lief ans Fenster und sog in tiefen Atemzügen die herbe Luft ein.
Stimmen, ganz in der Nähe, ließen sie zusammenzucken.
Mein Gott! Diese Männerstimme kannte sie doch? Unmöglich… ganz unmöglich! Ein Spuk narrte sie!
Sie beugte sich hinaus, soweit sie es vermochte und fuhr entsetzt wieder zurück.
Detlef Sprenger!
Mit angehaltenem Atem, mit den Händen das Fensterkreuz umklammernd, lauschte sie.
Mit einer Frau stritt Sprenger – ihretwegen? Wer war die Frau? Sie kannte diese dunkle, wohllautende Stimme doch?
Regina Reuter! Das neue Kindermädchen? Die junge Frau, der sie ihr Kind anvertraut hatte, gehörte zu Sprengers Bekannten?
Gütiger Himmel! War sie von Verrätern umgeben? Von Aufpassern?
Aber nein! Die Frau sprang hart mit Sprenger um. Sie kämpfte förmlich mit ihm, bedrohte ihn – und er…?
Eisige Schauer fegten über Petras Rücken. Er wollte sie, Petra, in seine Gewalt bekommen. Und Regina Reuter sollte ihm dabei helfen?
Wie gemein. Wie verabscheuungswürdig!
Immer leidenschaftlicher wurden die Stimmen. Vor Petras Ohr setzte ein mächtiges Rauschen ein. Sie taumelte zurück ins Zimmer und ließ sich matt auf dem Bettrand nieder.
Fröstelnd strich sie sich über die Arme
Wann hörte das einmal auf? Wann kam endlich die Ruhe, die sie so heiß ersehnte?
Draußen war nach dem leidenschaftlichen Wortwechsel Ruhe eingetreten. Wie hatte die Unterredung geendet?
Vielleicht hatte er die Frau betört? Vielleicht war sie sein Werkzeug geworden?
Fort! Nur fort!
Dem Mann wie der Frau entfliehen! Das war ihr einziger Gedanke.
*
Regina hatte gemeinsam mit Lorchen die Mahlzeit eingenommen und dann zu Bett gebracht.
Nur ein paar Minuten plapperte Leonore noch, dann drehte sie sich zur Seite und schlief ein.
Lange sah Regina auf das friedlich schlummernde Kind herab.
Sie sorgte sich um Petra Eckhardt, sorgte sich um die Zukunft des Kindes, das sie liebgewonnen hatte.
Wo war Sprenger geblieben? Ob sie zu Nikolaus Eckhardt ging und ihm alles erzählte?
Vielleicht gerieten die beiden Männer dann aber aneinander und es geschah ein Unglück? Nikolaus Eckhardt sah ganz so aus, als ließe er nicht mit sich spaßen, zumal es schließlich um das Ansehen des Hauses ging.
Sie mußte schnell feststellen, ob Sprenger das Grundstück verlassen hatte. Wenn er nun tatsächlich bei Petra Eckhardt eingedrungen war?
Oh – alles Schlechte, jede Gewalttat traute sie ihm zu.
Von Angst getrieben, eilte sie zurück in den Park und lief Sprenger direkt in die Hände.
»Regina«, sagte er fast demütig. »Nur um eines bitte ich dich: Vermittle mir eine Unterredung mit Petra, ich verspreche dir, nichts zu unternehmen. Weist sie mich ab, so will ich mich damit zufriedengeben.«
Regina hatte sich schnell gefaßt und sah forschend zu ihm auf. Scheu wich sein Blick zur Seite.
Er lügt, er will mich in eine Falle locken, dachte sie, straffte sich und griff bedenkenlos zu einer Lüge.
»Petra Eckhardt ist nicht hier, nicht im Hause. Nur das Kind ist da.«
»Das ist nicht wahr!« rief er leise, betroffen.
Regina hatte sich in der Gewalt.
»Doch, es ist wahr, sie ist in ihrer Wohnung.«
So, nun konnte er sie suchen, er würde sie nicht finden, dachte sie, und ihr war, als falle eine schwere Last von ihrer Seele.
