Hans Christian Andersen

Die schönsten Märchen von Hans Christian Andersen (Illustrierte Ausgabe)


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das leere Schwalbennest vom vergangenen Jahre in Besitz genommen und hausten nun darin als wäre es ihr Eigenthum.

      »Sind das Entenkleider, die dort schwimmen?« fragten die Sperlingsjungen, als sie die Federn auf dem Wasser entdeckten.

      »Wenn Ihr einmal fragen wollt, so fragt wenigstens vernünftig!« sagte die Mutter. »Seht Ihr denn nicht, daß es Federn sind, lebendiger Kleiderstoff, wie ich ihn trage und wie Ihr ihn tragen werdet! Unserer ist aber feiner. Ich möchte übrigens, wir hätten sie oben im Neste, denn sie halten warm. Ich bin doch neugierig, worüber wohl die Enten so erschraken; über uns aber gewiß nicht; freilich sagte ich ziemlich laut zu Euch: »Piep.« Die dickköpfigen Rosen müßten es eigentlich wissen; aber die wissen gar nichts, betrachten nur sich und riechen; ich bin dieser Nachbarn herzlich überdrüssig!«

      »Höre die allerliebsten Vöglein oben,« sagten die Rosen; »die fangen nun auch an, singen zu wollen, können es aber noch nicht. Es wird sich indeß schon machen; welches Vergnügen das gewahren muß; es ist hübsch, solche lustige Nachbarn zu haben.«

      Plötzlich kamen zwei Pferde daher gesprengt, um getränkt zu werden; ein Bauernbursche ritt das eine; er hatte alle seine Kleider abgelegt bis auf seinen großen und breiten, schwarzen Hut. Der Bursche pfiff wie ein Vogel und ritt in den Teich hinein, wo er am tiefsten war; und als er an dem Rosenstrauche vorüberkam, brach er eine Rose ab und steckte sie auf seinen Hut, und nun kam er schon geputzt vor und ritt weiter. Die andern Rosen blickten ihrer Schwester nach und fragten sich: »Wohin reist sie wohl!« Niemand aber wußte es.

      »Ich möchte wohl einmal in die Welt hinaus,« meinte eine; »doch hier zu Hause in unserem Grün ist es auch schön. Den Tag über scheint die Sonne hell und warm und in der Nacht glänzt der Himmel noch schöner: das können wir durch alle die kleinen Löcher darin sehen.« Sie meinten die Sterne; sie wußten es nicht besser.

      »Wir machen es lebhaft um das Haus herum,« sagte die Sperlingsmutter, »und das Schwalbennest bringt Glück, sagen die Leute, deshalb freut man sich unser. Aber die Nachbarn! So ein Rosenstrauch an der Mauer hinauf verursacht Feuchtigkeit. Er wird wohl weggeschafft werden; dann wächst vielleicht hier wenigstens Korn. Die Rosen taugen zu nichts, als sie anzusehen und anzuriechen und höchstens auf den Hut zu stecken.«

      »Jedes Jahr, das weiß ich von meiner Mutter, fallen sie ab. Die Frau des Bauern legt sie ein und streut Salz dazwischen; dann erhalten sie einen französischen Namen, den ich weder aussprechen kann noch mag; sie werden aufs Feuer gestreut, wenn sie gut riechen sollen. Seht, so ist ihr Lebenslauf; sie sind nur für das Auge und die Nase da. Nun wißt Ihr es!«

      Als der Abend einbrach, und die Mücken in der warmen Luft und in den rothen Wolken spielten, kam die Nachtigall und sang den Rosen vor: daß das Schöne sich verhalte, wie der Sonnenschein in dieser Welt, und daß das Schöne ewig lebe. Die Rosen aber dachten, daß die Nachtigall sich selbst besänge, was man wohl hätte glauben können; denn daß der Gesang ihnen gelte, daran dachten sie nicht. Sie freuten sich aber darüber und sannen nach, ob wohl alle die kleinen Sperlinge auch Nachtigallen werden könnten. »Ich verstand recht gut den Gesang dieses Vogels,« sagten die jungen Sperlinge. »Nur ein Wort war mir nicht klar. Was heißt »»das Schöne?««

      »Das ist nichts,« versetzte die Sperlingsmutter; »das ist nur etwas Aeußerliches. Oben auf dem Edelhofe, wo die Tauben ihr eigenes Haus haben und ihnen jeden Tag Erbsen und Korn vorgestreut wird – ich habe selbst mit ihnen gegessen, und das sollt Ihr mit der Zeit auch, denn: sage mir, mit wem Du umgehst, und ich werde Dir sagen, wer Du bist – oben auf dem Edelhofe haben sie zwei Vögel mit grünen Hälsen und einem Kamm auf dem Kopfe; die können den Schweif ausbreiten wie ein großes Rad, und der spielt in allen Farben, daß der Anblick den Augen weh thut. Diese Vögel werden Pfauen genannt, und das ist das Schöne. Sie sollten nur ein wenig gerupft werden, dann würden sie nicht anders aussehen, als wir andern alle. Ich würde sie schon gerupft haben, wenn sie nur nicht so groß wären.«

      »Ich will sie rupfen,« piepte der kleine Sperling, der noch keine Federn hatte.

