Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman


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      »Wenn du es nicht willst, dann werde ich diese Frage nicht wieder an dich richten.«

      »Laß mir Zeit, Nikolaus, ich bitte dich darum. Es war zuviel, was in letzter Zeit über mich hereinbrach. Noch lebt Jost zu sehr in meinem Herzen.«

      »Du darfst darüber die Lebenden nicht vergessen, Petra«, mahnte er. Seine Stimme klang müde und hoffnungslos.

      »Ich werde an deine Worte denken, Nikolaus.«

      »Willst du schon wieder gehen?« fragte sie ängstlich, als er sich umwandte.

      »Ja, du brauchst unbedingt Ruhe. Ich merke, wie sehr du dich zum Wachsein zwingst. Ich gehe in ein Hotel, und morgen früh hole ich dich und das Kind ab. Ich muß auch Tante Beate benachrichtigen, sie wird vor Aufregung kein Auge zutun in dieser Nacht.«

      »Die Gute… Liebe!«

      Nikolaus hob ihre Hand auf und drückte erneut einen Kuß darauf.

      »Gute Nacht, Petra, und auf Wiedersehen morgen früh.«

      *

      Leontine Eckhardt las den Brief nun schon zum dritten Mal, und noch immer konnte sie den Inhalt nicht begreifen.

      Was hatte Sprenger geschrieben?

      … und so bitte ich Sie, gnädige Frau, geben auch Sie alle Rachegedanken auf. Die Betroffene sind immer nur Sie. Gott ist gerecht. Und alle Schuld rächt sich auf Erden.

      Ich gebe den Kampf auf, weil die Liebe, die wahre Liebe, in mein Leben getreten ist.

      Als ein Mensch, der sein Unrecht eingesehen hat, möchte ich Ihnen warnend zurufen: Schließen Sie Frieden mit all denen, die Sie zu hassen meinen. Sie könnten so glücklich sein mit Ihren Kindern. Sie werden aber für den Rest Ihres Lebens verachtet werden, wenn Sie nur Böses denken und tun.

      Man soll nicht mit Menschenherzen spielen. Und Sie, gnädige Frau, sollten nicht mit dem Herzen Ihres einzigen, Ihnen noch verbliebenen Sohnes spielen.

      Detlef Sprenger

      Schauer über Schauer rannen über den Leib der Frau, die mit starren Augen ins Leere blickte.

      Es war ein schwerer Kampf, den die verbitterte Frau mit sich und ihrem Herzen auszufechten hatte. Noch einmal wirbelte alles durcheinander, was ihr erstrebens- und erachtenswert erschienen war, dann lehnte sie müde, unsagbar müde den Kopf zurück.

      Eine Stunde später, als sie auch die letzten Spuren des inneren Kampfes und der Tränen getilgt hatte, klingelte sie nach dem Zimmermädchen. Mit abgewandtem Gesicht bat sie:

      »Helfen Sie mir beim Packen. Ich muß heim – eine wichtige Angelegenheit. Bestellen Sie mir die Rechnung auf mein Zimmer.«

      *

      Regina Reuter stand neben der hin und her gehenden alten Dame und schaute gleich ihr über die Terrasse zur Auffahrt hinüber, als ein Wagen hielt.

      Beate Eckhardts Gesicht überzog im nächsten Augenblick geisterhafte Blässe.

      »Leontine – du?

      Langsam kam Leontine Eckhardt näher. Von Regina hinweg glitten ihre Augen im Zimmer umher, als müßte sie jeden einzelnen Gegenstand begrüßen.

      »Kann ich dich allein sprechen, Beate?« fragte sie in einem Ton, der Beate nur noch mehr verwirrte.

      Mit einer Verneigung gegen Leontine verließ Regina das Zimmer.

      »Du bist so verändert, Leontine. Ist etwas Besonderes geschehen?« Beate fand, daß die Schwägerin noch nie so ausgesehen hatte wie jetzt, mit dem wehmütigen Zug um den Mund und den ein wenig ratlosen Augen.

      »Lies diesen Brief, Beate, er sagt mehr als viele Worte von mir.«

      Sie drückte der Schwägerin Detlef Sprengers Brief in die Hand und wartete geduldig, bis Beate damit zu Ende gekommen war.

