Ich werde ihn am besten gleich rufen.«
»Nein, nein, er hat genug zu tun. Es überkommt mich einfach manchmal der Schmerz, daß ausgerechnet Marius leiden muß.«
Martha gab ihr die Beruhigungstropfen, die Dr. Norden verordnet hatte. Zu ihrer Beruhigung schlief Mary bald ein. Martha atmete auf. Jede Stunde Schlaf bedeutete für sie Vergessen. Martha wußte, daß sie in all dem Reichtum keine glückliche Frau geworden war. Ihr Mann hatte sie mit anderen Frauen betrogen, während sie die Söhne auf die Welt brachte und sich um ihre Erziehung kümmerte. Aber nur Marius hatte ihr immer nur Freude bereitet, und ausgerechnet ihm war kein langes Leben bestimmt. Martha wußte das, ohne daß ein Arzt es ihr sagen mußte. Sie war aufmerksam, und er war nicht von heute auf morgen krank geworden. Seit Monaten hatte sich sein Zustand immer mehr verschlechtert. So sehr er sich auch beherrschte, Martha spürte es, wie er sich oft quälte, ein zuversichtliches Gesicht zu machen.
Sie ging wieder an ihre Arbeit, dann kam Clemens.
»Darf ich zu Mama, Martha?« fragte er.
»Sie schläft jetzt, und sie soll soviel wie möglich schlafen, hat Dr. Norden gesagt.«
Er nickte. »War Claire etwa hier?«
»Ja, aber ich habe sie weggeschickt. Die gnädige Frau will sie nicht sehen.« Martha hielt mit ihrer Meinung nicht zurück.
»Es ist gut so«, sagte Clemens. »Ich will nicht, daß Mama aufgeregt wird. Passen Sie nur gut auf Mama auf.«
»Da können Sie sicher sein.«
*
Jenny Behnisch war nach der Teestunde mit Pamela zu Marius Campen gegangen. Es war ein helles geräumiges Zimmer und etwas wohnlicher eingerichtet als die üblichen Krankenzimmer.
Er lag bewegungslos im Bett. Das edle Gesicht war fahl, wie aus Marmor gemeißelt. Pamela durchzuckte ein heißer Schmerz, weil dieser Mann dem Tode geweiht sein sollte. Jenny sah, wie es in ihrem Gesicht arbeitete.
»Werden Sie der Aufgabe gewachsen sein, Pamela?« fragte sie.
»Ja, selbstverständlich. Hoffentlich kann ich etwas für ihn tun. Was mag er empfinden?«
»Er wird es kaum zeigen. Er ist ein Mann von großer Selbstbeherrschung. Sie können lesen, solange er schläft, auch Musik hören. Es sind Kopfhörer vorhanden, ebenso für das Fernsehgerät.«
»Es könnte ihn aber trotzdem stören. Ich werde mein Tagebuch führen. Ich habe es mir angewöhnt, alles aufzuschreiben, was wichtig in meinem Leben erscheint.«
»Das finde ich gut. Mir wurde gesagt, daß Sie hier auch nach Verwandten suchen. Können wir da irgendwie behilflich sein?«
Ein Schatten fiel über Pamelas Gesicht. »Ich möchte nur wissen, wer mein Vater war, aber ich weiß seinen Namen nicht. Meine Mutter hat ihn mir nicht verraten. Sie meint, es sei besser so für mich. Ich weiß nur den Namen seines Freundes, mit dem er damals in Argentinien war. Er hat Mama einmal besucht, und ich habe mir seinen Namen gemerkt. Er heißt Paul Norman, aber das ist auch alles.«
»Soll er in München gelebt haben?«
»Er hat über München gesprochen. Ich war sechzehn, als er bei uns war. In vier Jahren kann viel passieren.«
Jenny betrachtete sie voller Mitgefühl und nickte. Sie wußte selbst, wieviel in ein paar Jahren passieren konnte.
»Haben Sie schon mal ins Telefonbuch geschaut, Pamela?« fragte Jenny.
Verwirrt sah das Mädchen sie an.
»Daran habe ich gar nicht gedacht, und ich habe auch noch kein Telefonbuch gesehen.«
»Ich lasse Ihnen eins bringen, damit können Sie sich die Zeit vertreiben«, meinte Jenny lächelnd. »Manchmal denkt man nicht an das Nächstliegende.«
Schwester Inge brachte das Telefonbuch schon ein paar Minuten später. Sie musterte Pamela forschend, als sie sich mit ihrem Vornamen vorstellte.
