Hans Christian Andersen

Die schönsten Märchen von Hans Christian Andersen (Illustrierte Ausgabe)


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er will nur, daß sie ruhig sein sollen, und das sind sie am ersten, wenn man sie zu Bette gebracht hat; sie sollen still sein, damit er ihnen Geschichten erzählen kann. –

      Wenn die Kinder dann schlafen, setzt sich Ole Luk-Oie auf ihr Bett. Er ist gut gekleidet; sein Rock ist von Seide, aber es ist unmöglich, zu sagen, von welcher Farbe, denn er glänzt grün, roth und blau, je nachdem er sich wendet. Unter jedem Arme hält er einen Regenschirm; den einen, mit Bildern darauf, spannt er über die guten Kinder aus, und dann träumen sie die ganze Nacht die herrlichsten Geschichten; aber den andern Schirm, auf welchem durchaus nichts ist, stellt er über die unartigen Kinder, dann schlafen sie wie dumm und haben am Morgen, wenn sie erwachen, nicht das Geringste geträumt.

      Nun werden wir hören, wie Ole Luk-Oie an jedem Abende in einer Woche zu einem kleinen Knaben kam, welcher Hjalmar hieß, und was er ihm erzählte. Es sind sieben Geschichten; denn es sind sieben Tage in der Woche.

      Montag.

      »Höre mal!« sagte Ole Luk-Oie am Abend, als er Hjalmar zu Bette gebracht hatte; »nun werde ich aufputzen!« Und da wurden alle Blumen in den Blumentöpfen zu großen Bäumen, welche ihre langen Zweige unter der Zimmerdecke und längs den Wänden ausstreckten, sodaß die Stube wie ein prächtiges Lusthaus aussah; und alle Zweige waren voll Blumen, und jede Blume war schöner, als eine Rose, duftete lieblich, und wollte man sie essen, so war sie noch süßer, als Eingemachtes! Die Früchte glänzten wie Gold, und Kuchen war da, der vor lauter Rosinen platzte. Es war unvergleichlich schön! Aber zu gleicher Zeit ertönte ein schreckliches Jammern aus dem Tischkasten her, wo Hjalmar's Schulbücher lagen.

      »Was ist nur das?« sagte Ole Luk-Oie und ging nach dem Tische und zog den Kasten auf. Es war die Schiefertafel, auf der es riß und wühlte, denn es war eine falsche Zahl in das Rechenexempel gekommen, sodaß es nahe dran war, auseinander zu fallen; der Griffel hüpfte und sprang an seinem Bande, als ob er ein kleiner Hund wäre, der dem Rechenexempel helfen möchte; aber er konnte es nicht. – Und dann jammerte es auch in Hjalmar's Schreibebuche; o, es war häßlich anzuhören! Auf jedem Blatte standen der Länge nach herunter die großen Buchstaben, einem jeden ein kleiner zur Seite: das war eine Vorschrift; und neben diesen standen wieder einige Buchstaben, welche eben so auszusehen glaubten, und diese hatte Hjalmar geschrieben; sie lagen aber fast so, als ob sie über die Bleistiftlinien gefallen waren, auf denen sie stehen sollten.

      »Seht, so sollt Ihr Euch halten!« sagte die Vorschrift. »Seht, so schräg geneigt, mit einem kräftigen Schwunge!«

      »O, wir möchten gern,« sagten Hjalmar's Buchstaben; »aber wir können nicht; wir sind zu schwächlich!«

      »Dann müßt Ihr einnehmen!« sagte Ole Luk-Oie.

      »O nein!« riefen sie, und da standen sie so schlank, daß es eine Lust war.

      »Ja, nun können wir keine Geschichten erzählen!« sagte Ole Luk-Oie; »nun muß ich sie exerciren! Eins, zwei! Eins, zwei!« und so exercirte er die Buchstaben; und sie standen ganz schlank und so schön, wie nur eine Vorschrift stehen kann. Aber als Ole Luk-Oie ging und Hjalmar sie am Morgen besah, da waren sie ebenso schwächlich und jämmerlich wie früher.

      Dienstag.

      Sobald Hjalmar zu Bette gegangen war, berührte Ole Luk-Oie mit seiner kleinen Zauberspritze alle Möbeln in der Stube und zugleich fingen sie an zu plaudern, und sprachen allesammt von sich selbst, mit Ausnahme des Spucknapfes, welcher stumm dastand und sich darüber ärgerte, daß sie so eitel sein könnten, nur von sich selbst zu sprechen, nur an sich selbst zu denken und durchaus keine Rücksicht auf den zu nehmen, der bescheiden in der Ecke stand und sich bespucken ließ.