      Ein scheuer und auch verstehender Blick streifte Leontines versonnenes Gesicht.

      »Und – willst du Frieden schließen, Leontine?« kam es stockend von Beates Lippen.

      »Ja – Beate, ich habe den guten Willen dazu.« Angst flackerte in den dunklen Augen der Frau auf. »Glaubst du… glaubst du, daß mein Sohn mir verzeihen wird?«

      Ein warmes Gefühl stieg in Beate Eckhardt empor.

      »Ich glaube es, Leontine.«

      Da sank Leontines Kopf gegen die Schulter der Schwägerin, und sie weinte fassungslos.

      Das war so ungewöhnlich, daß Beate nicht ein Wort des Trostes oder des Zuspruchs fand. Sie strich nur immer über die nassen Wangen Leontines, bis die Schwägerin sich aufraffte.

      »Ich danke dir, Beate. Laß mich auch mit dir Frieden schließen.«

      Die beiden Frauenhände fanden sich zu einem warmen Druck.

      »Ich habe dich immer nur bedauert, Leontine.«

      Die dunklen Augen Leontines, noch tränengefüllt, forschten im lächelnden Gesicht der Schwägerin.

      »Und du hast mich niemals verachtet?«

      »Nein.«

      »Das ist gut, Beate – nochmals laß dir danken.«

      Eine einzige Stunde der Aussprache hatte sie der Schwägerin nähergebracht, als es dreißig vergangene Jahre vermocht hatten…

      *

      Über dem Vorgarten des kleinen Hauses schwebte ein Hauch von Blumendüften, der Leontine zusammenschauern ließ. Sie erinnerte sich an ihren ersten Besuch hier und an das, was dazwischenlag. Waren wirklich erst ein paar Wochen darüber vergangen?

      Wenn doch einer käme, dachte sie mutlos, und mich ins Haus führte, sonst laufe ich tatsächlich noch davon.

      Dann gab sie sich einen Ruck. Es mußte sein. Wer Unrecht tat, darf die Folgen nicht scheuen.

      Sie klingelte und wartete mit bang klopfendem Herzen, daß man ihr öffnete.

      Endlich! Nach langer Wartezeit, so dünkte es ihr wenigstens, kam ein müder Schritt näher. Die Tür öffnete sich und Lisa Wendlers verhärmtes Gesicht zeigte sich.

      Leontine Eckhardt sah bittend der Frau entgegen, der sie einmal so bitter weh getan hatte.

      »Mein Sohn ist nicht zu Hause«, sagte Lisa feindselig.

      »Ich komme zu Ihnen, Frau Wendler, um… Darf ich eintreten?«

      Lisa wollte eine abweisende Antwort geben, da begegnete sie den dunklen Augen Leontines – und sie brachte das harte Wort nicht über die Lippen.

      »Bitte.«

      Eine eisige Kälte wehte von Lisa Wendler zu der dunkelgekleideten Frau. Leontine fühlte, dort saß ein Mensch, der nicht mehr aus noch ein wußte vor innerer Not.

      »Warum haben Sie das getan?« schrie Lisa fast heraus. »Warum haben Sie meinem Jungen den Glauben an die Mutter zerschlagen? Wir haben so glücklich zusammengelebt bis zu dem Tage, als sie dazwischentraten.«

      »Sie tun mir Unrecht«, antwortete Leontine Eckhardt mit verschleierter Stimme. »Mit der Erbschaft begann der Kampf – auch mich hat es schwer getroffen, denn ich wußte bis dahin von nichts. Können Sie mir verzeihen, daß ich den Schleier von dem Geheimnis riß, das Sie dreißig Jahre lang gehütet haben? Lassen Sie mich handeln!«

      Sie hörte Lisas entsetzten Ausruf nicht mehr. Wie eine Traumwandlerin suchte sie das Zimmer auf, in dem Dr. Wendler sie damals empfangen hatte.

      Helmuth hielt den Kopf in die Hände gestützt und rührte sich nicht, als Leontine eintrat und regungslos auf der Stelle verharrte.

      »Darf ich Sie für kurze Zeit stören?«

      Betroffen starrte Helmuth auf Leontine.

      »Ich will Ihnen etwas erzählen, bitte, unterbrechen Sie mich