»Ich heiße Pamela«, bekam sie erwidert.
»Bleiben Sie länger bei uns?«
»Ich hoffe es.«
Schwester Inge sah zu dem Bett. »Ein schwerer Fall«, murmelte sie. »Ich beneide Sie nicht.«
Pamela wurde der Anblick des schlafenden Mannes schon vertraut, der so leise atmete, daß man es kaum vernehmen konnte. Sie hatte noch nie ein solches Gesicht gesehen, das im tiefsten Narkoseschlaf so ausdrucksvoll wirkte. Ihr sagte dieses Gesicht etwas.
Sie setzte sich in die dunkle Ecke des Zimmers und knipste nur die Leselampe an. Dann suchte sie in dem Telefonbuch nach dem Namen Norman. Es gab mehrere in den verschiedensten Gegenden von München, aber keinen Paul Norman. Das wäre auch zuviel Glück für diesen ereignisreichen Tag gewesen. Es hatte ja auch keine Eile, und vielleicht sollte sie es dem Zufall überlassen, diesen Mann zu finden. Sie konnte sich auch nicht mehr deutlich an ihn erinnern, nur daran, daß er sehr freundlich zu ihr gewesen war und zu ihrer Mutter gesagt hatte, daß er eine so reizende Tochter auch sehr gern hätte.
*
Fee hatte am Abend in der Behnisch-Klinik angerufen, um von Jenny zu erfahren, ob sie mit Pamela zufrieden sei.
»Keine Frage«, sagte Jenny, »man spürt sie kaum, aber sie ist dennoch immer gegenwärtig. Sie ist ein Glücksfall, Fee. Ich würde sie auf der Stelle adoptieren. Hat sie dir gesagt, daß sie nach einem Paul Norman sucht?«
»Nein, das hast du voraus. Wer soll das sein?«
»Ein Freund ihres Vaters, dessen Namen sie aber nicht kennt. Ihre Mutter hat ihn verheimlicht.«
»Höller hat davon auch nichts erwähnt, aber es geht uns im Grunde auch gar nichts an. Da müßte wohl mehr der Zufall helfen.«
Ganz so war es nicht, denn Heinz Höller wußte sehr wohl, wer Paul Norman war und wo dieser wohnte, aber er hatte wohlweislich darüber geschwiegen, weil er sich durch ein Versprechen gebunden fühlte.
Er traf Paul Norman an diesem Abend.
»Du bist schon zurück?« wurde er überrascht begrüßt.
»Wie du siehst, und ich habe Pamela mitgebracht. Du wirst aber keine Umstände dadurch haben. Sie ist bereits untergebracht.«
»Wo?« fragte der andere überstürzt.
»Das sollte ich dir lieber nicht sagen. Sie hat gleich einen Job bekommen, der sie voll beanspruchen wird. Es könnte sein, daß sie dann gar nicht mehr interessiert ist, ihren Vater zu finden.«
»Du meinst nicht, daß es an der Zeit wäre?«
»Ich will nicht, daß Pamela verletzt wird«, erklärte Heinz betont.
»Es kann doch sein, daß er sehr glücklich wäre, sie kennenzulernen. Ich glaube schon, daß er oft an Ines dachte.«
»Vor allem, als seine Frau gestorben war. Ich habe Ines davon erzählt, aber sie wollte keinerlei Kontakt zu ihm haben. Sie ist sehr stolz.«
»Lassen wir den Dingen ihren Lauf. Pamela hat Charakter, sie würde sich ihm nicht aufdrängen, sie will nur wissen, welcher Art ihr Vater ist oder war. Sie weiß nur deinen Namen, also könnte es sein, daß sie eines Tages doch auf dich stößt.«
»Ich muß auf alles vorbereitet sein, also werde ich auch mit Jesco sprechen. Aber sag mir bitte, wo sich Pamela aufhält.«
»Wenn du mir versprichst, daß du es für dich behältst. Sie ist in der Behnisch-Klinik als Pflegerin für Marius Campen eingestellt worden.«
»Campen ist krank?« Bestürzt sah Paul Norman den anderen an. »Das wußte ich nicht. Eine ernste Sache?«
»Anscheinend, aber er wurde erst heute operiert. Wie geht es deiner Tochter?«
Pauls Miene verdüsterte sich. »Sie kommt in letzter Zeit selten zu mir. Sie geht in ihrer Tätigkeit bei Campen völlig auf.«
»Darüber