Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman


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verzeihe meinen Kameradinnen alles, aber ich werde nie wieder einen Fuß in meine Klasse setzen. Ich kann die Schule niemals wieder betreten.«

      »Gehen Sie für heute heim«, sagte er. »Ich schicke Susanne Poller mit Ihren Sachen hierher. Sie werden von mir hören.«

      »Vielen Dank«, stammelte sie erlöst, und ehe er es sich versah, hatte sie ihre Lippen auf seine Hand gepreßt.

      Schnell verließ er sie und suchte das Klassenzimmer auf. Eine tiefe Falte lag auf seiner Stirn. Er spürte sofort, daß die Stimmung unter den Mädchen umgeschlagen war, und auch das freute ihn, genau wie er vorher die Empörung auf Angela verstanden hatte.

      Keine wagte aufzusehen, als er unschlüssig durch die Reihen ging. Zuerst schickte er Susanne Poller mit Angela Martens’ Sachen in das Lehrerzimmer.

      Und nun wandte er sich an die ganze Klasse.

      »Es gibt Situationen im Leben eines Menschen, wo er dem Punkt nahe gekommen ist, daß er sich nicht anders mehr zu helfen weiß, als durch eine Gewalttat die innere Spannung zum Reißen zu bringen.

      Sie haben Angela Martens bitter Unrecht getan, meine Damen. Vorausschicken möchte ich noch, daß Ihre Kameradin keine von Ihnen verpetzt oder angegriffen hat. Aber« – er lächelte – »schließlich bin ich ja kein Dummkopf und habe in meiner langjährigen Lehrtätigkeit Menschen aller Art – und jeden Charakters kennengelernt. Sie dürfen auch in diesem Fall meiner Menschenkenntnis Glauben schenken. Ich verstehe auch Sie, denn Sie sahen den Ruf Ihrer Klasse durch eine Ihrer Kameradinnen gefährdet und lehnten sich dagegen auf. Wie Sie es taten, war aber nicht ganz richtig. Man verschießt keine Pfeile, die ein junges Menschenherz schwer treffen und es zum Bluten bringen. Vor allem darf man nicht urteilen, wenn man nicht ganz genau Bescheid weiß. Und nun will ich Ihnen gleich noch ein Bekenntnis machen. Ich stand unter dem gleichen Eindruck wie Sie, meine Damen, denn ich – ich hatte Angela Martens auch mit – mit einem Mann gesehen und ihn sofort als einen berüchtigten Lebemann erkannt. Heute habe ich nun zu meinem größten Bedauern erfahren müssen, daß dieser Mann – Angelas Vater ist.«

      Betroffenheit malte sich in den Gesichtern der lauschenden Mädchen. Und als sie sich etwas gefaßt hatten, fuhr er abschließend fort:

      »Damit hat das traurige Vorkommnis, das ich aus tiefstem Herzen bedaure, seine Erklärung gefunden, und Angela Martens’ Ehre ist wiederhergestellt. Wir wollen nun hoffen, daß sie in unsere Mitte zurückkehrt, denn ich würde eine meiner besten Schülerinnen und Sie eine treue, wertvolle Kameradin verlieren. Und nun wollen wir an die gemeinsame Arbeit gehen.«

      Susanne Poller liefen die hellen Tränen über die Wangen.

      Angela, dachte sie, liebe, gute Angela, auch ich hatte dich in Verdacht! Wenn ich das doch vorhin gewußt hättel.

      Aufschluchzend legte sie sich mit dem Oberkörper auf die Bank und weinte fassungslos.

      *

      Bettina Martens war eben im Begriff, mit einem Stoß Wäsche in das Schlafzimmer zu gehen, als sie ein Geräusch hinter sich vernahm und sich rasch umdrehte.

      Halb ohnmächtig lehnte Angela an der Tür.

      Die Wäsche entsank Frau Bettinas Händen, erschrocken lief sie auf ihr Kind zu.

      Wie sah Angela aus! In ihrem erschreckend bleichen Gesicht lagen die Augen tief in den Höhlen.

      »Angela!« kam es entsetzt von ihren blassen Lippen.

      Da drängte es Angela vorwärts. Sie fiel der Mutter in die Arme, glitt an ihr hinab und blieb besinnungslos liegen.

      Bettina schrie so angstvoll auf, daß die beiden Hausmädchen mit bestürzten Gesichtern erschienen. Mit Hilfe des einen Mädchens trug Frau Bettina Angela in ihr Zimmer, während die andere vorauseilte und das Bett herrichtete.

      Frau Bettinas Bewegungen waren ruhig und voll Umsicht. Nichts in ihrem verschlossenen Gesicht verriet, welch ungeheurer Sturm in ihr tobte.

