schwerer Betonung. Er schob der Tante den Brief in die Hand und trat ans Fenster.
Warum war sie nur geflohen? Aus einer Verwirrung heraus, aus verletztem Stolz – oder vor seinem Antrag?
Fragen über Fragen bestürmten ihn.
»Aber das geht doch nicht, Nikolaus«, hörte er Tante Beates Stimme hinter sich. »Petra kann doch nicht einfach verzichten.«
Müde drehte sich Nikolaus um.
»Weißt du denn, ob sie allein wegen des Erbes geflohen ist?«
Er fühlte Tante Beates Arm auf seiner Schulter.
»Du wirst sie zurückholen, Nikolaus«, hörte er sie bittend sagen. »Bitte, Nikolaus, fahre zu ihr, man kann sie nicht sich selbst überlassen… in dieser Verfassung.«
»Wo finde ich sie aber?«
Mutlos ließ Tante Beate sich nieder. Ihr zitterten die Knie.
»Ja, wo…? Sicher in ihrer Wohnung. Ein Glück nur, daß du noch nicht an die Auflösung des Haushaltes gedacht hast.«
Mit einem Ruck blieb Nikolaus stehen und straffte sich.
»Ich fahre zu Petra. Es soll ein letzter Versuch sein.«
Ein Klopfen ließ ihn herumfahren. Johannes trat ein.
»Herr Dr. Wendler wünscht, Herrn Eckhardt am Telefon zu sprechen.«
Und in diesem Telefongespräch erfuhr Nikolaus, daß alle Verdächtigungen von Petra genommen waren. Eine Frau hatte den Mut zur Wahrheit gefunden, hatte es Wendler gesagt. Sicherlich war es eine Frau, die diesem Sprenger nahegestanden hatte…
*
Helmuth Wendler traf im Sanatorium ein. Er erkundigte sich nach Leontine Eckhardt und erfuhr, daß sie in ihrem Zimmer sei.
»Soll ich Sie melden?«
Helmuth nickte.
»Ich lasse bitten!« Mit einem tiefen Atemzug legte Leontine den Hörer auf die Gabel zurück.
Dr. Wendler war da, wollte sie sprechen? Dann hatte er wichtige Nachrichten zu bringen.
»Guten Tag, gnädige Frau!«
»Guten Tag«, brachte sie mühsam hervor und wies auf einen Sessel.
»Sie bringen mir gewiß wichtige Nachrichten«, begann sie das Gespräch.
»Allerdings, gnädige Frau.«
»Und… sind sie erfreulicher Art?« fragte sie gespannt.
Helmuth richtete die lichtblauen Augen offen auf Leontine Eckhardt.
»Ich möchte es jedenfalls so bezeichnen.«
Heimlich atmete Leontine auf; ein dünnes Lächeln huschte über ihr gelbliches Gesicht.
»Ich bin sehr neugierig.«
Ohne Umschweife steuerte Helmuth auf sein Ziel zu.
»Es hat sich herausgestellt, daß Petra Eckhardt zu Unrecht beschuldigt wurde –«
Im Nu saß Leontine steif aufrecht.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich habe den unumstößlichen Beweis dafür, daß Ihr Gewährsmann Detlef Sprenger unglaubwürdig ist, daß er gelogen hat. Frau Petra Eckhardt ist wie keine andere würdig, das Erbe anzutreten.«
Eine erschreckende Veränderung ging mit Leontine vor sich. Sie sank förmlich in sich zusammen, während Blässe ihr Gesicht bedeckte.
»Unmöglich!« stieß sie heftig hervor. Helmuth lächelte überlegen. Er kannte sich selbst nicht mehr. Aber er empfand Genugtuung darüber, die Pläne dieser Frau durchkreuzen zu können.
»Ich bin zu Ihnen gekommen, um meinen Auftrag in Ihre Hände zurückzulegen.«
»Sie… Sie lehnen es ab, mich weiterhin in dieser Sache zu vertreten?« fragte sie mit klangloser Stimme.
»Meine Arbeit ist erledigt, ein Prozeß dürfte nicht mehr in Frage kommen«, antwortete er ruhig.
