David Signer

Die Ökonomie der Hexerei


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Stimme sich durch sie zu äußern beginnt. In solchen Séancen wird anschaulich, was die Afrikaner und Afrikanerinnen meinen, wenn sie so häufig davon sprechen, dass es neben der Tagwelt noch eine andere Ebene, eine surréalité gebe, die unsichtbar, aber an ihren Spuren auch am Morgen noch erkennbar sei, wie ein nächtlicher Föhnsturm. Für den, der Augen hat zu sehen.

      In „Wahn-, Warn- und Wahrträume“ geht es vor allem um die Reisen, die ich mit Coulibaly zu Heilern in Guinea unternommen habe (ein Land, das oft als Hochburg der Féticheure bezeichnet wird, insbesondere auch, wenn es darum geht, sich gegen jemanden zu schützen, wie der Klient sagen würde; jemandem Schaden zuzufügen, wie das betroffene Opfer sagen würde). Viel Platz nehmen dabei die Schilderungen und Deutungen von Träumen ein, denen die Féticheure eine große Wichtigkeit beimessen (weil sie auch Einblicke in jene „andere Welt“ geben, in das verschlossene Studio gewissermaßen, wo der Film gedreht wird, den wir dann am Tag zu sehen bekommen und für real halten).

      Das Kapitel „Initiation in die Kunst des Heilens und Krankmachens“ schildert schließlich, wie ich von Coulibaly eingeweiht wurde. Aus dieser „Innenperspektive“ werfe ich nochmals einen Blick auf die Funktion des Féticheurs als Heilers, beziehungsweise auf die Frage: Wie kann eine Therapie, die auf für uns extrem unwahrscheinlichen Annahmen basiert, Erfolg haben? Die Verfolgung dieser Frage geschieht mit Seitenblicken auf die Klinik „Fann“ in Dakar, wo mit modernen psychiatrischen Methoden gearbeitet wird, aber unter Berücksichtigung des traditionellen Krankheitsverständnisses. Möglicherweise ist ein Féticheur von der Art Coulibalys, der nie eine Schule besucht hat und den Kugelschreiber nur für seine Geheimschrift braucht, angesehener beim Durchschnittsafrikaner als der Psychiatrieprofessor mit seinen Diplomen und der Krawatte – und infolge dessen erfolgreicher, nicht nur was den Kundenandrang betrifft, sondern auch die (subjektiven) Heilresultate. Aber mit jedem Heilerfolg hat er die Vorstellungen von Hexerei und Geisterunwesen auch wieder bestätigt und perpetuiert.

      Das Kapitel „Tropischer Hyperhumanismus“ schließlich kreist um das, was man den kulturellen „Humus“ des Hexereikonzepts nennen könnte: die extreme Ausrichtung auf den andern als Quelle des Glücks wie des Unglücks, die Personalisierung des Universums; man könnte auch sagen „Humanisierung“, sofern man berücksichtigt, dass damit das Leben der Afrikaner im Vergleich zu den „Weißen“ nicht nur ein Mehr an Nähe und Kommunikation aufweist, sondern auch an Personifizierung von Üblem, das „wir“ nicht unbedingt einer konkreten Einzelperson zuschreiben würden.

      Natürlich könnte man sich fragen, ob mit dem hier propagierten und praktizierten Zugang (der Forscher als Klient und damit zugleich Forschungssubjekt und -objekt) noch Distanz und Objektivität möglich seien. Nun, um es kurz zu machen: Man hat meist gar keine andere Wahl. Denn über das System, um das es hier geht, redet der Heiler im Allgemeinen nicht. Man redet im System – oder gar nicht. Natürlich kann man immer über irgendwelche Praktiken reden („muss man vier oder fünf Kaurischnecken vergraben“ usw.), und das war ja auch die Hauptbeschäftigung der konventionellen Ethnologie. Bloß: Ist das wichtig? Was Favret-Saada über das Hainland sagt, gilt auch für Afrika: Entzauberungsrituale zeichnen sich durch ihre Dürftigkeit und Zufälligkeit aus. „Ob dieses oder jenes Ritual angewandt wird, tut wenig zur Sache.“1 Dass der Heiler so tut, als sei es wichtig, gehört zur Funktionsweise des Systems. Hingegen haben die ausgesprochenen Worte ihre genau definierte Funktion. Das Wort im Zusammenhang der Zauberei ist Macht, nicht Information. Und deshalb kann ein Heiler auch nicht „Informant“ sein.

