Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman


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gellt durch die weite Halle. Er findet ein vielfältiges Echo. Von allen Seiten kommt das Personal herbeigestürzt. Am Ende der Freitreppe erscheinen Annemarie und Frau von Reimar mit erschreckten Gesich-

      tern.

      Marina liegt leblos zu Füßen ihres Gatten. Blut rieselt unter dem dichten Haar hervor, färbt den zarten weißen Nacken purpurn.

      Gellert, dem man den Gipsverband abgenommen hat, und der den Arm in der Binde trägt, kniet fassungslos vor der geliebten Frau. Felix hat schnell den Koffer weggeworfen.

      »Helfen Sie, Felix, bitte, tragen Sie die gnädige Frau in ihr Zimmer.« Albert knirscht mit den Zähnen. Daß er auch so ohnmächtig sein muß, daß er seinen Arm noch nicht richtig gebrauchen kann!

      Er hält mit der gesunden linken Marinas Kopf, ungeachtet, daß das Blut über Anzug und Hand läuft.

      »Annemarie, schnell, rufe Doktor Steinke an. Nein, lieber Professor Eickberg. Er soll kommen, sofort soll er kommen.« Er schreit es Annemarie förmlich entgegen.

      Der kleine Zug zieht an Annemaries Augen wie ein Gespensterzug vorbei. Lieber Gott, betet sie. Ihre Lippen bewegen sich lautlos. Lieber Gott! Sie war so glücklich.

      Heiß steigt es ihr in der Kehle hoch, es macht sich in einem befreienden Aufschluchzen Luft. Dann stürmt sie auf den Apparat zu und wählt zitternd die Nummer.

      Behutsam legt indessen Felix die junge Herrin auf ihr Bett. Weiß, wie

      leblos, liegt sie da. Auf Zehenspitzen geht er davon.

      Albert Gellert läßt sich auf den Hocker vor dem Bett nieder, nimmt die kühle Hand. Wenn er sich nicht schämte, er würde weinen wie ein kleiner Junge.

      Aber wann hätte sich einmal ein Albert Gellert so gehen lassen? Er weint seinen Schmerz nach innen.

      Draußen vor der Tür im Gang steht das Personal mit verschüchterten Mienen herum.

      Das Haus der Freude ist zu einem Trauerhaus geworden.

      *

      Professor Eickberg hat mit Genehmigung Gellerts noch einen zweiten berühmten Arzt, Professor Wendler, herbeigerufen.

      Sie unterhalten sich eine Weile. Immer noch sitzt Gellert an Marinas Bett. Er wartet fieberhaft auf das Ergebnis.

      Endlich tauchen die beiden Ärzte bei ihm auf. Ein Hagel von Fremdwörtern prasselt auf ihn hernieder. Kein einziges vermag er in seinem Gedächtnis festzuhalten.

      »Wir möchten noch eine gründliche Untersuchung vornehmen. Würden Sie nebenan auf das Ergebnis warten?«

      Gellert erhebt sich taumelnd, wirft einen langen Blick auf das todblasse, unendlich süße Antlitz der geliebten Frau und geht wortlos hinaus.

      Wieder beginnt eine nervenfressende Wartezeit. Ruhelos geht er in Marinas Salon hin und her. Er bemerkt nicht einmal Annemarie, die sich in eine Ecke gedrückt hat und leise in ihr Taschentuch schluchzt.

      Drei Schritte hin, drei Schritte her, zählt Gellert. Einem zum Tode Verurteilten kann nicht anders zumute sein. Was werden die Ärzte ihm für Nachricht bringen? Wird sie ein Todesurteil bedeuten?

      Und dann treten sie ein. Armer Teufel, denkt Professor Eickberg und mißt über den Rand seiner Brille hinweg den Mann, den er heute erst aus seiner Behandlung entlassen hat als einen vor Glück strahlenden Mann und vor dessen ehern wirkendem Gesicht mit den erloschenen Augen er den Blick zur Seite gleiten läßt. Merkwürdig! Er fühlt sich diesem Paar irgendwie verbunden, ohne diesem Gefühl einen rechten Namen geben zu können.

      Er räuspert sich.

      »Ein Transport Ihrer Gattin wäre lebensgefährlich, Herr Gellert. Die Wunde am Kopf ist eine Platzwunde, aber nicht allzu ernst.« Und dann richtet er seine ernsten Augen voll auf Gellert. »Was ist Ihnen wichtiger, Herr Gellert, das Leben Ihrer Gattin – oder das Kind?«

      In Gellerts Ohren rauscht es. Von allen Seiten strömt es auf ihn ein.

