Gottfried Hierzenberger

Der Hinduismus


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sind. Das bedeutet, dass die Ursprünge der indoeuropäischen Kultur bis in die Mittelsteinzeit zurückreichen und dass ihre Kultur von der Ausbildung der alten Hochkulturen im Vorderen Orient stark beeinflusst wurde. Sie betrieben Ackerbau, Rinder-, Schweine- und Schafzucht und kannten und domestizierten auch bereits Pferde. Sie entwickelten zwar auch eine Weidewirtschaftsform, doch ihr Hirtennomadentum war die Wurzel der gewaltigen Expansionsdynamik.

      Diese richtete sich aber nicht nur nach Süden (Vorderer Orient) und Südosten (Iran, Zentralasien, Indien), sondern auch nach Südwesten (Balkan, Italien, Griechenland) und Westen (Zentral-, Nord- und Westeuropa) und erfasste schließlich den gesamten europäischen Kontinent.

      Die Indoeuropäer sind Nachfahren der steinzeitlichen Jägerkultur, sind patriarchalisch – in Form von Männerbünden – organisiert und bilden einen deutlichen und bewussten Kontrast zur Sesshaftigkeit der bäuerlichen Kulturen, in die sie eindringen, der sie sich schnell assimilieren und die sie bald dominieren. Damit setzten sie die große Tradition der paläolithischen Jäger nicht nur im Mesolithikum fort, sondern hielten diese kriegerischen Strukturen in geradezu anachronistischer und trotzdem höchst wirksamer Weise aufrecht.

      Der Religionswissenschaftler Mircea Eliade vergleicht diese Mentalität mit der eines Wolfsrudels: »Die Mitglieder der indoeuropäischen Männerbünde und die Nomadenreiter Mittelasiens verhielten sich hinsichtlich der von ihnen angegriffenen sesshaften Völker wie Raubtiere, die die Pflanzenfresser der Steppe oder das Vieh der Bauern jagen, töten und fressen; viele indoeuropäische Stämme trugen Raubtiernamen und hielten sich für Abkömmlinge eines mythischen Tierahnen. Zu den militärischen Initiationen der Indoeuropäer gehörte auch eine rituelle Transformation in einen Wolf«.

      Die Indoeuropäer hielten also diese Jägermentalität nicht nur über eine sehr lange Zeit hin unverändert aufrecht, sondern sie kommunizierten auch mit den Kulturen in den eroberten Gebieten – besonders deutlich in Indien – in Form einer sehr kreativen und wirkungsvollen Symbiose bis hin zur Synthese.

      Bevor sich die aus der Geschichte bekannten indoeuropäischen Sprachgruppen (z. B. griechische, germanische, keltische und slawische Idiome) herausbildeten, gab es offensichtlich bereits eine gemeinsame proto-indoeuropäische Sprache, Kultur und Religion, die man jedoch nur durch eine mühsame Analyse der späteren Mischformen mit ansässigen, einheimischen Kulturen herausfiltern und darstellen kann. Das Ergebnis bleibt deshalb auch eher synthetisch – nicht so die Religion der Brahmanen in der sogenannten vedischen Zeit, wovon gleich die Rede sein wird.

      Ein paar Beispiele: Die indoeuropäische Wurzel deiwos (= Himmel), findet sich z. B. in allen Wörtern, die Gott oder göttlich bedeuten: lat. deus und divus aus altlat. deivos, iranisch dio aus altiranisch dia, altindisch deva-h, avestisch daeva, keltisch duro, litauisch dievas, lettisch dievs, italisch deivai, altgermanisch tivar usw. Das weist deutlich auf eine gemeinsame indoeuropäische Himmelsgott-Vorstellung und begründet ihre Herrschaftsvorstellung und Schöpferkraft. Der Himmelsgott ist der Vater schlechthin und seine Bezeichnung in den verschiedenen indoeuropäischen Sprachen macht die Verwandtschaft auch dem Laien klar: altindisch dyauspitar = griech. Zeus-pater, illyrisch Daipatures, lat. Jupiter, umbrisch Jupater, phrygisch-thrakisch Zeus-Pappos, skythisch Zeus-Papaios.

