Daphne Niko

DAS URTEIL


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der Besteuerung durch Euren Vater zu verringern, verdampfte wie Regentropfen auf einem heißen Stein. Er bestand darauf, die Abgaben zu erhöhen, anstatt sie zu senken. Es war offensichtlich, dass er keine Vorstellung davon hat, was das Volk will, und deswegen wenden sich die Menschen von ihm ab. Sicher wisst Ihr, dass die Führer der zehn Stämme Israels die Krönung verließen und Rehabeam am Tage seiner Machtergreifung demütigten.« Sein Gesicht verzog sich zu seinem Ausdruck der Abneigung. »Er bekam nur, was er verdiente.«

      Sie war sich des Vorfalls und der Spaltung, die ihm gefolgt war, nur allzu bewusst. Rehabeam hatte fünf Jahre lang abwechselnd versucht, die abtrünnigen Stämme entweder zu unterwerfen, oder Frieden mit ihnen zu schließen. Es war kein Geheimnis, dass er den Kampf verlor, und es war auch keine Überraschung, dass Jerobeam sich als Anführer des unzufriedenen Nordens erhoben hatte, denn er war es gewesen, der den Menschen eine Stimme verliehen und die Flammen der Revolution gegen das Haus David geschürt hatte.

      »Warum erzählt Ihr mir das? Erwartet Ihr mein Mitgefühl? Ihr sollt es nicht bekommen. Die Respektlosigkeit, die Ihr meinem Vater entgegenbrachtet, und nun meinem Bruder, ist eine Schande.«

      »Die Geringschätzung seitens Eurer Verwandtschaft für das Volk ist eine Schande. Die Ungerechtigkeit, mit welcher sie uns behandelten, damit sie ihre Truhen mit Gold füllen konnten.« Er hielt eine geballte Faust in die Höhe. »Ich bin diesen Menschen treu gesinnt … und ich werde ihnen zu ihrem Recht verhelfen.«

      »Ihr wagt es, von Treue zu sprechen? Ihr, der versuchtet, Euren König zu stürzen, den Mann, der Euch vertraute und Euch alles gab?« Ein Kloß formte sich in ihrer Kehle und würgte ihre Worte. Noch immer entsetzte sie die Erinnerung an Jerobeams Versuch, die Regierung während Salomons Herrschaft an sich zu reißen.

      Diese Tat war höchst abscheulich. Salomon hatte Jerobeam die Verantwortung über die Abgaben des Hauses Josef übertragen, dem einflussreichsten der Stämme. Jerobeam, ein Ephraimiter und daher Mitglied des Stammes, war charismatisch und sein Volk respektierte ihn, und so war er in der idealen Position gewesen, um Einfluss auf sie auszuüben. Salomon hatte ihn zu seinem persönlichen Vertreter dieses hochwichtigen Teils seiner Anhängerschaft gemacht und ihm die Aufgabe anvertraut, den Willen der Krone durchzusetzen, wenngleich dies nicht gern gesehen war.

      Aber der Plan des Königs schlug fehl. Anstatt dem regierenden Haus David treu zu bleiben, verschrieb sich Jerobeam den Anliegen des Hauses Josef und verhandelte im Namen der Menschen. Salomon betrachtete das als Verrat und enthob seinen einst begünstigten Stellvertreter aus seinem Amt. Kurz nach seiner Entlassung versammelte Jerobeam, der in seine Heimatstadt Zareda zurückgekehrt war, dreihundert Pferde und eine Rebellenarmee um sich und plante einen Aufstand gegen Jerusalem.

      Sein armseliger Versuch, den mächtigen König Salomon zu entthronen, wurde von einer Söldnereinheit zurückgeschlagen, die von ihrem geliebten Ahimaaz angeführt wurde, aber die Botschaft war überbracht: Das Königreich war nicht länger sicher oder unangefochten. Die Glückseligkeit, von Salomons Herrschaft eingeleitet, war vergällt. Nach seinem Verrat wurde Jerobeam ins Exil verbannt, aber mit oder ohne ihn köchelte die anti-salomonische Stimmung.

      »Sagt mir, Jerobeam«, fuhr sie fort, »wohin seid Ihr geflohen, als mein Vater Euch aus Israel fortjagte?« Sie glaubte, die Antwort zu kennen, aber sie wollte es aus seinem Mund hören.

