denkt an ihre Bekanntschaft und an die Ohrfeige. Sie verschweigt aber, daß es sich damals um Günther Gellert handelte.
»Ja, er kann sehr nett und charmant sein«, gibt Marina ehrlich zu.
»Am Wochenende treffen wir uns. Um nicht abhängig zu sein, habe ich gesagt, ich bringe dich in meinem Wagen mit. Es ist dir doch recht, Marina?«
»Doch, es ist mir recht. Ein Wochenende Entspannung nach den letzten arbeitsreichen Wochen kann mir nicht schaden.«
*
So kommt es, daß Albert Gellert hinter dem Wagen seines Sohnes her sieht. Noch einmal so jung und unbeschwert sein dürfen!
Unsinn! Ich bin doch nicht alt! Was hindert mich daran, ebenfalls auszugehen?
Er setzt diesen Gedanken auch sofort in die Tat um, wählt einen dunklen Anzug, schlüpft in den Mantel und holt den Wagen aus der Garage.
Während er dem Innern der Stadt zufährt, wünscht er sich brennend, Marina möchte neben ihm sitzen. Leider aber ist er allein, und schon bereut er, sich in dieses Abenteuer gestürzt zu haben. Daheim, bei einem guten Buch, wäre ihm jetzt wohler.
Wie lange ist es schon her, daß er in der Kolibri-Bar gewesen ist! Hoffentlich begegne ich nicht meinem Sohn, denkt er und betritt das gutausgestattete Lokal mit seinem auserlesenen Publikum.
Und da sieht er Günther schon von weitem, während er den Mittelgang entlanggeht.
Sein Fuß stockt nur sekundenlang, sein Herz beginnt rascher zu schlagen. Er hat Marina neben seinem Sohn entdeckt.
Nun kann er nicht mehr zurück.
»Das ist wirklich eine Überraschung, Papa.« Günther erhebt sich und geht seinem Vater einige Schritte entgegen.
Gellert begrüßt Dr. Hartmann wie einen guten Bekannten. Er schätzt den Anwalt sehr. Dann läßt er sich Annemarie vorstellen, und zuletzt reicht er Marina die Hand.
Ihre Hand zittert, als er sie umschließt und sie nach kurzem Druck fallen läßt.
»Sind Sie hier verabredet?« wendet er sich an Dr. Hartmann.
»Allerdings. Ich habe mir erlaubt, die beiden Damen einzuladen und Ihren Sohn mit. Sind wir nicht ein nettes Vierergespann?« setzt er gutgelaunt hinzu.
Gellert läßt seine Augen reihum wandern. An Marinas durchsichtig blassem Gesicht bleiben sie hängen. Wie schön sie ist! Hat ihm sein Sohn tatsächlich den Rang abgelaufen? Es schmerzt ihn, und er schilt sich gleichzeitig töricht.
Jugend gehört zu Jugend.
Trotzdem muß er immer wieder hinüber zu Marina blicken, die still und in sich versunken der Musik lauscht.
Da packt ihn die Sehnsucht. Er kritzelt etwas auf eine Karte und übergibt sie dem Kellner.
Marina zuckt zusammen. Unwillkürlich schaut sie auf Gellert. Er lächelt ihr zu. Es ist ein kurzes, verständnisinniges Lächeln.
»Du bist die Welt für mich… Ich lebe nur für dich…
Für dich allein…«
»Darf ich um diesen Tanz bitten?« Gellert verneigt sich vor Marina, und verwirrt geht sie vor ihm her, der Tanzfläche zu.
»Denken Sie noch manchmal an unser Lied?«
Willig hat Marina sich in seinen Arm geschmiegt. Sie hebt die dunklen Wimpern. »Unser« Lied hat er gesagt. Sie nickt und fühlt, wie es ihr heiß in die Augen steigt.
»Es ist eine wunderschöne Melodie«, sagt sie mit rauher Stimme.
»Und der Text ist ebenfalls schön«, setzt er hinzu. Schweigend tanzen sie. Auch hier wirft man ihnen bewundernde Blicke zu.
Günther Gellert beobachtet die Tanzenden aufmerksam.
»Donnerwetter«, entfährt es ihm anerkennend. »Mein Vater ist mir zuvorgekommen. Es sieht aus, als wären sie aufeinander eingespielt. Man sieht ihnen gern zu.«
Annemarie ist zumute, als würde ihr ein Schleier von den Augen gerissen. Marinas Gesichtsausdruck sagt ihr alles. Deshalb also Marinas wechselvolle Stimmungen.
