Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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die Büchse auf dem Rücken, das bleiche Gesicht tief vorgebeugt und zu Boden starrend, wie einer, der sucht, was sich nimmer finden läßt.

      Trotz allem Aufruhr, den Pepperl in seiner enttäuschten Hirtenseele toben fühlte, hatte er doch noch Augen für das Gedrückte, das aus Mazeggers Haltung sprach. »Mir scheint, der spinnt schon wieder! Der arme Narr!« Den fremden Kummer nicht minder schwer als die eigene Sorge fühlend, guckte er dem Jäger nach, bis Mazegger zwischen den Bäumen verschwunden war. Dann schlich er um den Holzstoß herum, warf einen spähenden Blick zum Fürstenhaus hinauf und rannte mit langen Sprüngen dem nahen Walde zu.

      Sobald ihn die Bäume deckten, fiel er in ruhigen Schritt, als wäre jäh aller Sturm in seinem Innern still geworden.

      Er konnte sich sagen, daß er seine »Verpflichtigung« gewissenhaft erfüllt hatte. Wenn er nicht dazu gekommen war, seine Warnung auszusprechen, so war das nicht seine Schuld! Und sollte, Gott behüt, der alte Brenntlinger einmal kommen und ihn ansehen mit den traurigen Vateraugen, so konnte Pepperl mit reinem Gewissen erklären: » Ich kann nix dafür!« Das war unleugbar ein Trost. Dennoch war dem Praxmaler-Pepperl so seltsam schwül zumute, daß er das Hütl lüften und mit dem Ärmel über die Stirn wischen mußte.

      Viertes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Förster Kluibenschädl machte am Morgen keine Pirsche, nur einen kleinen Waldmarsch gegen Leutasch hinaus, um sich für das Frühstück im Fürstenhaus den pflichtschuldigen Appetit zu holen.

      Im Hochwald, der das Weidefeld der Hämmermoosalpe umschließt, traf er mit Mazegger zusammen, der in Gedanken versunken daherkam.

      »He! Toni!«

      Der Jäger fuhr auf wie ein Träumer, der unsanft geweckt wird.

      Mißmutig schüttelte der Förster den Kopf. »Wie schaust denn aus? Bist denn du noch a Jager? Schamst dich denn gar net?«

      Mazegger, über dessen bleiches Gesicht eine Spur von Röte huschte, schien nicht recht zu wissen, wie ihm geschah. Er betrachtete seine Büchse. Die war spiegelblank, ohne Rost. Er guckte suchend an seinen Kleidern hinunter. Die waren tadellos sauber. »Was ist denn?« murrte er, und seine schwarzen Augen schossen einen gereizten Blick auf den Förster. »Wo fehlt's denn schon wieder?«

      »Dein Hütl schau dir an!«

      Toni nahm den Hut ab und sah, daß er von seiner Spielhahnfeder die Sichel verloren hatte.

      »Die muß ich mir gestern am Abend abgestoßen haben! Aber wenn der Herr Förster schon wegen so was brummt –«

      »So? Meinst? Laß an Heiligen sein' Heiligenschein verlieren, und er is halt kein Heiliger nimmer!« Der Förster drehte dem Jäger den Rücken und wanderte durch den Wald hinunter ins Bachtal.

      Auf dem Heimweg hörte er aus einem nahen Jungholz die Stimme der Sennerin, die ihre Kühe zum Melken trieb. Sonst pflegte Burgi bei diesem Geschäft vergnügt zu singen und zu jodeln; heut schalt sie mißlaunig auf das widerspenstige Vieh.

      Das fiel dem Förster auf. »Was hat denn dös Madl heut?«

      Als er gegen neun Uhr die Tillfußer Alm erreichte und ins Försterhäuschen trat, sah er den Praxmaler-Pepperl, mit einem nassen Handtuch um die Stirn, in schwerem Schlaf auf der Matratze liegen.

      »No also! Jetzt brummt ihm der Schädel! Ja, ja, 's Leben hat allweil seine Zwidrigkeiten, und aller Zucker schmeckt eim sauer auf d'Letzt!«

      Lautlos, um den Schläfer nicht zu wecken, machte er Toilette zum Frühstück, das heißt, er wischte mit einem Handtuch die Schuhe sauber und bürstete einen Scheitel ins Haar.

