sein Leben in vollen Zügen genossen und der nichts als Unruhe um sich verbreitet hatte, der sich auch nicht viel daraus gemacht hatte, wenn er mit den Gesetzen in Konflikt gekommen war.
Er war gegen alles grenzenlos gleichgültig geworden.
In den Kreisen der Lebewelt war er eine bekannte Erscheinung, und nur in den Bars erwachte er für ein paar Stunden zu alter Lebenslust.
Abrupt machte er auf dem Absatz kehrt und ging wieder in sein Arbeitszimmer zurück. Vor dem Kamin ließ er sich aufstöhnend nieder.
Den Kopf in die Hand gestützt, sann er vor sich hin. Und sein bisheriges Leben rollte wie ein Film vor ihm ab.
Ein schönes, reines Frauenantlitz stieg vor ihm auf.
Bettina!
Sie hatte ihn geliebt, und er hatte sie betrogen, gequält und gedemütigt, bis sie sich voller Verachtung von ihm gewandt hatte. Sein süßes kleines Mädel, seine Angela, nahm sie mit.
Er hatte ihr damals Rache geschworen, weit entfernt davon, sich an den Geschehnissen selbst die Schuld zuzuschreiben, und er hatte Rache an ihr genommen, grausame Rache. Dem Mann, dem sich ihr scheu gewordenes Frauenherz zum zweiten Mal in Liebe zugeneigt, hatte er nach einem Verkehrsunfall die Hilfe verweigert. Er war gestorben, und er – Udo – hatte ins Gefängnis gehen müssen.
Nun! Er hatte auch das überstanden.
Er hatte sich vorgenommen, nie wieder Bettinas Weg zu kreuzen. Aber ernst genommen hatte er den eigenen Schwur nicht. Er hatte immer wieder Freude daran gefunden, sie zu quälen, bis – ja – bis Nora in sein Leben getreten war. Ihr war er rettungslos verfallen. Aber mit ihr konnte er nicht so umspringen wie mit der gefügigen und unerfahrenen Bettina.
Nora hatte ihm mit gleicher Münze heimgezahlt. Sie hatte in Dr. Helmer, dem schwerreichen, rastlos tätigen Manne, einen wahren Freund gefunden, der alles für sie regelte.
Reimer sah sich in dem Zimmer um. Alles, was hier zusammengetragen war, hatte Nora ihm großzügig überlassen, weil Dr. Helmer, dessen Frau sie längst war, es so gewollt hatte.
Er hatte sich mit Geld abfinden lassen müssen.
Noch jetzt stieg die Wut in ihm wie eine Fackel empor. Diese Demütigung wurde er nie vergessen.
Er hatte das Geld genommen und mit vollen Händen wieder ausgegeben. Nichts vermochte er zu halten. Alles zerrann ihm zwischen den Fingern.
Geld – und Glück!
Bettina! Sie hatte kein so glückliches Los getroffen. Oder doch? Sie lebte im Hause Dr. Hersfelds und betreute dessen einzigen Sohn, bei dessen Geburt die geliebte Frau, die Bettinas beste Freundin gewesen war, das Leben lassen mußte. In ihm hatte sie einen guten Freund, wenn nicht noch mehr gefunden.
Aber sie lebte nur für ihr Kind, für Angela.
Seine Angela. Was aus ihr geworden sein mochte?
Er riß sich aus seinen Betrachtungen heraus und kleidete sich zum Ausgehen um.
Wenig später verließ er das Haus. Etwas von der alten Energie schien in ihm zu erwachen. Es galt, ein Geschäft mit dem Freund Kraner zum Abschluß zu bringen.
Schließlich konnte er nicht mehr länger in den Tag hineinleben. Diese Gelegenheit, auf leichte Weise Geld zu verdienen, wollte er sich nicht entgehen lassen, und so war er froh, den erdrückend wirkenden Mauern seines Hauses entfliehen zu können.
Merkwürdig, daß er gerade heute so an die Vergangenheit erinnert wurde, wo er doch jahrelang nichts mehr von Bettina und seiner Tochter gehört hatte.
Just, als er in Begleitung seines Freundes Kraner dessen Haus verließ, um den Wagen zu besteigen, ging ein entzückendes, blutjunges Mädchen dicht an ihm vorüber, bei dessen Anblick er wie angewurzelt stehenblieb.
»Bettina!« murmelte er geistesabwesend. Sofort wurde ihm klar, daß er seinem Kind, seiner Angela, begegnet war.
