Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
rief der junge Blondkopf, »du übersetzest einen schönen, griechischen Vers in dein plumpes Patois. Ich glaube, da wäre ich noch eher imstande, euch die Madrilena vorzutanzen.« –
»Ja – ja! Du kannst es, du allein!« riefen jetzt alle im Chor. »Tanze, kleiner Eros, tanze, du hübscher Bacchus – tanze uns die Madrilena. Dein Körper hat die Biegsamkeit, die dazu erforderlich ist, ein verwildertes, kleines Weib darzustellen, wie sie die weißen Arme in die Höhe wirft und den jungen Busen, wie zwei Büschel weißer Rosen, gen Himmel glänzen läßt. Tanze kleiner Eros, tanze hübscher Bacchus!«
Und der Student warf sein Kleid ab, knüpfte sich den Hemdkragen los, machte einen Teil der Brust und den einen Arm frei, schlang sich ein rotes Tuch um die Hüfte, das leicht und flatternd bis auf die Knie niederfiel, und so gerüstet, trat er vor und in den Kreis hinein, der sich um die eine von der Decke herabhängende Lampe gebildet hatte. Ein Trio von hellen Stimmen gab die Takte des Tanzes an, und das Zusammenklappen der Zinndeckel der Kannen und Gläser bildete den Rhythmus dieser ausgelassenen Ballettmusik.
Immer wilder wurde der Tanz, in immer mutwilligeren Stellungen schwang sich der junge Tänzer umher. Seine blonden Locken flogen, seine weiße Brust atmete voll, seine Wangen glühten wie in Purpur getaucht, die weißen Zähne und die dunkeln Augen blitzten.
»Dieser junge Deutsche hat den Teufel im Leibe!« murmelte Meister Bertholet.
Ein großer, finsterer Mann stand neben ihm, der während des Tanzes unbemerkt in die Schenke getreten war.
Dieser Gast forderte einen Becher Wein und setzte sich in eine Ecke der Halle.
Jetzt trat der Tänzer erschöpft beiseite oder er fiel vielmehr einem seiner Kameraden in den Schoß.
»Bravo!« rief der ganze Kreis. »Das nennen wir tanzen! Bravo, Bacchus! Recht so, Eros! Hätte die Kleine selbst zugeschaut, sie hätte bekennen müssen, daß sie noch von dir hätte lernen können.«
Der Tänzer streifte wieder sein Gewand über und zog sein kleines, schwarzes Röckchen an, über dessen abgenutzten Sammetkragen er die gleichfalls abgenutzte, weiße Halskrause breitete. Dann ergriff er eine Zither und hub an zu singen.
Der finstere Mann in der Ecke der Halle hatte sich unbemerkt erhoben und lauschte den Tönen des Liedes.
»Was singst du da, Bacchus?« fragte einer der Studenten. »Ist das chinesisch?«
»Es ist ein deutsches Lied!« antwortete der Gefragte.
»Ah – vom Gestade des Eismeeres wahrscheinlich?«
»Wenigstens nicht weit davon,« lachte der junge Wildfang.
»Höre, Bacchus; wir lieben das Brummen der Eisbären nicht, behalte diese musikalische Kostbarkeit für dich.« –
»Es fällt mir auch nur eben zufällig ein. Oder soll ich es keinen Zufall nennen? Wenn ich recht ausgelassen fröhlich bin – dann überkommt es mich plötzlich, und ich muß, ich mag wollen oder nicht, ein paar Strophen jenes alten Liedes singen, das von der fernen – fernen Heimat herüberklingt. In dem Liede fliegen die Schneeflocken und sausen die Stürme.«
»Gut – aber singe uns Lieder, wo Mailüfte wehen und man Küsse rauschen hört.«
»So will ich euch ein Lied singen,« rief der Jüngling, »das ich kürzlich von einem andalusischen Mädchen lernte. Hoffentlich wird euch dabei nicht frieren.«
Der lange, finstere Mann trat wieder in die dunkle Ecke zurück. Während des Singens näherte sich der Knabe der Schenke vorsichtig dem Sänger und flüsterte ihm etwas zu. Der Blondkopf stand auf, gab die Zither seinem Nachbar, der wohl oder übel das Lied fortsetzte, und folgte dem Boten hinaus auf den Flur. Dort stand im Schleier gehüllt eine Frau, die den Jüngling bat, näher heranzutreten.