      Im Bauernhause wohnten zwei junge Eheleute; sie liebten sich sehr, waren fleißig und flink, es sah Alles sehr hübsch bei ihnen aus. Des Sonntags früh kam die junge Frau heraus, pflückte eine Hand voll der schönsten Rosen und that sie in ein Glas mit Wasser, welches sie auf den Schrank stellte.

      »Jetzt sehe ich, daß es Sonntag ist,« sagte der Mann und küßte seine kleine Frau. Sie setzten sich, lasen im Gesangbuche und hielten sich bei den Händen; die Sonne beschien die frischen Rosen und das junge Ehepaar.

      »Dieser Anblick ist wirklich zu langweilig;« sagte die Sperlingsmutter, die von dem Neste aus in die Stube hineinblicken konnte, und flog davon.

      So ging es auch den nächsten Sonntag, denn jeden Sonntag wurden frische Rosen in das Glas gesteckt; doch der Rosenstrauch blühte stets gleich schön. Die jungen Sperlinge hatten jetzt Federn und wollten gern mitfliegen; die Mutter aber erlaubte es nicht, und sie mußten daheim bleiben. Sie flog, doch, wie es auch geschehen mochte: ehe sie es sich versah, war sie in eine Schlinge von Pferdehaaren gerathen, welche Knaben an einem Zweige angebracht hatten. Die Pferdehaare zogen sich fest um das Bein zusammen, so fest, als füllte es durchgeschnitten werden; das war eine Pein, ein Schrecken! Die Knaben sprangen hinzu und ergriffen den Vogel und zwar auf unsanfte Art.

      »Es ist nur ein Sperling!« sagten sie; aber sie ließen ihn doch nicht fliegen, sondern nahmen ihn mit nach Hause; und jedesmal, wenn er schrie, schlugen sie ihn auf den Schnabel.

      Im Bauernhause stand ein alter Mann, der es verstand, Bart- und Waschseife sowohl in Stücken, als in Kugeln zu verfertigen. Es war ein umherwandernder, lustiger Alter. Als er den Sperling sah, den die Jungen gebracht hatten und aus dem sie sich, wie sie sagten, nichts machten, meinte er: »Wollen wir ihn recht schön machen?« Es überlief die Sperlingsmutter eiskalt. Aus dem Kasten, worin die schönsten Farben lagen, nahm der Alte eine Menge glänzenden Schaumgoldes und die Jungen mußten Eiweiß holen, womit der Sperling über und über bestrichen wurde; darauf wurde das Gold geklebt, und die Sperlingsmutter war nun über und über vergoldet. Sie aber dachte nicht an den Putz und zitterte an allen Gliedern. Und der Seifenmann riß von dem rothen Futter seiner alten Jacke ein Läppchen, schnitt Zacken hinein, daß es wie ein Hahnenkamm aussah, und klebte es dem Vogel auf den Kopf.

      »Nun sollt Ihr den Goldrock fliegen sehen,« sagte der Alte und ließ den Sperling los, der in der tödtlichsten Angst davonflog, von der strahlenden Sonne beschienen. Wie er glänzte! Alle die Sperlinge, selbst eine Krähe, obwohl ein alter Knabe, erschraken sehr über diesen Anblick; sie flogen aber doch hinterdrein, um zu erfahren, was er für ein fremder Vogel sei.

      Von Angst und Entsetzen getrieben, flog er heimwärts; er war nahe daran, kraftlos zur Erde zu sinken; die Schaar der verfolgenden Vögel wuchs, ja einige versuchten sogar auf ihn loszuhacken.

      »Sieh Mal Den! Sieh mal Den!« schrieen sie alle.

      »Sieh mal Den! Sieh mal Den!« schrieen ihre Jungen, als er sich dem Neste näherte. »Das ist bestimmt ein junger Pfau, er spielt in allen Farben; er thut den Augen weh, wie die Mutter es erzählte. Piep! Das ist das Schöne! Und nun hackten sie mit ihren kleinen Schnäbeln auf den Vogel ein, daß es ihm unmöglich wurde, in das Nest zu gelangen; er war so mitgenommen, daß er nicht einmal »Piep!« sagen konnte, viel weniger: »Ich bin ja Eure Mutter!« Auch die andern Vögel fielen nun über den Sperling her und rupften ihm Feder für Feder aus, bis er blutend in den Rosenstrauch fiel.

      »Du armes Thier!« sagten alle Rosen; »sei nur ruhig, wir wollen Dich verbergen! Lehne Dein Köpfchen an uns an!«

      Der Sperling breitete noch einmal die Flügel aus, dann zog er sie fest an sich und lag todt bei der Nachbarfamilie, den schönen, frischen Rosen.

      »Piep!« tönte es aus dem Neste. »Wo nur die Mutter bleibt; das ist unbegreiflich. Es soll doch nicht ein Pfiff von ihr sein und soviel heißen, daß wir jetzt für uns selbst sorgen sollen! Das Haus hat sie uns als Erbtheil hinterlassen: wem von uns soll es nun aber allein gehören, wenn auch wir Familie haben werden?«

      »Ja, das geht nicht, daß Ihr bei mir bleibt, wenn ich meine Wirthschaft durch Frau und Kinder erweitere!« meinte