Sie findet Günther Gellert sehr sympathisch, vor allem deshalb, weil aus seinen Worten kein bißchen Neid gesprochen hat.
»Ich danke Ihnen«, flüstert Gellert nach Beendigung des Tanzes. »Das war sehr schön!«
Da war wieder die Wärme in seiner Stimme, genau wie damals in London. Als sie aber wieder am Tisch sitzen, macht er einen unbeteiligten Eindruck, und sie wird ganz traurig.
Am liebsten möchte sie weglaufen und sich irgendwo ausweinen. Aber Günther bittet sie um den nächsten Tanz, und so erhebt sie sich mit unsicheren Beinen. Nach diesem Tanz mit Albert Gellert kann es nichts Schöneres mehr für sie geben.
Auch Annemarie und Doktor Hartmann haben sich unter die Tanzenden gemischt. Marinas Augen suchten den Mann, der jetzt einsam am Tisch zurückgeblieben ist. Ihre Blicke begegnen sich, und sie spürt, wie es ihr die Röte in die Wangen treibt.
Unbefangen plaudert Günther. Er bemerkt Marinas Schweigsamkeit gar nicht. Er ist glücklich, Marina im Arm halten zu dürfen.
In diesem Augenblick gleicht er seinem Vater so sehr, daß sie erschrickt. Es ist wirklich nicht schwer, Günthers Verehrung für sie festzustellen.
Wenn sie sich doch die Liebe zu seinem Vater aus dem Herzen reißen könnte!
Sie seufzt leise. Das Herz ist ein gar eigenwillig Ding, und nicht jede Liebe findet Erfüllung.
Das ist wie ein Abschluß ihrer Gedanken, und nun unterhält sie sich mit Günther. Sein Ton ist ehrerbietig, und sie wundert sich, wie sehr er sich gewandelt hat.
Sie muß sich ablenken und betäuben. An den Tisch zurückgekehrt, leert sie ein Glas des vorzüglichen Weines in einem Zug.
Allmählich beginnen ihre Wangen zu brennen. Sie läßt sich von Gellert gern nachschenken. Günther ist witzig und unterhaltend, und oft ertönt Marinas dunkles, warmes Lachen, dem Gellert nachlauscht.
Doktor Hartmann und Annemarie sind wieder in Streit geraten.
»Werfen Sie sie doch einfach hinaus«, gibt sie ihm den Rat, als sie ihn nach Susanne fragt und er sich über die Erzieherin beklagt.
»Und wo nehme ich so schnell eine andere Erzieherin her?« fragt er zurück.
Annemarie nagt an ihrer Unterlippe. »Ja – woher nehmen«, überlegt sie und schlägt dann vor: »Versuchen Sie es doch einmal mit einer älteren, mütterlichen Frau. Schließlich ist Susanne erst vier Jahre alt. Später kann sie in die Schule gehen. Jetzt braucht sie eine mütterliche Hand. Das ist Ihnen doch klar – oder?«
»Ich bin ein ausgesprochener Pechvogel, und in der Wahl der Erzieherinnen habe ich eine besonders unglückliche Hand«, klagt er.
»Unsinn«, fährt sie ihn an. »Sie sehen nur das Äußere, und deshalb erleben Sie einen Reinfall nach dem anderen.«
»Finden Sie Fräulein Vollmer so anziehend?«
Sie greift zur Zigarette, und er gibt ihr schnell Feuer.
»Hier geht es doch nicht um meine Meinung. Vielleicht findet Fräulein Vollmer Sie anziehend – und deshalb…«
Mit einer ganz kurzen Handbewegung unterbricht er sie. »Wann lassen Sie denn einmal einen guten Faden an mir?«
Sie macht große Augen. »Mein Gott, streiten wir schon wieder?« Sie blickt ihn unsicher von der Seite an. »Ich bin ein Biest, ja?«
»Sagen wir ein Kätzchen, das seine niedlichen Krallen zu gebrauchen weiß.«
Energisch richtet Annemarie sich auf. »Von einem Kätzchen habe ich nichts an mir. Dazu muß ich zu ernsthaft arbeiten. Mich faßt man auch nicht mit Samthandschuhen an.«
»Und warum heiraten Sie nicht und