Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman


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Angela war es, als verursache ihr dieses grelle Lachen richtig körperliche Schmerzen.

      »Na ja«, bemerkte Reimer leichthin, »Halbwelt ist ja auch vertreten, aber das findet man überall dort, wo die große Welt beginnt.«

      Angelas Augen wurden starr und weit.

      »Und dahin fährst du mich?« fragte sie mit blassen, zuckenden Lippen.

      »Warum nicht?« lachte er, belustigt über ihr entsetztes Gesicht. »Du bist ja in meiner Gesellschaft und stehst unter meinem Schutz. Weshalb sollst du das denn nicht auch einmal kennenlernen?«

      »Mutti hätte das nie getan«, fuhr sie wild auf und machte Miene, aufzustehen und davonzulaufen. Da nahm sein eben noch gutmütig lächelndes Gesicht einen drohenden Ausdruck an.

      »Du läufst jetzt nicht davon, verstanden?« zischte er ihr über den Tisch hinweg zu und zwang sie sitzenzubleiben.

      Halb ohnmächtig lehnte Angela in ihrem Sessel. Wenn Mutti wüßte, wo sie sich befand.

      Aufstöhnend legte sie beide Hände vor das Gesicht. Grenzenlose Verachtung stieg in ihr auf und ein fester Wille.

      Sie ließ die Hände sinken und sah aus vor Erregung verdunkelten Augen zu dem Vater hinüber, der soeben den goldgelben Rebensaft in die Gläser laufen ließ.

      »Zum Wohl, Angela!« sagte er, nun wieder freundlich und versöhnt, da sie vernünftig geworden war.

      »Ich trinke keinen Wein«, sagte sie und schob ihm das Glas voll Abscheu wieder zu. »Außerdem bin ich Schülerin des Gymnasiums und darf mit keinem Herrn in ein Weinlokal gehen…«

      »Das glaube ich!« lachte er noch immer und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Glas. »Du kannst dich anscheinend immer noch nicht an den Gedanken gewöhnen, daß ich dein Vater bin. Ich darf dich noch ganz woandershin führen.«

      Angela sah, daß sie dem Vater wirklich hilflos ausgeliefert war. Der Zeiger der elektrischen Uhr, die Angela gegenüber an der Wand hing, rückte mit beängstigender Geschwindigkeit vorwärts.

      »Danke«, sagte sie entschlossen, »aber Wein trinke ich auf keinen Fall. Da ich dir nicht davonlaufen möchte, bitte ich dich recht sehr, bring mich heim!«

      Reimer aber dachte nicht daran, ihr den Wunsch zu erfüllen. Er weidete sich förmlich an ihrer Ruhelosigkeit und Angst.

      »Hast du mir zwei Stunden gestern geschenkt, wird es wohl heute eine Stunde gehen«, versetzte er kaltlächelnd, und dieses Lächeln trieb Angela fast zur Verzweiflung. Sie wußte, er würde in einer Stunde genauso sprechen, und als er ihr gar noch das Glas in die Hand zwang, fegte sie es mit einer einzigen, energischen Handbewegung vom Tisch.

      »Ich trinke nicht!« schrie sie ihm gequält entgegen, so daß er sich ärgerlich umschaute.

      Diesen Augenblick benutzte Angela, um aufzustehen und dem Ausgang zuzulaufen.

      Schwer atmend lehnte sie sekundenlang mit geschlossenen Augen neben dem Eingang des Weinlokals. Ihre Augen waren blind von Tränen, und der Regen, der unbarmherzig vom Himmel strömte, störte sie nicht.

      So gewahrte sie auch ihren Lehrer Dr. Kant nicht, der wenige Schritte von ihr entfernt an dem Lokal vorüberging und dem das Benehmen des Mädchens auffiel.

      Wie ein Ruck ging es durch seine Gestalt. Er erkannte Angela. Schon wollte er zu ihr hingehen und sie zur Rede stellen, als sie wie gehetzt in entgegengesetzter Richtung floh.

      Ein Herr war unter dem Eingang aufgetaucht und rief hinter der schlanken Gestalt mit bittendem Ton her:

      »Angela! – Angela! Dummes Mädchen, ich fahre dich mit meinem Wagen heim!«

      Grenzenlose Enttäuschung überkam Dr. Kant; denn auf den ersten Blick stand sein Urteil über den Mann, der mit einem unangenehmen Lächeln und einem Achselzucken den Weg zurück in das Lokal antrat, fest. Lebemanntyp! Elegante Aufmachung! Gepflegtes Äußeres. Sicherlich verfügt er auch über tadellose Manieren, und damit betörte er nun so ein junges Mädchen wie Angela.

