hätte es lieber gesehen, wenn sie ihr Studium zu Ende gebracht hätte, aber da kommt sie eines Tages daher und erklärt, daß zu viele Juristen arbeitslos sind und sie lieber Geld verdienen möchte.«
»Und was macht sie bei Campen?«
»Informatik und Kommunikation, ich komme da nicht mehr mit.«
»Diese Generation muß sich den wirtschaftlichen Verhältnissen und Anforderungen anpassen, wenn sie vorankommen will.«
»Aber Raphaela geht es wohl auch um einen Mann. Ich habe das im Gefühl. Hoffentlich geht es ihr nicht um Marius Campen, wenn der ein kranker Mann ist.«
»Es ist ja nicht gesagt, daß er nicht wieder gesund wird, und du solltest dich freuen, daß deine Tochter dir nicht mehr auf der Tasche liegt.«
»Was mir aber lieber gewesen wäre. Ich habe nur die eine Tochter. Du hast ja keine, sonst würdest du mich verstehen.«
Heinz Höller hatte sich nie damit befaßt, einmal Vater zu werden, und jetzt schon gar nicht mehr.
Er war Mitte Vierzig und auch nie an einer festen Bindung interessiert gewesen. Ja, einmal vor vielen Jahren, da hatte er einen Versuch unternommen, Fee Cornelius für sich zu gewinnen, aber das Rennen hatte Daniel Norden gemacht. Wenn er insgeheim Fee auch immer noch verehrte, als Vater von fünf Kindern hätte er sich niemals sehen wollen.
Paul Norman war ein paar Jahre älter als er und schon lange verwitwet. Seine Tochter war sein ein und alles gewesen.
»Such dir wieder eine Frau, die vielleicht auch eine Tochter hat, dann hättest du ja Ersatz«, meinte Heinz beim Abschied.
»Ein fremdes Kind will ich nicht«, knurrte Paul. »Und mein Geld kann ich auch allein durchbringen.«
*
Marius Campen hatte die erste Nacht nach der Operation überlebt, das war für die Ärzte schon eine Beruhigung, wenngleich sich keiner anmerken ließ, wie skeptisch man gewesen war und blieb.
Pamela hatte auf der Liege geschlafen, um sofort zur Stelle zu sein, wenn er sich rührte, aber er hatte sich kaum bewegt. Manchmal war sie aufgestanden, um seinen Puls zu fühlen und voller Angst, sein Herz könnte aufhören zu schlagen.
Als der Morgen dämmerte, war sie gleich hellwach. Der Kranke regte sich, sie war sofort bei ihm und versuchte in seinem Gesicht zu lesen, das jetzt nicht mehr so starr war.
Langsam, ganz langsam kehrte Marius ins Bewußtsein zurück. Es fiel ihm unendlich schwer, die Augen zu öffnen, aber er war immer ein sehr willensstarker Mann gewesen. Irgendwie war es ihm dann aber doch, als wäre er bereits im Jenseits, denn das fremde, liebliche Gesicht, das sich über ihn neigte, erschien ihm engelsgleich.
»Haben Sie Schmerzen?« fragte Pamela.
»Durst«, murmelte er.
Pamela läutete, und Dr. Behnisch erschien.
»Der Patient hat Durst«, sagte Pamela leise.
»Nur die Lippen netzen, er wird gleich eine Infusion bekommen.«
Pamela tupfte schon behutsam die trockenen Lippen ab. Dr. Behnisch beobachtete sie. »Sie haben sich schnell zurechtgefunden, das freut mich«, sagte er wohlwollend.
»Es bereitet mir keine Mühe. Es war auch eine ruhige Nacht.«
»Sie werden weiterhin sehr aufmerksam sein. Die Infusion wird gleich angehängt.«
Pamela betupfte wieder die Lippen des Kranken. Er blinzelte jetzt leicht.
»Meine Kehle ist trocken«, sagte er rauh, aber schon deutlich.
»Sie sollten auch noch nicht viel sprechen. Ich würde Ihnen gern mehr zu trinken geben, aber das darf ich nicht.«
»Wer sind Sie?«
»Schwester Pamela«, erwiderte sie stockend.
Jetzt kam Jenny Behnisch, und Schwester Inge fuhr den Infusionswagen ins Zimmer.
»Wie geht es?« fragte Jenny leise.
»Mir geht es gut«, erwiderte Pamela, aber ihr Blick ruhte voller Mitgefühl auf dem Kranken.