      Als er hinaufkam ins Herrenhaus, hatte er seine Freude an dem frischen Aussehen des Fürsten, der fest und gut bis in den Morgen geschlafen hatte. Und da gab's gleich was zu lachen. Weil der Fürst versicherte, er hätte einen Schlaf getan wie ein Bauer, philosophierte der Förster lustig: »Duhrlaucht, dös is gspaßig! Sie sagen: wie an Bauer! Und unsereiner, wann er gut gschlafen hat, unsereiner sagt: heut hab ich gschlafen wie a Fürst! Bschaut man's gnau, so hat's im Leben jedweder gleich. Und jeder meint, der ander hat's besser.«

      Während des Frühstücks behielt das Gespräch die heitere Stimmung, mit der es begonnen hatte, und Ettingen amüsierte sich über die drollig derben und doch von einem gesunden Kern erfüllten Lebensweisheiten, die ihm der rauhborstige Philosoph in der Jägerjoppe zu hören gab.

      Nach dem Frühstück machte Ettingen sich fertig für den »Orientierungsmarsch«, der bis zum Abend dauern sollte. Martin war dem Fürsten beim Umkleiden behilflich, und als er ihm die Schuhe zuschnürte, sagte er mit dem süßesten seiner Töne: »Ich bitte um Vergebung, wenn ich Durchlaucht eine Unbehaglichkeit bereite, aber ich sehe mich leider gezwungen, gegen den Jäger Praxmaler Beschwerde zu führen. Der Mann hat sich gestern mehr als ungehörig gegen mich benommen. Die Art, in der er sich mit mir zu sprechen erlaubte –«

      »War jedenfalls begründet!« unterbrach der Fürst. »Ich kenne dich, mein guter Martin! Deshalb sag ich dir ein für allemal: Verschone mich hier im Jagdhaus mit deinem Klatsch! Und laß die Jäger in Ruhe! So! Jetzt kannst du mir den Hut bringen.«

      Als der Fürst aus dem Jagdhaus trat, stand Kluibenschädl schon wegbereit vor der Tür, mit der Büchse hinter dem Rücken.

      Auf der Schwelle blieb der Fürst eine Weile stehen und blickte lächelnd hinaus in den reinen Glanz des Morgens. »Wie schön! Und diese Luft!«

      »Ja, bei uns, da schnauft man sich leicht! Und a Tagerl is dös heut! Da müssen wir schon a bißl auffisteigen, damit S' die richtig Aussicht kriegen. Gleich hinterm Jagdhaus haben wir den schönsten Reitsteig bis zum Steinernen Hüttl!«

      Der Fürst blickte auf, als wäre bei diesem Namen eine Erinnerung in ihm wach geworden. »Zum Steinernen Hüttl?« Er lächelte. »Gut! Steigen wir hinauf! Wohnen Leute da droben – beim Sternen Hüttl?«

      »Aber freilich! Der Senn und sein Bub.«

      »Sonst niemand?«

      »Na! Kein Mensch sonst. Es steht bloß die einzig Sennhütten droben.«

      »Aber gestern am Abend, als ich den kleinen Spaziergang machte, kam jemand von dort oben herunter.« Wieder lächelte der Fürst. »Das war nicht der Senn. Auch nicht sein Bub.«

      »Wird halt a Tourist gwesen sein. Da droben is an Übergangl von der Zugspitz rüber. Da kommen oft Touristen vom Bayrischen her. Der Weg is net grob und is gut zum Gehn.«

      »Auch für Damen?«

      »Ah ja! Ich bin schon öfters einer begegnet. Und dös muß ich sagen: die haben mir allweil gfallen. Ich bin net gut auf d' Weiberleut z'reden. Aber wenn ich merk, daß eine ihr Freud an der lieben Natur und an die Berg hat, da lupf ich mein Hütl net ungern. A bißl Gerechtigkeit muß der Mensch auch bei die Weiberleut gelten lassen.«

      Sie waren zum Försterhäuschen gekommen, unter dessen Tür der Praxmaler-Pepperl stand, mit hängenden Armen und einwärts gedrehten Fußspitzen: das verkörperte schlechte Gewissen. Scheu blickte er seinem Herrn entgegen, und dieser Blick schien in banger Sorge zu fragen: »Bin ich jetzt schon verklampert oder net?«

      Lächelnd nickte der Fürst ihm zu: »Ausgeschlafen, Pepperl?«

      Die freundliche Ansprache verwandelte den Jäger in einen anderen Menschen. Seine Gestalt streckte sich, als wäre ihm alle Müdigkeit der durchwachten Nacht aus den Gliedern geblasen. »Grad hab ich noch a Stünderl nachgeholt«, sagte er mit verlegenem Lachen, »denn dös is wahr, Herr Fürst, heut nacht hab ich a bißl z'viel derwischt.« Kleinlaut, als bedürfte diese Tatsache einer Entschuldigung, fügte er bei: »Enker Wein is so viel stark. Allweil brummt's mir noch a wengerl unter die Haar.«

      Das kam so drollig heraus, daß Ettingen lachen mußte. Auch der Förster lachte und sagte gutmütig: »No also, leg dich halt wieder nieder