Dienst erwiesen worden ist als durch die Heimlichkeit, zu der Sie nicht taugen.«
Da glitt das erste glückliche Lächeln um Angelas blaßroten Mund, und dankbar drückte sie die Hand des Lehrers. Aber sofort sagte sie, ernst geworden:
»In die Schule kann ich aber nie mehr kommen.«
Unbemerkt war Dr. Hersfeld eingetreten, von Bettina geschickt, damit er Angelas Lehrer kennenlernen sollte, und vor allem, damit sie noch etwas mehr Zeit für sich gewann.
Er stellte sich Dr. Kant vor und nahm dann die Hände der Kranken zärtlich in die seinen.
»Na, Angela, wieder blanke Augen?« fragte er in seiner aufmunternden,
herzerfrischenden Art. »Das freut mich, Kind. Und wegen der Schule brauchst du dich nicht zu sorgen, nicht wahr, Herr Doktor,« wandte er sich augenzwinkernd an den Lehrer, was Kant mit einem Kopfnicken und einiger Wehmut bestätigte. »Vorläufig ist an einen Schulbesuch aus gesundheitlichen Gründen nicht zu denken. Mutti wird eine Zeitlang mit dir verreisen, damit du zu neuen Kräften kommst und unsere Angela von früher wirst. Klausi pack’ ich euch allerdings auf, denn er würde ja nicht bestehen können ohne seine Tante Betti. Eine Überraschung habe ich auch noch für dich, Angela, aber die verrate ich erst, wenn Mutti zugegen ist.«
Dr. Kant verabschiedete sich und traf in der Diele Frau Bettina. Sie hatte ihre Fassung zurückgewonnen und zwang sogar ein mattes Lächeln auf ihre Lippen.
»Sie dürfen sehr gern wiederkommen«, sagte sie auf seine fast schüchtern hervorgebrachte Bitte, und als er auch der anderen Mädel wegen bat, wurde ihm dasselbe gewährt.
Dankbar zog er ihre Hand an seine Lippen und verließ das Haus in dem glücklichen Bewußtsein, die Bekanntschaft wertvoller Menschen gemacht zu haben, um deren Freundschaft zu werben es sich lohnte.
Nur, daß er Angela als Schülerin verloren hatte, tat ihm weh. Man stieß so selten auf Menschen, die, so köstlich jung noch, innerlich schon so gereift waren.
Mit merkwürdig zaghaften Schritten nahte Bettina sich dem Lager Angelas. Als sie den ängstlichen Augen ihres Kindes begegnete, da lächelte sie liebreich, und dann nahm sie Angela in ihre Arme und drückte sie fest an ihr Herz.
»Meine Angela!« flüsterte sie mit halberstickter Stimme. »Nie wieder darfst du so etwas vor mir verheimlichen, hörst du?« bat sie so inbrünstig, daß Angela bezwungen nickte. »Nie wieder hätte ich froh werden können, wenn du mir genommen worden wärst. Wir wollen jetzt nicht weiter darüber sprechen, Kind. Später, wenn wir beide ruhiger geworden sind, dann darfst du mir alles – alles sagen. Ja, ja«, fuhr sie leidenschaftlich auf, als Angela den Kopf schüttelte, »du mußt mir alles sagen, Kind, damit ich dich in Zukunft besser schützen kann!«
Angela schmiegte sich innig an die Mutter. Hier ließ es sich gut ausruhen, dachte sie und schloß beglückt die Augen.
War es nicht, als läge alles Durchlittene jahrelang hinter ihr? Oder war das nur, weil sie so lange krank gewesen war?
Oder war es die Liebe der Mutter, die sie einhüllte, oder weil das Trennende, was sich zwischen sie hatte schieben wollen, entfernt war?
Dr. Hersfeld, der meinte, Angela sei eingeschlafen, zwang seinen Baß zu einem gedämpften Lachen.
»Welch friedliches Bild!« spöttelte er gutmütig. »Mutter und Tochter! Direkt überflüssig kommt man sich vor«, grollte er und zog seinen Stuhl so dicht an Angelas Bett heran, daß Angela mit einem schelmischen Lächeln und einer gemacht ängstlichen Miene zur Seite rückte.
»Beinahe wärst du mir auf die Bettdecke gesprungen«, drohte sie. »Bist du eifersüchtig?«
»O ja«, versicherte er und entlockte damit Angela ein schüchternes Lachen, was Bettina wie ein Geschenk dünkte.