      Ueber der Kommode hing ein großes Gemälde in einem vergoldeten Rahmen, das war eine Landschaft; man sah darauf große, alte Bäume, Blumen im Grase und einen breiten Fluß, welcher um den Wald herumfloß, an vielen Schlössern vorbei, und weit hinaus in das wilde Meer.

      Ole Luk-Oie berührte mit seiner Zauberspritze das Gemälde, und da begannen die Vögel darauf zu singen, die Baumzweige bewegten sich, und die Wolken zogen weiter; man konnte ihren Schatten über die Landschaft hingleiten sehen.

      Nun hob Ole Luk-Oie den kleinen Hjalmar zu dem Rahmen empor, und stellte seine Füße in das Gemälde, gerade in das hohe Gras; da stand er. Die Sonne beschien ihn durch die Zweige der Bäume. Er lief hin zum Wasser und setzte sich in ein kleines Boot, welches dort lag; es war roth und weiß angestrichen, die Segel glänzten wie Silber, und sechs Schwäne, mit Goldkronen um den Hals und einem strahlenden blauen Sterne auf dem Kopfe, zogen das Boot an dem grünen Walde vorüber, wo die Bäume von Räubern und Hexen, und die Blumen von den niedlichen kleinen Elfen und von Dem, was die Schmetterlinge ihnen gesagt haben, erzählen.

      Die herrlichsten Fische, mit Schuppen wie Silber und Gold, schwammen dem Boote nach; mitunter machten sie einen Sprung, daß es im Wasser plätscherte, und Vögel, roth und blau, klein und groß, flogen in zwei langen Reihen hinterher; die Mücken tanzten und die Maikäfer sagten: Bum! Bum! Sie wollten Hjalmar Alle folgen, und Jeder hatte eine Geschichte zu erzählen.

      Das war eine Lustfahrt! Bald waren die Wälder dicht und dunkel, bald waren sie wie der herrlichste Garten voll Sonnen und Blumen; da lagen große Schlösser von Glas und von Marmor: auf den Altanen standen Prinzessinnen, und diese waren alle kleine Mädchen, die Hjalmar gut kannte; er hatte früher mit ihnen gespielt. Jede streckte die Hände aus und hielt das niedlichste Zuckerherz hin, welches je eine Kuchenfrau verkaufen konnte; und Hjalmar faßte die eine Seite des Zuckerherzens an, indem er vorüberfuhr, und die Prinzessin hielt recht fest, und so bekam Jeder ein Stück: sie das kleinste, Hjalmar das größte. Bei jedem Schlosse standen kleine Prinzen Schildwache, sie schulterten mit Goldsäbeln und ließen Rosinen und Zinnsoldaten regnen; man sah es ihnen an, daß es echte Prinzen waren.

      Bald segelte Hjalmar durch Wälder, bald durch große Säle, oder mitten durch eine Stadt, er kam auch durch die, in welchem sein Kindermädchen wohnte, welche ihn getragen hatte, da er noch ein kleiner Knabe war, und die ihm immer so gut gewesen; sie nickte und winkte und sang den niedlichen kleinen Vers, den sie selbst gedichtet und Hjalmar gesendet hatte:

      Ich denke Deiner so manches Mal,

       Mein theurer Hjalmar, Du Lieber!

       Ich gab Dir Küsse ohne Zahl

       Auf Stirne, Mund und Augenlider.

       Ich hörte Dich lallen das erste Wort,

       Doch mußt' ich Dir Abschied sagen;

       Es segne der Herr Dich an jedem Ort,

       Du Engel, den ich getragen.

      Und alle Vögel sangen mit, die Blumen tanzten auf den Stielen und die alten Bäume nickten, als ob Ole Luk-Oie ihnen auch Geschichten erzähle.

      Mittwoch.

      Nein, wie strömte der Regen draußen hernieder! Hjalmar konnte es im Schlafe hören; und da Ole Luk-Oie ein Fenster öffnete, stand das Wasser herauf bis an das Fensterbrett; es war ein ganzer See da draußen, aber das prächtigste Schiff lag dicht am Hause.

      »Willst Du mitsegeln, kleiner Hjalmar,« sagte Ole Luk-Oie, »so kannst Du diese Nacht nach fremden Ländern gelangen und morgen wieder hier sein!« –

      Da stand Hjalmar plötzlich in seinen Sonntagskleidern mitten auf dem prächtigen Schiffe; sogleich wurde das Wetter schön, und sie segelten durch die Straßen, kreuzten um die Kirche und nun war Alles eine große wilde See. Sie segelten so lange, bis kein Land mehr zu erblicken war, und sie sahen einen Flug Störche, die kamen auch aus der Heimath und wollten nach den warmen Ländern; ein Storch flog immer hinter dem andern, und sie waren schon weit, weit