und trotz einiger weitausgedehnter Streifereien nach Norden war auch nicht das geringste Zeichen aufgefunden worden, das andeutete, daß die Kiowas etwa ihre Jagdzüge nach Süden zu ausdehnten.
Die augenblickliche Beunruhigung infolge der Warnung des Händlers war deshalb bald geschwunden.
Kaum hatte sich heute die Sonne über dem Horizont erhoben, als Paul vor die Blockhütte trat und freudig den frischen Morgen begrüßte.
Alsbald gesellte sich Puck zu ihm.
"Hat die Junge Tanne", so hatte der Zwerg den schlanken Knaben getauft, "ausgeschlafen?"
"Ja, Puck", erwiderte Paul freundlich, "ich habe des Schlafes genug und bin bereit, es mit der Steppe aufzunehmen."
"Schläft der alte Mann noch?"
"Nein, der alte Mann schläft nicht mehr, Bursche", ließ sich die Stimme des Trappers vernehmen, und gleich darauf trat er selbst ins Freie. "Bereite Thee, Puck, und wenn ihr heute jagen wollt, müßt ihr allein gehen, ich habe mir gestern, als ich am Ufer des Verdigris herumkletterte, eine Fußsehne etwas gezerrt und will mir ein paar Tage Ruhe gönnen."
Der Verdigris war ein nördlicher Zufluß des Arkansas, der wenige Meilen oberhalb des Shanty seine klaren Fluten zwischen zerrissenen Felsenufern dem Strome zuführte.
"Gut, Oheim", sagte der Zwerg - er nannte den Trapper gewöhnlich so - "bleibe zu Hause, wir wollen nach dem Verdigris reiten, und nach dem Panther umschauen, der dort sein Lager hat, dann uns etwas in der Steppe umsehen und sind zu Abend wieder zurück."
"Reitet, Kinder, und bringt einige Büffelfelle mit; das Jagdergebnis ist nicht günstig bis jetzt. Muß noch ein paar Dutzend Felle haben, ehe ich nach Osten aufbrechen kann."
"Ich will heute die Wolfsfelle mitnehmen, Oheim; Paul will diese Jagd kennen lernen, und wir kommen auch wohl eher zum Schusse."
"Thue es. Mag Gott wissen, ob die Büffel seltener werden, oder ob die roten Teufel da im Norden alles verjagen; der Büffel zieht schlecht in diesem Jahre. Wundere mich auch, daß von Cheyennes nichts zu spüren ist, muß bei denen auch nicht gut mit der Jagd stehen."
Nachdem die drei das Frühstück eingenommen hatten, pfiffen Paul und Puck ihren in der Nähe weidenden Pferden, fütterten sie mit Mais, tränkten sie in dem nahe dem Shanty zu Tage tretenden Quell und sattelten sie. Außer Mundvorrat für den Tag und ihren Büchsen nahmen sie auch noch Bogen und Pfeile mit. Paul hatte sich, nicht ohne Glück, mit dem Bogen versucht. Zwei schön gegerbte Wolfsfelle, in denen die Schädeldecke noch vorhanden war, wurden nicht vergessen und dann galoppierten sie lustig in die Steppe, nach Norden zu, hinein.
Nach einigen in scharfer Gangart zurückgelegten Meilen ließen sie ihre flinken Rosse im Schritt gehen.
Außer flüchtigen Antilopen, Prairiehasen und Hühnern hatten sie kein Wild gesehen.
"Sehnst du dich nicht zurück, Paul, nach deinen Wigwams?" fragte der Zwerg.
"Nicht sehr, Puck, das wilde Treiben hier gefällt mit ganz gut."
"Ja, ich glaube es. Der alte Mann sagt, die Steppe sei schöner als alle eure steinernen Wigwams, die so dicht zusammenstehen sollen wie die Bäume am Arkansas."
"Ja, die Prairie hat ihre großen Reize, man fühlt es von Tag zu Tag mehr, wie groß und erhaben sie ist. Aber sehnst du dich nicht danach, einmal die Ansiedlungen zu sehen?"
Traurig entgegnete Puck: "Nein, Paul. Der alte Mann hatte mich einmal den Arkansas mit hinabgenommen, weil er mich allein zu lassen fürchtete. Als wir zu den Wigwams kamen, lachten die Leute über mich und verspotteten mich, weil ich nicht so gerade gewachsen bin wie sie, und seit der Zeit nahm der Oheim mich nicht mehr mit hinab, wenn er seine Felle verkaufte. Ich gehöre zur Steppe, Paul, und will von den Ansiedlungen und den Städten nichts wissen."
Paul fühlte, wie schmerzlich es dem armen Menschen, den die Natur, was Schönheit anbetraf, so stiefmütterlich behandelt hatte, gewesen sein mußte, den rohen Gesellen, die sich an der Grenze der Wüste herumtrieben, zur Zielscheibe ihres Spottes zu dienen.