In Leontine gärte es. Überall fühlte sie Widerstand.
»Ich bin unzufrieden mit Ihnen, sehr unzufrieden.«
»Ich glaube, gnädige Frau, wir verstehen uns nicht.«
Leontine war kalt und entschlossen.
»Wir reden um die Sache herum«, erwiderte sie scharf. »Es muß ein Grund gefunden werden, der Petra Eckhardt von dem Erbe ausschließt, und diesen Grund sollen Sie suchen. Ich habe Ihnen nur einen Weg gewiesen. Wenn er sich als ungangbar erwiesen hat, dann muß die Sache anders angefaßt werden.«
So – nun wußte er, was ihr Ziel war. Deutlicher konnte sie nicht werden.
Langsam erhob sich Helmuth Wendler. Auch er trug eine kalte, entschlossene Miene zur Schau.
»Gnädige Frau, ich sagte Ihnen bereits, daß ich den Auftrag in Ihre Hände zurücklegen möchte.«
Leontine zuckte leicht zusammen. Das war ebenso deutlich. Haß und Wut über die neue Demütigung schossen wie eine Flamme in ihr empor. Noch beherrschte sie sich.
»Ich glaube, Herr Doktor«, sagte sie gedehnt, »Sie hätten allen Grund, mir etwas dankbarer zu sein.«
»Es tut mir leid, gnädige Frau, daß ich Sie enttäuschen muß. Meine Dankbarkeit gegen die Familie Eckhardt geht nicht so weit, daß ich mich zu einer Unehrenhaftigkeit versteigen könnte.«
Ihre Augen schlossen sich zu einem schmalen Spalt.
»Sie pochen so auf Ihre Ehre, Herr Doktor. Haben Sie sich noch nicht überlegt, weshalb ich gerade Sie mit dieser Sache beauftragte?«
»Darüber habe ich mir wirklich noch keine Gedanken gemacht«, war seine rasche Erwiderung. Aber er war doch stutzig geworden. Er fühlte, daß sie diese Äußerung nicht grundlos gemacht hatte. Unbehagen überfiel ihn.
»So haben Sie sich wohl auch noch keine Gedanken darüber gemacht, weshalb mein Mann so großzügig an Ihnen gehandelt haben mag?«
Unerträglich empfand er die harte Stimme der Frau.
»Nein!« sagte er schneidend. »Aber ich glaube, Sie machen sich zu viele Gedanken darüber. Ich darf mich jetzt wohl empfehlen.«
Leontine Eckhardt schien alle Würde verloren zu haben. Seine Abwehr reizte sie immer mehr.
»Ich glaube Ihnen gern, daß es Ihnen unangenehm ist, über diese persönliche Sache zu sprechen, Herr Dr. Wendler. Aber sie wird dadurch nicht aus der Welt geschafft. Ich habe mir, wie Sie sehr richtig bemerkten, einmal sehr viele Gedanken darüber gemacht. Heute habe ich das nicht mehr nötig, heute weiß ich, warum diese Komödie aufgezogen wurde.«
Mit gerunzelter Stirn und finsterem Blick maß Helmuth die boshafte Sprecherin.
»Jetzt habe ich Sie… verstanden«, sagte er fast heiser.
Dann wurde seine Stimme hart. »Hoffentlich sind Sie nicht so töricht zu glauben, daß ich nun für Ihre dunklen Pläne zugänglicher sei. In diesem Falle würden Sie sich nämlich irren. Und nun –«, er verbeugte sich knapp und lächelte spöttisch. »Ich hatte die Ehre, gnädige Frau.«
Mit raschen, festen Schritten verließ er Leontine Eckhardt, die langsam in sich zusammensank.
*
Müde, an allen Gliedern wie zerschlagen, erreichte Helmuth am vorgeschrittenen Abend sein Haus.
Im Wohnzimmer brannte noch Licht. Also erwartete die Mutter ihn.
Vorsichtig schloß er die Tür auf. Ein unauffälliges Vorbeikommen am Wohnzimmer war unmöglich. Die Tür stand einen Spalt offen, und er hörte die weiche, zärtliche Stimme seiner Mutter.
»Mein Gott… Junge… wie siehst du aus? Wo