»Es ist derselbe!« murmelte die Verhüllte, »ich habe mich nicht getäuscht. Messire,« wendete sie sich rasch zu dem jungen Mann, »darf man auf Eure Verschwiegenheit bauen?«
»So gut wie Ihr auf Eure Tugend baut, schöne Dame.«
Die Verhüllte zögerte einen Augenblick, dann sagte sie leise: »Findet Euch um die zwölfte Stunde heute nacht an der St. Magdalenenkirche ein, dort wo die Bildsäule des heiligen Nepomuk steht, Ihr werdet eine vornehme Dame in einer Portechaise vorbeitragen sehen. Sie wird sich herausbeugen und Euch ein Zeichen geben, alsdann folgt ihr. Gibt sie Euch kein Zeichen, so bleibt zurück. Beim Lichte der Fackeln werdet Ihr die Dame deutlich sehen können, und hoffentlich werdet Ihr sie so schön finden, wie Ihr nur irgend wünschen könnt; und es kommt nur auf Euch an, sie ebenso großmütig und verschwenderisch zu finden, als sie schön ist.« –
»Ich komme, Dame.«
»Nun gut. Der heilige Nepomuk beschütze Euch und mich!«
Die Verhüllte war im Dunkel der Nacht verschwunden. Als der Jüngling in die Halle zurückkehrte, glitt mit ihm zusammen die schattenhafte Erscheinung des hagern Schwarzen herein. Er hatte das Gespräch auf dem Flur belauscht.
Unter den Singenden und Trinkenden hatte sich unterdessen ein Streit eigener Art entsponnen. Es kam drauf an zu bestimmen, welchen Wert das Talent, die Schönheit, die körperliche Geschicklichkeit oder die erlangten Kenntnisse, in der gangbaren Münze ausgedrückt, in der Welt hätten. Mit einem Wort, wie teuer jeder Mann sich, als Ware genommen, veranschlage. Diese Untersuchung hatte einen Schein von praktischer Nützlichkeit für sich und war deshalb von dem Präsidenten der lustigen Brüderschaft vorgeschlagen worden, dem gelehrten Paraclet.
»Ich bin unter Brüdern meine fünfhundert Goldstücke wert!« rief Vinzent hochmütig, indem er seinen Kopf zurückwarf und die Miene eines Doktors dreier Fakultäten annahm.
»Und ich!« sagte Robertus, ein schlanker Piemontese – »ich bin unbezahlbar. Wer mich kaufen wollte, müßte die Schätze Golkondas haben, denn ich bin gelehrt, wohl gewachsen, in der Beredsamkeit gut bewandert, ich verstehe mich auf meine Waffe, und obgleich ich kein Händelmacher bin, so geht mir doch jedermann aus dem Wege. Wenn ich mich öffentlich zeige, so findet man meinen Anzug untadelhaft, und wer ein Auge für einen zierlichen Gang hat, entdeckt bald, daß an dem meinigen zwei Reize in gleichem Maße sich ausgebildet finden; die Anmut und die Kraft. Dabei verstehe ich es, ein treuer, aufopfernder Freund zu sein und meine Geliebten, soviel ich deren gehabt habe, sind gut mit mir zufrieden gewesen und – bei dem Barte der heiligen Ursula, sie hatten alle Ursache dazu.«
»Hör' auf!« riefen einige Freunde; »du bist unbezahlbar, damit ist schon alles gesagt. Wahrlich, wenn wir die Prahlhänse unter uns fragen wollten, wir hätten einen übeln Markt, und die Käufer liefen uns schnurstracks davon.«
»Und um eins nicht zu vergessen!« rief Robertus. »Mein Zitherspiel! Freunde, mein Zitherspiel! Ihr wißt wie ich die Saiten zu rühren pflege, wenn –«
»Du deine Kehle gehörig mit Wein ausgespült! Ja, das wissen wir,« riefen die Ungläubigen lachend. »Sei jetzt still; wir bitten darum. Nichts ist einem Manne ungeziemender als maßlose Prahlerei. Nun du, Bacchus – es kommt die Reihe an dich. Wie hoch veranschlagst du deinen hübschen, kleinen Körper, der so biegsam wie eine Weidenrute ist. Was forderst du für deine Stimme, die so gut alte nordische Balladen singt. Sprich – sei nicht blöde. Neben dem Prahler Robertus wird sich deine dreisteste Forderung immer noch wie Bescheidenheit ausnehmen.«
»Ach – was bin ich? Was hab' ich?« sagte der Blondkopf plötzlich niedergeschlagen und die Arme über die Brust gekreuzt. »Ich kam arm hier in dieses Land und in diese Stadt, in der Tausende sich Reichtümer und Ansehen erwerben, Und wenn ich gehe, werde ich arm scheiden, wie ich arm gekommen bin. Für mich blüht kein Glück, Freunde, weder in der Heimat noch in der Fremde. Sicherlich, so wie ihr mich vor euch seht, bin ich nichts wert, nicht mal jenen schäbigen Kupferdreier, den die Bettlerin hingab, um sich dafür ein Kind zu mieten, mit dem auf dem Arme sie das Mitleid der Vorübergehenden in doppeltem Grade zu beanspruchen gedenkt.«
»Oho, Bacchus!« nahm hier der Gelehrte Paraclet das Wort, »du übertreibst es wieder in der Kleinmütigkeit. Was fehlt dir, mein Junge? Du warst