      Sie rieb Angelas Stirn mit einem belebenden Wasser und lächelte ihr Kind beglückt an, als es die Augen öffnete und sie verständnislos umhergleiten ließ, bis sie auf dem schmalen Gesicht der Mutter haften blieben. Mit Macht stürmten die Ereignisse der vergangenen Stunden erneut auf sie ein, und in jäher Angst umklammerte sie den Arm der Mutter.

      »Mutti!« wimmerte sie herzzerbrechend auf. »Nimm mich von der Schule! Ich bitte dich um alles in der Welt, nimm mich weg von der Schule! Ich kann nie – nie wieder dorthin gehen…«

      Und als habe sie keine Kraft mehr, sank sie in die Kissen zurück. Unruhig glitten ihre schlanken Mädchenhände über die Bettdecke.

      Da erkannte Frau Bettina, daß Angela krank, sehr krank sein mußte, und schickte eines der Mädchen zum Telefon, um Dr. Hersfeld dann herbeizurufen.

      Indessen hielt sie die fieberheiße Hand Angelas in der ihren, das Herz von Angst und Sorge fast zerrissen. Wirre Gedanken jagten hinter ihrer Stirn. Vermutungen aller Art tauchten auf, aber sie wurden sofort von ihr verworfen.

      Sie fand keinen Anhaltspunkt für ihre Befürchtungen. Nur eins wußte sie mit Bestimmtheit, ein Erlebnis von weittragender Bedeutung hatte ihr Kind ins Innerste erschüttert.

      Wohl formte Angelas Mund unaufhörlich Worte, aber so aufmerksam Frau Bettina auch lauschte, sie konnte nichts verstehen.

      Mein armes Kind, was hat man dir getan? dachte sie.

      Dr. Hersfeld ließ nicht lange auf sich warten. Er war bestürzt über Angelas erschreckendes Aussehen, zumal er sie einige Tage nicht gesehen hatte.

      Gemeinsam betteten sie Angela weich und bequem, und dann begann er seine genaue Untersuchung.

      »Nervenfieber«, sagte er ganz kurz mit ernstem Gesicht.

      »Mein Gott!« zitterte es von Bettinas Lippen. Nur noch ein Gebet lebte in ihr: Lieber Vater im Himmel, erhalte mir meine Angela.

      Und nun setzte ein Ringen um das Leben des jungen Menschenkindes ein. Es war wie ein Wettlauf zwischen Leben und Tod. Jeder Laut schien in dem Landhaus erstorben zu sein, seit Angela so schwer krank war.

      Tag und Nacht wich Frau Bettina nicht von der Seite ihres Kindes, und nur auf den dringenden Befehl Dr. Hersfelds legte sie sich am Tage einige Stunden hin. Aber sie ruhte dann, ohne Schlaf zu finden.

      In ihrer grenzenlosen Mutterliebe glaubte sie, keine Minute vom Bett ihres Kindes fernbleiben zu können.

      Angela war meist besinnungslos, aber hin und wieder stieß sie doch grelle Schreie aus, besonders wenn die Mutter ihre Hand aus der ihren löste.

      Das hielt Bettina an dem Schmerzenslager ihres Kindes fest.

      Als die Nacht der Krise kam, die furchtbarste, die Bettina jemals durchlitten hatte, und Angela kaum auf ihrem Lager zu halten war, fand außer dem kleinen Klaus keiner der Bewohner des Hauses Schlaf.

      Bettina saß neben dem Bett ihres Kindes und wandte keinen Blick von dem fieberglühenden Gesicht. Etwas abseits lehnte die Nachtschwester in einem Sessel, jede Minute zur Hilfe bereit.

      Am Fuße des Bettes stand Dr. Hersfeld, der die Kranke aufmerksam beobachtete. Er dachte an die Nacht, in der der unerbittliche Tod ihm sein junges, schönes Weib genommen hatte.

      Jetzt ging der Todesengel abermals durch das Gemach, und wenn er mit seinen bleichen Flügeln das junge Geschöpf, das so matt und regungslos in den Kissen lag, noch nicht gestreift hatte, dann war es nur der tapferen Frau zu verdanken, deren Lippen sich unaufhörlich im stillen Gebet bewegten.

      Gegen Mitternacht schlug Angela die Augen auf, groß und voller Verständnis. Sie glitten umher und blieben ernst am Gesicht der Mutter hängen.

      »Mutti!« hauchte sie, und Frau Bettina neigte sich voll überströmender Liebe über das Gesicht ihres Kindes, um dessen letzten Atemzug in sich aufzunehmen.

      »Bitte – Mutti«, sagte Angela leise, »ich möchte so gern auf der – anderen – Seite liegen.«

      Bettina