Er reagierte nicht, als Jenny die Kanüle in seinen Arm setzte. Pamela beobachtete, wie die Infusionsflüssigkeit durch den Schlauch tropfte.
Marius schlug die Augen noch einmal auf, sah Jenny an und dann Pamela und der Hauch eines Lächelns legte sich über sein Gesicht. Dann atmete er tief und schlief wieder ein.
Schwester Inge verschwand, Jenny blieb noch zurück und fühlte Marius’ Puls.
»Wir haben es mit einem Patienten zu tun, der nicht nur ein sehr kluger Mann ist, sondern auch ein Muster an Selbstdisziplin«, sagte Jenny. »Sie werden nicht erleben, daß er jammert.«
»Warum muß ein solcher Mensch so leiden?« flüsterte Pamela. Es darf doch nicht geschehen, daß er sterben muß, dachte sie weiter. Sie setzte sich neben sein Bett und faltete die Hände zum Gebet.
*
Mary Campen hatte den Anruf von Jenny Behnisch bekommen, daß Marius die Nacht gut überstanden hatte.
»Ich werde am Nachmittag in die Klinik kommen«, erklärte sie, »aber meiner Schwiegertochter dürfen Sie nicht gestatten, Marius zu besuchen. Sie regt ihn nur auf.«
»Herr Campen hat bestimmt, wer zu ihm darf«, erklärte Jenny.
»Das ist gut. Ich wünsche so sehr, daß er wieder gesund wird.«
Ein frommer Wunsch, dachte Jenny, aber vielleicht werden ihm noch ein paar Jahre geschenkt. Sie hoffte das auch von Herzen und nicht nur deshalb, um ihrer Arbeit eine Genugtuung zu geben.
Clemens Campen stattete seiner Mutter am Vormittag einen Besuch ab. Sie war gerade beim Frühstück.
»Setz dich zu mir«, forderte sie ihn auf. »Martha bringt dir ein Gedeck.«
Martha war gleich dabei, und er lehnte nicht ab. Er hatte noch keinen Bissen gegessen, sich heimlich aus der Wohnung entfernt, da Claire noch schlief.
»Ihr habt gestern abend noch gestritten, ich habe es sogar hier gehört«, sagte Mary.
»Ich habe Claire meine Meinung gesagt. Ich will dich nicht auch noch aufregen, Mama, aber ich werde mich scheiden lassen.«
»Ein guter Entschluß. So kann es nicht weitergehen. Du mußt endlich mal zur Ruhe kommen und auch zur Vernunft, Clemens.«
»Ich bin auf dem Wege«, erwiderte er tonlos.
Sie sah ihn forschend an. »Ist da auch eine andere Frau im Spiel?«
Er senkte den Kopf. »Es könnte sein, aber ich habe keine Affäre, Mama, es ist etwas anderes, völlig Neues, sehr distanziert. Ich kann nur hoffen, daß es sich entwickelt, wenn ich frei bin.«
Er hatte schon lange nicht mehr so offen mit ihr gesprochen. Es verriet ihr, wie hilflos er sich fühlte.
»Hätte ich nur auf dich gehört, Mama, ich wäre nicht in diese Falle getappt. Es hat nie eine Fehlgeburt gegeben, Claire hat mich erpreßt, aber mir geschieht das ganz recht. Ich habe meine Strafe für alle Fehler bekommen.«
»Was sagt man doch von der Selbsterkenntnis, Clemens? Sie soll der erste Schritt zur Besserung sein. Ich wußte, daß es mit dieser Frau nicht gutgehen konnte. Aber es wird auch nicht so einfach sein, sie wieder loszuwerden. In diesem Fall kannst du auf mich zählen, mein Junge.«
So hatte sie auch schon lange nicht mehr mit ihm geredet, aber mit seinen fünfunddreißig Jahren stand er jetzt vor ihr wie ein Schuljunge, der seine Strafe erwartete. Er war seinem Vater am ähnlichsten, aber doch nicht so sehr, daß Mary Campen ihm jede Strafe gegönnt hätte. Sie hatte viel ertragen in dieser Ehe mit diesem Mann. Um ihrer Söhne willen hatte Mary auch seine Affären ertragen, aber sie hatte auch Grenzen um sich gezogen und sehr energisch dann ihre eigenen Rechte beansprucht. Es wäre ihr allerdings nie in den Sinn gekommen, sich einem anderen