      Die Indoeuropäer entwickelten wohl auch eine eigene Mythologie und Theologie, brachten Opfer dar, verwendeten sakrale Worte und Lieder, Tanz und Dramatik mit magisch-religiöser Bedeutung in ihren Ritualen und Weihungen. Typisch ist aber das Fehlen ausgesprochener Heiligtümer (z. B. Tempel) und die mündliche Weitergabe der religiösen Traditionen. Erstaunlich spät erst gibt es schriftliche Sammlungen.

      Doch obwohl es durch die großen zeitlichen und räumlichen Entfernungen der wandernden Indoeuropäer viele bodenständige Überlagerungen gab, die das zugrunde liegende indoeuropäische Kulturgut aufs erste verdecken, stimmen die mythologischen Elemente z. B. bei so verschiedenen (und zeitlich weit auseinander liegenden) Zeugnissen wie dem Rig-Veda im brahmanischen Indien, den bei Titus Livius gesammelten Überlieferungen oder der in der Edda des Snorri Sturluson bewahrten nordischen Überlieferung in allen wichtigen Punkten überein. Dies wird aus der nachfolgenden Gegenüberstellung ersichtlich:

Indien brāhmanas ksatriya vaisya
(Priester) (Militär) (Bauern)
Iran äthra-van rathaé-shtar vāstryō
(Priester) (Militär) (Bauern)
Kelten Druiden Flaith bo airig
(Priester) (Militär) (Bauern)
Römer/Etrusker Romulus Lukomon Tatius und die Sabiner
(Priesterkönig) (General) (Bauern)
Germanen Othin Thor Freyr
(Götterkönig) (Kämpfergott) (Fruchtbarkeitsgott)

      Dabei gibt es aber in den einzelnen Entwicklungssträngen auch beträchtliche Unterschiede: Wo die Römer geschichtlich und national denken, denken die Inder dichterisch und kosmisch, wenn bei den Römern ein empirisches, relativistisches, politisches und juridisches Denken dominiert, neigen die Inder zu einem philosophisch-reflexiven, dogmatisch-moralischen und mystischen Denken.

      Von den Ariern stammen die Veden, die ältesten heiligen Texte der Hindus. Sie sind in Sanskrit geschrieben, der heiligen Sprache der Hindus. Wie andere heilige Sprachen (z. B. Althebräisch) hat sich Sanskrit über die Jahrhunderte hinweg kaum verändert, so dass wir damit über eine relativ reine indoeuropäische Sprache verfügen, die mit der deutschen Sprache (und den meisten europäischen und einigen asiatischen Sprachen) aus den oben bereits angeführten Gründen verwandt ist.

      Wir kennen Namen einzelner Dichter und Seher, die als Urheber der Veden gelten und die einzelne Hymnen »erschaut« haben sollen. Zugleich gelten diese Texte aber als »ewige, anfangslose, nicht einmal von den Göttern geschaffene und von den Sehern nur vermittelte Offenbarungen« (Heinrich von Stietencron). Daraus erklärt sich auch der Name: Die Einzahl (der) Veda bedeutet Wissen und wird sowohl für einzelne Schriften (Sammlungen) – z. B. den schon genannten Rig-Veda (= Wissen der Verse) als auch für das gesamte heilige Wissen der frühen indoarischen Zeit verwendet. Die Universität Gurugal in Haridwar am Ganges ist heute das wichtigste Studienzentrum dieser klassischen heiligen Schriften der Hindus. Dort befindet sich auch das spirituelle Zentrum Shantikunj, das sich auf der Linie der von Dayanand Sarasvati (1824-1883) begründeten Arya Samaj (= Gemeinschaft der Arier), einer nationalistisch geprägten sozialreformerischen Bewegung, befindet, welche die moralisch-geistige Erweckung der Hindus aus dem Geist der Veden zum Ziel hat.

      Der gesamte Veda