Genau wie Bettina einst ausgesehen, als sie ihn in den Bann geschlagen hatte, so mußte er nun sein Kind wiedersehen. Schön, lieblich – und ernst.
»Menschenskind«, riß ihn die Stimme des Freundes in die Wirklichkeit zurück, »kennst du die Kleine?«
»Ja«, erwiderte er kurz und hart. »Das war meine Tochter aus erster Ehe.«
An diesem Tag blieb er schweigsam und suchte am zeitigen Abend sein Heim auf.
Unablässig wanderte er von Zimmer zu Zimmer.
Er genoß keinen guten Ruf, darüber war er sich klar. Aber – es war durchaus nicht ausgeschlossen, daß er an der Seite Angelas noch einmal glänzen konnte.
Ihm war nicht entgangen, daß um das Mädel dieselbe natürliche Vornehmheit wehte wie einst um ihre Mutter. Etwas, man konnte es schlecht mit Worten bezeichnen, umgab Angela, was gefangennahm.
War er nicht Angelas Vater? Wer wollte es ihm verwehren, wenn er sich mit ihr traf, sich an ihrer Seite sehen ließ? Mit wieviel Stolz konnte er dann sagen:
»Meine Tochter!«
Er sonnte sich förmlich in diesen beiden Worten. Nur an sich dachte er, nicht an das junge Menschenkind, das wohlbehütet in einer reinen Umgebung zu einem innerlich sauberen Geschöpf herangewachsen war.
Wo konnte er ihr unauffällig begegnen? Zunächst hieß es, Erkundigungen einziehen, und das tat er sofort, am nächsten Tag schon.
Was er erfuhr, befriedigte ihn noch mehr. Angela hatte soeben das letzte Schuljahr auf dem Gymnasium begonnen.
Man konnte demnach ein zufälliges Zusammentreffen herbeiführen.
Reimer hatte vorläufig für nichts anderes mehr Sinn als für seinen neuen Plan, und dazu war ihm Angela gerade recht.
*
Angela hatte in Susanne Poller eine wahre Freundin gefunden, sehr zum Groll von Inge Ahnert. Nie würde diese es Angela vergessen, daß Susanne zu dem verhaßten Mädchen übergewechselt war.
Angela war viel zu unbefangen und harmlos, um den tiefen Haß zu spüren. Sie kannte keine schlechten Gedanken und suchte sie demnach auch bei anderen nicht, am wenigsten bei ihren Kameradinnen.
Sie gab sich offen und herzlich. Das war nicht zuletzt Susanne Pollers Verdienst, die durch ihren Übermut die ernste Angela mit fortriß.
Angela verließ einmal nicht in Begleitung Susanne Pollers die Schule, da diese mit einer leichten Erkältung zu Bett lag.
Sie schlug auch nicht sofort den Heimweg ein, sondern ging der Straßenbahn-Haltestelle zu, um zu Susanne zu fahren und dieser das Aufgabenheft zu bringen.
Sie schaute nachdenklich zum Fenster hinaus und hatte dabei das unangenehme Gefühl, daß sie unausgesetzt angestarrt wurde.
Endlich wandte sie den Kopf und blickte auf ihr Gegenüber. Da war ihr, als müsse ihr Herz aussetzen. Jetzt neigte sich der Mann etwas zu ihr herüber und flüsterte:
»Angela – liebe, kleine Angela!«
Um Angela begann sich alles zu drehen, die Menschen, die bunten Plakate…
Sie riß sich zusammen. Sie war doch keine Zimperliese! Zaghaft streckte sie die Hand aus, aber sie konnte doch nicht verhindern, daß sie zitterte, als sie diese in die ihres Vaters legte.
»Angela! Hast du keinen Willkommensgruß für deinen Vater?«
Angelas Lippen waren wie versiegelt, und heftig zog sie ihre Hand zurück. Groß und weit waren ihre Augen auf das Gesicht des Mannes geheftet, der ihr so fremd war wie die Menschen, die um sie waren.
»Was willst du von mir?« stieß sie mit größter Überwindung hervor.
»Das läßt sich nicht ohne weiteres erklären.« Er sah sich nach etwaigen neugierigen Blicken um. In der Tat, man wurde bereits aufmerksam auf das ungleiche Paar. Auf den eleganten Mann mit den verlebten Zügen und das blutjunge, bildschöne Geschöpf,