      Seine Enttäuschung über Angela war weitaus größer als seine Empörung über jenen fremden Mann.

      Angela, die er für äußerst stolz und scheu gehalten hatte, ließ sich am hellen Tag von einem solchen Mann in ein Weinlokal zweifelhaften Rufes führen!

      Langsam setzte er seinen Weg bis zur Straßenbahn-Haltestelle fort.

      Sicherlich hatte Angela erkannt, daß sich ihr Begleiter in der Wahl vergriffen hatte, denn ihr verstörtes Wesen hatte es ihm deutlich gezeigt.

      Und nun kamen ihm andere Vorgänge ins Gedächtnis zurück.

      Angela hatte ein paarmal im Unterricht glatt versagt. Auch ihre letzten Arbeiten entbehrten der gewohnten Genauigkeit. Hatte sie sich in Abenteuer verstrickt? War Angela auf dem besten Weg – zu straucheln?

      Dann mußte er eingreifen! Oder – er wollte doch lieber erst noch eine Weile den stillen Beobachter spielen. Schließlich hatte ein jeder Mensch einmal Kämpfe zu bestehen und mußte durch Irrungen hindurch. Zum Eingreifen war immer noch Zeit.

      In einem Zustand innerer Zerrissenheit erreichte Angela ihr und der Mutter Heim.

      Sie fühlte sich so tief in Schuld verstrickt, daß sie ihr Gehirn gar nicht mehr nach einer glaubwürdigen Ausrede anzustrengen vermochte.

      Sie hatte sogar die Straßenbahn verschmäht, als wäre es ihr im Wettlauf mit Regen und Wind möglich, ihren verwirrenden Gedanken zu entfliehen.

      Völlig durchweicht betrat sie das Haus.

      »Aber Angela«, empfing Frau Bettina ihr Mädel erschrocken. »Bist du denn nicht mit der Straßenbahn gefahren?« Dabei glitt ihr Blick in die Ecke, wo die Standuhr soeben die zweite Stunde verkündete.

      »Zuerst habe ich im Schulhaus den

      Regenguß abgewartet, dann bin ich heimgelaufen«, stammelte Angela und beeilte sich, an der Mutter vorbeizukommen.

      Sie lügt, durchschoß es Frau Bettina, und wie haltsuchend lehnte sie sich an die Wand, während ein trauriger Blick hinter der flüchtigen Mädchengestalt her lief.

      Angela hetzte in ihr Zimmer, warf die Mappe achtlos in die nächste Ecke und riß sich die Kleider förmlich vom Leibe. Nach fünf Minuten erschien sie, vom Kopf bis Fuß umgezogen, unten bei der Mutter.

      Frau Bettina stand am Fenster,

      schien aufmerksam in den Regen hinauszustarren und sah doch nichts. Weder den Regen und die vom Wind geschüttelten Bäume noch die großen Pfützen, die sich gebildet hatten.

      Angela belügt mich – Angela belügt mich! dachte sie nur immer.

      »Hast du mit dem Essen auf mich gewartet, Mutti?« hörte sie Angelas zaghafte Stimme, und ihr war, als klängen Tränen hindurch.

      »Ja«, sagte sie ruhig. »Du kannst aber allein essen, Angela. Mir ist der Hunger vergangen.«

      Sie weiß alles! ging es Angela verzweifelt durch den Kopf, indem sie sich niederließ und nur an den Speisen nippte. Sie ahnt, daß ich sie belogen habe.

      Wenn sie erst alles wüßte! setzte sie sogleich in Gedanken hinzu. Gut, daß sie dennoch ahnungslos ist.

      Trotzdem zog sich Angelas Herz voll Schmerz zusammen. Wenn sie der Mutter Vertrauen und Liebe verlöre, bloß wegen Reimer, den sie aus tiefster Seele verachtete?

      Sie sah die Mutter an sich vorbeigehen und hörte, wie die Tür geöffnet wurde.

      Da war es aus mit ihrer Beherrschung. Sie wähnte sich allein. Die Kälte, die von der Mutter ausgeströmt war, ließ sie heimlich erzittern.

      Sie schob den Teller zurück, legte die Arme auf den Tisch und weinte leise, haltlos.

      Plötzlich fühlte sie sich von den Armen der Mutter umschlungen. »Welche Heimlichkeiten hast du vor mir, Angela? Willst du nicht endlich Vertrauen zu mir haben?«

      »Nichts