und hatte die Hände im Schoß verkrampft.
»Angela!« rief sie erschrocken von der Türe her.
Angelas Kopf flog herum; ihr zartes Gesicht erblaßte jäh, als sie die Mutter erblickte.
»Hast du Ärger in der Schule gehabt?« forschte Bettina, langsam näher kommend.
»Ach nein, Mutti«, wehrte Angela ab, legte aber nicht wie sonst ihre Arme um der Mutter Hals, sondern machte sich an ihrer Schulmappe zu schaffen. »Mir geht nur eine Arbeit im Kopf herum – weiter nichts.«
Es gelang ihr, gleichmütig auszusehen. Und den nachdenklichen Zug, der auf Angelas Zügen haftete, kannte Bettina schon.
»Das muß allerdings eine sehr schwierige Arbeit sein, Kind, wenn du darüber das Mittagessen vergißt.«
»Richtig, Mutti«, lachte nun auch Angela und strich sich das etwas wirre Haar aus der Stirn.
Dann hängte sie sich an der Mutter Arm und verließ mit ihr das Zimmer, um im Erdgeschoß das Essen einzunehmen.
Dabei plauderte sie lebhaft von der Schule und von Susanne Poller, bei der sie gewesen sei und die noch ein paar Tage das Bett hüten müsse.
Bettina fühlte das Verkrampfte wohl in Angelas Wesen, aber sie maß dem keine Wichtigkeit bei.
Es würde auch manchmal in der Schule nicht alles so glatt gehen, und da Angela niemals mit irgendwelchen Klagen zu ihr kam, drang sie nicht weiter in sie.
Gleich nach der Mahlzeit suchte Angela ihr Zimmer wieder auf, um sich über ihre Arbeit zu machen, wie sie der Mutter dann erklärt hatte, und diese ging ganz beruhigt ihren Pflichten nach.
Sie wäre aber weniger ruhig gewesen, wenn sie Angela jetzt gesehen hätte, wie sie untätig vor ihrem Schreibtisch saß.
Vater ist wieder da! ging es dem Mädchen unaufhörlich durch den Kopf. Er war wieder in ihre Ruhe eingebrochen. Gottlob, daß die Mutter so ahnungslos war! Sie wollte auch dafür sorgen, daß der Mutter Ruhe durch den Vater nicht erneut erschüttert wurde.
Heute wagte sie, ihm allein gegenüberzutreten und auch fertig zu werden mit ihm. Was wollte er von ihr? Sie war sich keine Minute darüber im Zweifel, daß besondere Gründe ihn hergetrieben hatten.
Er wohnte in München? Zittern lief über ihren schmalen Körper. Wenn der Zufall es wollte, dann lief er Mutti in den Weg – und dann half alles Verheimlichen nichts.
Aber vielleicht würde er Mutti ausweichen? Vielleicht ging es ihm nur um sie, um sein Kind?
Verächtlich kräuselten sich ihre Lippen. Liebe, väterliche Zuneigung war es ganz gewiß nicht, davon war sie überzeugt.
Und nun prüfte sie sich und ihre Gefühle genau. Nein, es gab keine Verbindung zwischen ihr und dem Vater, weder äußerlich noch seelisch. Kein Gefühl sprach in ihr für ihn.
Ob sie sich an Onkel Fritz wandte? Doch was konnte er ihr schon helfenl Er würde Reimer irgendwie reizen, und dann bekam sie nie vor ihm Ruhe.
Sie würde ihm ganz einfach klarmachen, daß er sich ihr nicht wieder nähern sollte. Er mußte doch soviel Ehrgefühl besitzen, sich ihr nicht aufzudrängen, wenn sie es nicht wollte.
Aber – war sie nicht auch sein Kind? Gab es denn Gesetze, die sie zwangen, ihn anzuerkennen?
Angela war ratlos und dem Weinen nahe. Ganz gleich, ob das Recht auf seiner Seite lag, sie zwingen, ihm freundliche Gefühle entgegenzubringen, das konnte er nicht.
Ach, was zergrübelte sie sich den Kopf und machte sich dadurch das Herz noch schwerer? Sie würde alles an sich herantreten lassen – und dann handeln.
Wenn er nur Mutti den Frieden ließ, alles andere war halb so schlimm!
Mit diesem tröstlichen Gedanken schlug sie ihre Bücher auf und begann zu arbeiten.