      »Du bist die Welt für mich…

      Ich lebe nur für dich…«

      Er schüttelt ein wenig mit dem Kopf, als könne er diesen Bann von sich abschütteln.

      »Meine Frau muß leben, unter aüen Umständen leben«, fällt er seine klare Entscheidung.

      »Leider ist es unmöglich, eine Geburt einzuleiten. Wir müssen Ihrer Gattin das Kind nehmen, und zwar sehr bald, möglichst sofort, um innere Blutungen zu vermeiden – oder aber zu unterbinden. Wo können wir einen provisorischen Operationssaal herrichten?«

      »Mein ganzes Haus steht Ihnen zur Verfügung.«

      »Danke!«

      Professor Eickberg klemmt sich ans Telefon und gibt an seine Klinik kurze, bestimmte Befehle. In der nächsten halben Stunde trommelt er alles zusammen, was beim Umräumen noch brauchbar ist.

      Kaum zwanzig Minuten sind vergangen, als ein Wagen der Ambulanz eintrifft mit all den Dingen, die den beiden Ärzten bei ihrem Eingriff unentbehrlich sind. Seine Operationsschwester ist mitgekommen und einer der Assistenzärzte, der die Narkose überwacht.

      Es ist ein gespenstisch anmutendes Treiben, das hinter der Flügeltür zu Gellerts Schlafzimmer beginnt.

      Wieder das Warten, das an Gellerts Nerven zerrt. Die Unruhe, die Ungewißheit um Marinas Schicksal martern ihn, wenngleich er sich nach außenhin eisern in der Gewalt hat.

      Heute geht es nicht um eine geschäftliche Transaktion, um deren Zustandekommen er bangen müßte, heute geht es um das Leben der geliebten Frau. So grausam kann doch der Herrgott nicht sein! Kaum haben sie sich gefunden, soll Marina ihm wieder genommen werden?

      Annemarie beobachtet Gellert aus großen, verweinten Augen. Auch ihr ist das alles unfaßbar. Vor dem Gesichtsausdruck Gellerts beginnt sie sich zu fürchten. Und ausgerechnet jetzt ist Konrad nicht bei ihr. »Weggefahren«, hat man ihr in seiner Kanzlei kurz mitgeteilt.

      Sie hat hinterlassen, er möge sie sofort im Hause Gellert anrufen, es sei sehr, sehr wichtig. Und nun wartet sie auf das Resultat der Operation, auf Konrads Anruf. Sie steht unter der gleichen Spannung wie Gellert.

      Gellert hat seinen ruhelosen Marsch durch Marinas Salon wieder aufgenommen. Manchmal geht er auf den Gang hinaus und lauscht. Die Ruhe hinter der Tür seines Zimmers ist ihm unheimlich. Er spürt es in allen Nerven, daß dort um Marinas Leben gerungen wird, daß es sich um einen Eingriff handelt, bei dem es um Leben oder Tod geht.

      Die Zeit verrinnt unaufhaltsam. Jede Minute dünkt Gellert eine Ewigkeit. Jede Stunde hat sechzig Minuten. Sechzig Minuten tiefster Verzweiflung und zager Hoffnung.

      Es klopft leise. Frau von Reimar öffnet die Tür einen Spalt und winkt Annemarie zu.

      »Herr Doktor Hartmann ist am Telefon«, flüstert sie Annemarie zu, und auf Zehenspitzen gehen sie über den Gang hinunter in die Halle.

      Annemarie weint laut auf, als sie die vertraute Stimme ihres Verlobten hört.

      »Annemarie, du weinst? Was ist los?« Helle Bestürzung liegt in Hartmanns Stimme.

      »Bitte, komm«, fleht Annemarie. »Du mußt sofort kommen. Ich brauche dich. Ein gräßliches Unglück… Komm sofort, bitte.«

      »In zwanzig Minuten bin ich da. Wiedersehen.« Das kommt so schnell und entschlossen, daß Annemarie mit einem Seufzer der Befreiung auflegt.

      Sie bleibt in der Halle sitzen, den Blick nach oben gerichtet, ob sich etwas tut.

      Doktor Hartmann erscheint. Er schließt Annemarie in seine Arme. Sie wirft die Arme um seinen Hals und weint an seiner Schulter leise vor sich hin. So kennt er Annemarie, die allzeit resolute Frau, nicht. Es muß etwas Schwerwiegendes passiert sein.

      Nach und nach beruhigt sie sich etwas, und sie berichtet, was sich hier abgespielt hat.

      »Und nun liegt Marina unter dem Messer«, schließt sie, die Augen mit Tränen gefüllt. »Albert Gellert