»Nicht hier…?« überlegte Sprenger, dann blitzte es in seinen Augen auf. Er mußte ihr wohl glauben.
»Es ist gut, Regina, ich danke dir. Ich will es versuchen, ein letztes Mal versuchen, dann – dann will ich mich zufriedengeben.«
Grußlos ging er davon, wie ein Traumwandler. Mitleidlos sah sie hinter ihm her.
Auch sie sah ihren Weg vor sich: Sie würde Dr. Wendler aufsuchen, sich ihm anvertrauen und ihm Sprengers Plan enthüllen. So half sie allen Beteiligten.
So schnell sie konnte, eilte sie ins Haus zurück, ließ sich von Johannes das Telefonbuch geben und suchte nach Dr. Wendlers Adresse.
Zehn Minuten später ging Regina aus dem Haus und stieg in das Taxi, das Johannes ihr bestellt hatte.
*
Petra hatte das Gefühl, lange und tief geschlafen zu haben. Sie fühlte sich bedeutend kräftiger, und der dumpfe Druck im Kopf hatte nachgelassen.
Sie stieg aus dem Bett.
»Haben Sie einen Wunsch, gnädige Frau?«
Wie auf Abwegen ertappt, fuhr Petra zusammen. Da saß Alma, die Haushälterin. Man hatte sie wohl hierhergesetzt, damit sie ihren Schlaf behüte.
»Ich will aufstehen«, sagte Petra freundlich. »Wo ist Frau Beate Eckhardt?«
»Die gnädige Frau hat sich zu einem kurzen Schläfchen hingelegt.«
Petra nickte und lauschte in die Stille des Hauses. Es war, als ob das ganze Haus schlafe.
War jetzt die Gelegenheit zur Flucht günstig?
»Und wo ist mein Kind… und seine Pflegerin?«
»Sie ist fortgefahren, eine Besorgung zu machen. Lorchen schläft«, erwiderte Alma freundlich.
»Ich danke Ihnen, ich brauche Sie nicht mehr.«
»Gnädige Frau sollten noch etwas ruhen, die Hitze…«, mahnte Alma besorgt.
»Mir geht es gut. Wenn Sie mein Kind wecken und anziehen wollten, ich möchte es mit zum Friedhof nehmen«, bat Petra mit abgewandtem Gesicht.
»Gern, gnädige Frau.«
Alma huschte davon.
Ja – so würde es gehen! Wie traurig war es, daß sie sich aus dem Haus stehlen mußte, ohne ein liebes, dankbares Wort für die Menschen, die es nur gut mit ihr meinten.
Es ging aber nicht anders!
Alma kam wieder und meine lächelnd:
»Ich habe auch den Wagen bestellt, gnädige Frau.«
»Den Wagen?« Petra wollte schon ablehnen, besann sich aber. »Danke!«
Das kam ihr nur gelegen.
Sie handelte in den nächsten Minuten wie unter Zwang. Nur nicht nachdenken, nur nicht wankend werden, hämmerte sie sich ein.
Alma kam mit der Kleinen und meldete ihr, daß der Wagen vorgefahren sei. Leonore flog in Petras Arme.
»Wir fahren Auto, Mutti?« sprudelte sie los. Sie hatte rote Bäckchen vom Schlaf und glänzende Augen.
Wieder zog es schmerzhaft durch Petras Herz. Sie riß das Kind mit in eine ungewisse Zukunft.
Aber sie bekämpfte alle Bedenken. Sie würde arbeiten, damit Leonore keine Not litt.
»Bitte gehen Sie inzwischen mit Lorchen voraus«, bat sie Alma. »Ich will nur meinem Schwager ein paar Zeilen zurücklassen.«
Eilig verließ sie das Zimmer, ging hinüber in den großen Raum, in dem Eugen Eckhardts Bild hing, und ließ sich am Schreibtisch nieder.
Ohne sich zu besinnen, schrieb sie:
Lieber Nikolaus!
Verzeih mir, daß ich ohne ein Wort des Dankes, ohne Abschied, aus dem Haus gehe.