Am nächsten Morgen trat Angela seltsam beruhigt den Schulweg an. Sie fühlte sich recht vereinsamt, da Susanne Poller nicht da war. Ihre Freundschaft mit diesem Mädel erfüllte sie so sehr, daß sie zu den anderen Kameradinnen in kein wärmeres Verhältnis getreten war.
Sie seufzte tief, als sie den Weg zum Klassenzimmer nahm.
Die Mädels steckten bei ihrem Eintritt die Köpfe zusammen. Was sie wohl wieder zu tuscheln haben? dachte Angela, grüßte und suchte ihren Platz auf.
Sie nahm ein Buch zur Hand und versuchte, die Zeit bis zum Beginn des Unterrichts totzuschlagen. Zur richtigen Sammlung kam sie jedoch nicht, denn nun beschäftigte sie wieder stark der Gedanke an den – Vater.
So merkte sie auch nicht die teils staunenden, teils hämischen Blicke, die sie trafen.
Die Gruppe, die um Inge Ahnert gestanden hatte, löste sich, und Inge ging dicht an Angela vorbei, um sich über die Bank zu lehnen.
Dabei sagte sie recht gehässig und lächelte vielsagend:
»Ja, ja, wer hätte das gedacht! Stille Wasser sind tief. Wenn das erst mal zum Direktor kommt, gibt es einen mächtigen Krach.«
Unter diesen boshaften Worten wich alles Blut aus Angelas Wangen.
»Willst du nicht ehrlich sagen, was du mit dieser merkwürdigen Andeutung meinst?« fragte sie so ruhig sie vermochte.
»Das erübrigt sich wohl, denn du weißt sehr genau Bescheid. Also, bitte, verstell dich nicht so! Du warst schon immer eine – Heimliche!«
Sie glitt von Angela fort, denn unter deren traurigem Blick war ihr doch nicht sehr wohl.
Angela fühlte einen rasenden Schmerz in sich. Wie gern hätte sie gerade diese Gelegenheit benutzt, um ein besseres, herzlicheres Verhältnis zwischen sich und den Kameradinnen herzustellen, wenn sie nicht bis ins Herz von dem gehässigen Ton getroffen worden wäre. Das war ja Feindschaft, die man ihr entgegenbrachte! Warum nur? Was hatte sie sich vorzuwerfen?
Stolz schoß wie eine Flamme in ihr empor, und er war es auch, der ihr den Mund verschloß und ihr verbot, sich gegen diesen boshaften Angriff zur Wehr zu setzen.
Nach Beendigung der Schule verließ Angela zögernd, als eine der letzten, das Schulgebäude.
Sie war durch den Zwischenfall so erschüttert, daß sie nicht einmal sonderlich betroffen war, als ihr Reimer mit lächelndem Gesicht entgegentrat.
»Siehst du, nun sehen wir uns doch schneller wieder als erhofft«, triumphierte er.
Als sie ihn aber mit gleichmütigem Gesicht neben sich duldete und sich nicht einmal gegen seine Begleitung auflehnte, war er doch etwas überrascht.
»Hast du es sehr eilig heimzukommen?« fragte er vorsichtig.
Sie schüttelte den Kopf.
»Wollen wir schnell irgendwo etwas zu uns nehmen?«
Angela fuhr in die Höhe. Jetzt kam ihr erst richtig zu Bewußtsein, daß sie sich vorgenommen hatte, jeder weiteren Begegnung mit dem Vater auszuweichen.
»Bitte, nein, fahre mich sofort heim! Oder nein, fahre mich nicht heim. Wir können ja irgendwo eine Tasse Kaffee zusammen trinken.«
Reimer nickte, und hielt nach fünf Minuten vor einem Wein- und Bierlokal.
Mit gleichgültigen Blicken maß Angela ihre Umgebung. Sie hatte überhaupt noch kein Lokal dieser Art betreten, hätte auch niemals einen Unterschied zwischen gut und zweifelhaft feststellen können.
Reimer bestellte, ohne Angelas Zustimmung einzuholen, eine Flasche Wein und eine Kleinigkeit zu essen.
Als der Kellner wieder verschwunden war, sagte er, sich mit einem zufriedenen Blick umsehend:
»Jetzt hast du den ersten Fuß in die große Welt gesetzt.«
»In die große Welt?«
Mit etwas mehr Aufmerksamkeit schaute sie sich um. Wie Nischen wirkten die einzelnen Tische, da sie durch Wände voneinander getrennt waren.