihr lieb und teuer. Sie begleitete ihn auf der Jagd, sie machte kleine Reisen in seiner Gesellschaft, und der finster blickende Jüngling hatte für sie immer ein gefälliges Wort, eine freundliche Haltung. Einstmals fragte sie ihn: »Liebst du deine Cousine, Georg?«
Der Prinz, so rasch und so bestimmt gefragt, erwiderte einlenkend: »Würdest du denn Sophie Dorothea nicht lieben, wenn sie deine Frau wäre?«
»Das ist unmöglich,« rief Charlotte kurz. »Wenn ich ein Mann wäre, könnte ich nie der Tochter einer Putzmacherin meine Hand reichen.«
»Aber, Charlotte – ist denn Sophie Dorothea die Tochter einer Putzmacherin?«
»Versteht sich. Ob die französische Mamsell später Herzogin wurde, tut nichts zur Sache, sie bleibt, was sie war. Aber artig und gefällig ist sie, das gebe ich zu.«
»Ich hoffe,« sagte der Prinz nach einer Pause, »daß, wenn ich sie einst heirate, du sie als die Mutter meiner Kinder achten und schätzen lernen wirst.«
»Das ist wohl möglich!« erwiderte das junge Mädchen mit Stolz; »indessen das beweist nichts.« Hiermit war das Gespräch abgebrochen.
Es kostete wenig Mühe für das lebhafte und aufmerksame Auge der Prinzessin, zu erforschen, daß der Kurfürst, ihr Onkel, eine Geliebte hatte, die von der Kurfürstin geduldet wurde. Gegen diese war sie artig, freundlich, zuvorkommend, so daß das stolze Gemüt der Gräfin Platen dadurch für sie eingenommen wurde. Eine Geliebte durfte ein König, ein Prinz haben; dies war keine Gemahlin, dadurch wurden die Rechte der Kinder nicht beeinträchtigt, kein falsches und unechtes Blut in die Reihenfolge der Nachkommen gebracht.
Mit ihren jüngeren Vettern stand sie auf gutem, kameradschaftlichem Fuße. Sie ritt umher mit dem einen, sie exerzierte die Soldaten in Männerkleidung mit dem anderen, ja sie führte manchen Spaß aus in einem Kostüm, das nicht das ihrige war. Ein junges Mädchen in einer Mühle, wohin sie öfters mit dem Prinzen Max ritt, fand den jungen Leutnant im Gefolge des Prinzen ganz nach ihrem Geschmack. Sie machte ihm in bester Form eine Liebeserklärung, und der junge Leutnant erwiderte diese mit den üblichen Geschenken und kleinen Gunstbezeigungen. Der kleine Handel ging ein paar Sommermonate hindurch seinen Gang, bis des Mädchens Neigung so heftig wurde, daß Charlotte, in die Enge gebracht, sich ihr entdeckte. Die beiden Mädchen wurden nun Freundinnen. Charlotte brachte ihre ehemalige Liebschaft an den Hof, und sie wußte sich so wohl zu betragen, daß der Kurfürst und die Kurfürstin sie beschenkten und ihr Gunst bewiesen. Sie hieß immer des Leutnants Geliebte.
Auch nach Celle ging sie hinüber, um den dortigen Onkel, den sie so nannte, weil es ihre Tante verlangte, zu begrüßen; aber ein Zusammentreffen mit der Gemahlin desselben hatte eine kalte, förmliche Begrüßung zur Folge, kein »freundliches Kompliment«, wie die hannoveranischen Herrschaften gewünscht hatten. Nach Hause gekommen, erging sich Charlotte in den tollsten Späßen über die französische Mamsell, wie sie die Herzogin nannte. Dies mußte heimlich geschehen, um die Tochter nicht zu beleidigen. »Du bist und bleibst doch das ungezogene Rauschenplattenknechtchen!« rief Sophie; »es ist nicht anders, und niemand wird es anders machen.«
»Ja, ja, ma tante!« rief Charlotte, indem sie die Hände der verehrten Frau küßte; »ich bin nur glücklich, wenn du das arme Rauschenplattenknechtchen nicht von dir jagst! Was die übrige Welt tut, kümmert mich nicht.«
Mit der Frau von Hörling setzte sie sich bald auf den besten Fuß. Sie war ihr liebes Mütterchen, und sie nannte sie stets nach dem früheren Namen derselben, Frau Uffeln. Frau Uffeln konnte ihr ungescheut manchen Eigensinn, manche ungerechte Ansicht und Meinung aus dem Sinn reden.
Auch nach Berlin reiste Charlotte, begleitet von einem ihrer Vettern, um Sophiens Tochter, die Kurfürstin, die Gemahlin Friedrichs, des nachmaligen ersten Königs von Preußen, zu begrüßen. Der Hof von Berlin war voll Glanz und Etikette. Friedrich liebte beides und wußte sich in seiner Stellung als Kurfürst ganz gut zu benehmen. Diese Reise machte Leibniz mit, der der Kurfürstin gelehrte Mitteilungen und Aufträge von der Mutter brachte, beide eigens bestimmt für die Tochter, die gleiches Interesse und gleiche Studien mit der Mutter hatte. Einen Abend in Charlottenburg brachte die junge Prinzessin mit ihrer Cousine und inmitten der gelehrten Freunde zu, den sie später ihrer Tante auf höchst ergötzliche Weise schilderte. Sie ahmte die Berliner Akademiker nach, die nicht wüßten, ob sie sich setzen dürften, und wenn sie säßen, ob und wie lange sie ihren Platz behaupten sollten. Dann das Zuwinken und Zuflüstern der gelehrten Herren untereinander und zuletzt ihr lautes Reden und Absprechen, als sie einige Gläser Glühwein getrunken hatten. Oft erschien es ihr, als habe die Kurfürstin ihre ganze gelehrte Umgebung zum besten, so laut scherzte sie mit ihnen, erwiderte ihre Einfälle lachend, die oft nur die Unverschämtheit, nicht den Witz und die Feinheit für sich hatten. Als die Gesellschaft in den Garten hinaustrat, um sich spazierengehend zu erfreuen, gab der Zufall Charlotte einen alten Pedanten zum Begleiter, der sich bemühte, ihr philosophisch zu erklären, auf welche Weise man ein Garnknäuel zustande brächte, wobei er sehr sinnreich die verschieden laufenden Fäden des Knäuels mit den disharmonierenden philosophischen Schulen und Lehren verglich, und wie dann doch am Ende aus einem so verworrenen Gewebe ein geordnetes, festes Ganzes herauskäme. Dies belustigte die Zuhörerin dermaßen, daß sie versprach, bei dem nächsten Knäuel, den sie machen würde, des Herrn Akademikers zu gedenken und sich dabei in der Erinnerung seiner Belehrung zu erfreuen. Der gelehrte Mann dankte ihr freundlich und bat sich zur Anerkennung seiner Bemühung dieses Knäuel als Geschenk aus.