Er hatte bald wahrnehmen müssen, daß hier unter einer unschönen Außenseite ein tapferes und edles Herz schlug, wie auch, daß der Zwerg einen scharfen Verstand besaß, wenn auch naturgemäß seine Bildung eine geringe war. Doch hatte der Trapper nicht versäumt, ihm die Welt und ihre Erscheinungen, so weit er konnte, zu erklären, so daß sein geistiger Horizont nicht mit dem der Prairie abschloß.
Mit überraschender Leichtigkeit hatte Puck in dem sich oft wiederholenden Verkehr mit den Cheyennes - der Graue Bär und sein Medizinmann verbrachten oft mehrere Wochen in deren Lagern - so viel von ihrer Sprache gelernt, daß er sich verständlich darin ausdrücken konnte.
Auch einige Lieder, welche ihm der Trapper beigebracht hatte, sang er mit ungewöhnlich wohllautender Stimme und merkwürdigerweise, ohne daß sich dabei die Schwerfälligkeit der Zunge bemerklich machte.
Und oftmals saßen er und Paul an schönen Sommerabenden am stillen Ufer des Arkansas und sangen zur Freude des Trappers zweistimmig ihre schönen Lieder, vor allem das herzige: Home, sweet home (Heimat, süße Heimat), welches Puck sehr liebte.
Paul änderte das Gespräch und fragte: "Du fühlst dich glücklich hier, wie dein Pflegevater?"
"Ja", sagte der Zwerg, und sein Auge leuchtete, "wenn ich ein flinkes Roß zwischen den Knieen habe und die endlose Prairie vor mir, bin ich glücklich wie der Adler der Felsengebirge, der über der Wüste schwebt. Nur wenn der alte Mann fort ist, hinab nach den Ansiedlungen, dann sitze ich traurig am Ufer des Arkansas, bis er wiederkehrt."
"Du hast ihn sehr lieb?"
Puck richtete einen Blick auf Paul, in welchem deutlich zu lesen stand: Das kannst du fragen? "Sieh, Paul", sagte er dann, "du hast Vater und Mutter gehabt und ein Haus, in dem du wohntest. Ich weiß nichts von allem. Seitdem ich denken kann, sah ich den guten Alten vor mir, der mich liebte und pflegte wie ein Panther sein Junges. Ich habe nur die Prairie als Mutter und den Grauen Bären als Vater. Ich weiß nicht genau, was ihr klugen Menschen aus den Ansiedlungen unter Liebe versteht, aber wenn du damit meinst, daß ich mir Hände, Füße, den Kopf abschlagen, das Herz aus der Brust reißen ließe, wenn ich dem Oheim Leid ersparen kann, so habe ich ihn lieb."
Es lag eine solche Innigkeit in dem Tone, als der Zwerg langsam so sprach, daß Paul wohl fühlte, wie tief aus dem Herzen die Worte kamen, mit welcher Hingebung Puck seinem väterlichen Freunde ergeben war.
"Du bist ein guter Mensch, Puck, und hast ein dankbares Herz."
Beide schwiegen hierauf und setzten dann ihre Pferde in Galopp.
Nachdem sie eine große Strecke zurückgelegt hatten, sagte Puck: "Dort ist der Verdigris", und deutete auf eine kaum wahrnehmbare dunkle Linie, welche die Schlucht andeutete, durch welche der Fluß seine Wasser sandte. "Wir wollen absteigen und zum Ufer schleichen, vielleicht, daß wir den Panther zu Gesicht bekommen."
Sie sprangen aus den Sätteln, ließen die gehorsamen Pferde stehen und gingen vorsichtig, die Büchsen in den Händen, nach dem Ufer des Flusses.
In seiner Nähe angekommen, krochen sie durch das Gras, bis sie über den Schluchtrand in das ziemlich tiefe, felsige Bett hinabzuschauen vermochten. Der Verdigris hatte sich hier vor Jahrtausenden seinen Weg durch den steinigen Untergrund der Prairie gebrochen, er lag so tief, daß er nicht eher wahrzunehmen war, bis man am Rande der Schlucht stand, obgleich das Rauschen seiner Fluten sich weithin vernehmbar machte. Die fast ebene Bodengestaltung ließ auch die Schlucht selbst erst in der Nähe erkennen.
Zwischen seltsam gezackten Felsenufern floß das klare Wasser rasch dahin, um sich in einigen Meilen Entfernung mit den gelben, sandigen Fluten des Arkansas zu mischen.
Das an die endlose Ebene gewöhnte Auge wurde durch den Blick in dieses Felsenthal und auf die schäumenden Wellen, die in einer Tiefe von etwa achtzig Fuß dahinrauschten, jäh überrascht. Paul hatte einen lauten Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken können, als Puck ihn vor einigen Wochen, ohne ihn vorbereitet zu haben, über den Schluchtrand schauen ließ.