      „Wenn in der Zauberei gesprochen wird, dann niemals, um zu informieren. Und wenn man informiert, dann nur, damit derjenige, der töten soll (der Zauberbanner), weiß, wo er zuschlagen muss. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes undenkbar, einen Ethnographen zu informieren, das heißt jemanden, der versichert, von diesen Informationen keinen Gebrauch machen zu wollen, der ganz naiv etwas wissen will, nur um es zu wissen.“2

      Schlussfolgerung: Der Hexenglaube lässt sich nicht untersuchen, „wenn man nicht bereit ist, in den Situationen, in denen er sich äußert, und in der Rede, die ihn zum Ausdruck bringt, mit eingeschlossen zu werden.“3

      Das heißt, es gibt also eigentlich nur zwei fruchtbare Positionen für den Ethnologen: Man beginnt als Kunde und endet als Lehrling oder Assistent (sowohl Coulibaly wie Clémentine drängten mich erst in die eine und dann in die andere Rolle).

      Nochmals Favret-Saada (die ebenfalls als „Assistentin“ ihrer Informantin endete): „Wenn man einen Wahrsager hören will, gibt es also keine andere Lösung, als sein Kunde zu werden, das heißt, ihm den eigenen Wunsch zur Deutung vorzulegen. (Eine Konsultation ohne Bitte um Wahrsagung ist sinnlos, denn die Hellseherin sieht nichts, und für den Ethnographen gibt es nichts zu verstehen). Es kann bei dieser Gelegenheit nicht ausbleiben, dass der Forscher, wie jeder Einheimische – oder wie jedes wünschende Subjekt – selbst von der Verkennung betroffen wird ...“4

      Diese involvierte Position impliziert ein paar Abweichungen vom ethnologischen Methodenhandbuch:

      Die Verifizierung des Gesagten durch Dritte (durch unparteiische Zeugen) ist absurd, weil das Geschehen per definitionem außerhalb der Interaktion zwischen Kunde und Heiler (und „Hexer“) keine „objektive“ Realität besitzt, respektive sich erst im Behandlungszimmer konstituiert. Noch absurder wäre es, die Rede des „Verhexten“ mit jener der „Hexe“ vergleichen zu wollen. Im Prinzip ist überhaupt „Beobachtung“ (Distanz, Position der Exteriorität) von allem, was mit Hexerei und Antihexerei zu tun hat, ein Widerspruch in sich selbst. Man kommt nicht um „Partizipation“ (auch innere Partizipation, und das heißt zumindest vorübergehende Identifizierung mit dem System) und Subjektivierung (wo, wenn nicht an sich selber, erkennt man, „wie es geht“?) herum. Das schließt Theoretisierung nicht aus. Die wesentliche Rolle von Verteilen-Müssen, Verhext-Werden und Opfern ist mir erst klar geworden, als ich sie am eigenen Leib (will sagen als Klient) erfahren habe. (Ich begab mich damit den Heilern gegenüber in eine Position, die derjenigen der Heiler gegenüber ihren Verwandten auf dem Dorf glich).

      „Man sieht“, schreibt Favret-Saada5, „dass es sich nicht genau um die klassische Situation eines Informationsaustauschs handelt, in der der Ethnograph hoffen könnte, dass ihm ein unschuldiges Wissen über die Vorstellungen und Praktiken des Hexenglaubens mitgeteilt wird. Denn wem es gelingt, sie kennen zu lernen, erwirbt eine Macht und hat die Folgen dieser Macht zu tragen: je mehr er weiß, desto bedrohlicher ist er und desto stärker ist er magisch bedroht.“

      Das heißt, man geht durchaus eine Art von faustischem Pakt ein. Man verkauft seine Seele (lässt sich bis ins Innerste affizieren) und hofft dafür auf Wissen und vor allem, dass man irgendwann, im letzten Moment, den Kopf aus der Schlinge ziehen und ungeschoren zurück ins Studierzimmer flüchten kann.

      Ich konnte in der Elfenbeinküste so sehr „klarstellen“ wie ich wollte; sobald sich irgendwo herumgesprochen hatte, worüber ich forschte, wurde ich als sorcier blanc bezeichnet, und am Ende meiner Initiation gab mir Coulibaly ein Papier, eine Art „Diplom“, das wir beide unterschreiben mussten und in dem festgehalten war, was der Ethnologe alles getan hatte „pour apprendre la sorcellerie et le fétiche, pour se libérer toute la vie et pour aider à ses enfants et ses proches“ – „Um die Hexerei und den Fetischismus zu erlernen und den Kindern und seinen Nächsten zu helfen.“

      Ein großer Teil der Literatur über Hexerei in Afrika, insbesondere der Sechziger- und Siebzigerjahre, behandelt vor allem die Frage, unter welchen Umständen Hexerei auftaucht und wie soziale Faktoren ihre spezifische Ausprägung determinieren. Diese Werke6 sind funktionalistisch in einem doppelten Sinn: Sie untersuchen die Funktion der Hexerei im gesellschaftlichen Ganzen einer spezifischen Kultur, sie fragen aber auch danach, inwiefern die Hexerei Funktion (im mathematischen Sinne) von andern Größen ist (insbesondere solchen, die als grundlegender betrachtet werden, wie die Produktionsweise oder die Verwandschaftsorganisation).7

      Diese