»Aber das sage ich dir, Angela, ich habe dich dem Sensenmann abgejagt, und ich bitte mir dafür aus, daß ich immer der alte, gute Onkel Fritz bleibe!«
»Ganz gewiß«, versicherte Angela dankbaren Herzens. »Und – und wie ist es nun mit der großen Überraschung, Onkel Fritz?« fragte sie und bekam ganz große Augen.
»Sieh einer an«, entrüstete er sich, »neugierig sind wir auch schon wieder! Wir machen ja Riesenfortschritte, Angela, Riesenfortschritte! Ein gutes Zeichen. Nun will ich dich auch nicht mehr zappeln lassen.«
Auch Bettina horchte auf.
»Angela kann, sobald sie kräftig genug ist, bei meinem Freund, Professor Langhammer, als Sekretärin antreten. Ich mache dich aber darauf aufmerksam, daß er tüchtig grob ist, daß er aber trotzdem ein sehr gutes Herz hat.«
»Oh, Onkel Fritz, ist das wirklich und wahrhaftig wahr?« fragte Angela, und in ihren Augen war plötzlich ein feuchter Schimmer.
»Habe ich etwa schon einmal Versprechungen gemacht, die ich nicht gehalten habe?« gab er vorwurfsvoll zurück.
Statt einer Antwort reichte Angela ihm die Hand, die er behutsam aufnahm und ganz sanft drückte.
»Wir sind ja so froh, Angela, daß du endlich gesund bist«, sagte er etwas leiser, und daraus spürte Angela, wie sehr der gute Onkel Fritz sich um sie gesorgt hatte.
*
Monate waren seit diesen Ereignissen ins Land gegangen.
An einem angenehm warmen Frühlingstag stand Angela Martens mit bangklopfendem Herzen und vor Erregung dunklen Augen vor dem vergitterten Tor und schaute in den Park, der sich um das Sanatorium Professor Langhammers dehnte.
Zaghaft legte sie ihren Finger auf den Klingelknopf, und schnurrend öffnete sich das schwere Tor und fiel krachend hinter ihr wieder in das Schloß.
Der Pförtner schob das Fenster in die Höhe und musterte die schlanke Mädchengestalt mit neugierigen Blikken.
»Ich werde von Professor Langhammer erwartet«, sagte sie, das Unbehagen tapfer unterdrückend.
»Geradeaus«, wies der Pförtner ihr den Weg, »und dann rechts das erste Gebäude, Erdgeschoß, Zimmer zehn.«
Gewissenhaft merkte sich Angela das Gesagte und schritt dann den schwach ansteigenden Hügel hinauf.
Sie fand auch das Zimmer Nummer zehn, und dort stand sie ein Weilchen, die Hand auf das wildklopfende Herz gepreßt. Sie mußte unwillkürlich an die Worte von Onkel Fritz denken. Er ist tüchtig grob, hat aber trotzdem ein sehr gutes Herz.
Schritte kamen den Gang entlang. Sie erschrak so heftig, daß sie mit dem Fuß an die Tür stieß, und schon klang es kurz von drinnen:
»Herein!«
Angela stand in einem hohen, aber nicht allzu breiten Zimmer, in dem sich nahe beim Fenster ein Schreibtisch befand mit einer riesigen Kartei darauf. An den Wänden waren einige Regale, in denen sich allerlei Schriften und Mappen befanden.
Ein Mann, in einen weißen Mantel gehüllt, saß an dem Schreibtisch und drehte Angela beharrlich seinen breiten Rücken zu.
Auf ihren Gruß war sie ohne Antwort geblieben, und nachdem einige Minuten verstrichen waren, hüstelte Angela, um sich damit in Erinnerung zu bringen.
»Augenblick!« kam es ruhig vom Schreibtisch her, ohne daß der Mann, in dem Angela Professor Langhammer vermutete, sich auch nur einen einzigen Augenblick von seiner Arbeit abgewandt hätte.
Merkwürdiger Empfang, dachte Angela bedrückt und verhielt sich mäuschenstill.
Ihr Blick blieb auf dem arbeitenden Mann haften. Sie sah ein scharfgeschnittenes Profil, eine hohe Stirn und darüber weiches dunkles Haar. Das Kinn war energisch, und sie konnte sich lebhaft vorstellen, daß an diesem Mann jede Bewegung kurz, knapp und herrisch war.
Sie seufzte so tief auf, daß der Mann am Schreibtisch überrascht hochsah.
»Nanu!« sagte er. »Seit wann stehen Sie denn hier? Und wer sind Sie überhaupt?«
Angela kam zaghaft näher und legte das von Onkel