      Ein Lächeln schlich sich auf seine aufeinandergepressten Lippen. »Indem er mich fortschickte, setzte Salomon schlicht Gottes Plan in Gang. Er zwang mich nach Ägypten und glaubte gewiss, der Feind würde sich an meinem Fleisch ergötzen und meine Knochen zerschmettern. Doch so war es nicht. Pharao Scheschonq empfing mich wie einen Bruder und nahm mich an seinem Hof auf. Er bot mir Schutz und eine königliche Braut – Ano, die Schwester seiner eigenen Gattin. Und er half mir, zurückzukehren und meine Bestimmung einzufordern.

      Ihr müsst wissen, Prinzessin, es wurde vor langer Zeit vorhergesagt, dass ich mich als König von Israel erhebe. Der Prophet Ahija von Schilo suchte mich eines Tages im Geheimen auf und zerriss seinen Umhang in zwölf Teile. Zehn gab er mir und sagte: Siehe den Willen des Herrn. Dich hat er auserwählt, die zehn Stämme Israels zu führen, und nur die Stämme Juda und Benjamin lässt er unter der Herrschaft des Hauses seines Dieners David. Das vereinte Königreich wird nicht länger fortbestehen.« Er schlug sich mit der geschlossenen Faust an die Brust. »Ich erhebe nur Anspruch auf das, was mir rechtmäßig zusteht.«

      Von der Prophezeiung zu hören überraschte sie. Also war es geschehen: Der Herr hatte dem Haus David seine Herrlichkeit aberkannt und den alten Erlass aufgehoben, nach dem Davids Nachkommen für immer herrschen sollten. Der göttliche Zorn konnte nicht mehr besänftigt werden, denn die Sünden, die ihn entfacht hatten, waren zu groß. Es war zu spät für das Haus David, zu spät für Israel. Dunkelheit hatte sie eingehüllt und Jerobeam hatte sie mit seiner Ägypterschar hergeführt. Sie war dankbar, dass ihr Vater das zu seinen Lebzeiten nicht mehr hatte mit ansehen müssen.

      Basemat suchte in Jerobeams Augen nach einem Anzeichen für Heiligkeit, das den Herrn veranlassen würde, ihn zum Herrscher eines neuen, entzweiten Königreichs zu ernennen. Ehrgeiz und Eitelkeit besaß er reichlich, aber Rechtschaffenheit nicht. Hinter der beherzten Fassade rührte sich Angst in seinem Herzen und sie sah vorher, dass diese sein Untergang sein würde.

      Sie atmete die kühle Luft ein, die nach Weißdornglut von einem fernen Lagerfeuer roch. »Wenn Ihr die Wahrheit sprecht, was wird dann mit König Rehabeam geschehen?«

      »Er wird weiter als König Judas regieren. Die beiden Stämme des Südens werden seiner Herrschaft unterliegen.« Er grinste höhnisch. »Sie sind ohnehin nichts weiter als Häuptlinge und Hirten. Sie sind für mich bedeutungslos.«

      »Und Jerusalem?«

      »Pharao Scheschonqs Armeen marschieren heute Nacht dorthin. Der Pharao selbst führt den Angriff. Er wird die Stadt brandschatzen und sein Eigentum zurückverlangen.«

      »Sein Eigentum? Nichts in Jerusalem gehört ihm.«

      Jerobeam lachte. »Es gibt so vieles, das Ihr nicht wisst, Prinzessin. Aber sorgt Euch nicht um Dinge, die zu ändern Ihr nicht die Macht besitzt. Alles wird zur rechten Zeit offenbart. Und dann …« Sein Blick glitt an ihren Körper hinunter, dann zurück zu ihren Augen. »Ihr könnt selbst entscheiden, was Ihr mit der Wahrheit anfangen wollt.«

      Wie sehr sie ihn verachtete. Die bloßen Worte: Die Wahrheit, waren Blasphemie, wenn sie über seine Lippen kamen. Sie hatte nichts übrig für seine rätselhaften Aussagen, seine anmaßende Verkündung, er, ein einfacher Bürger und der Sohn einer Dirne, sei in ein Geheimnis eingeweiht.

      Er sprach weiter. »Die Herrlichkeit Jerusalems wird vergehen. Ihrer Würde beraubt, wird Salomons Heilige Stadt zu dem, was sie früher einmal war: eine kleine Festung im felsigen Hinterland. Schechem wird das neue Machtzentrum sein. So will es das Volk.«

      »Ihr täuscht Euch. Die Menschen werden niemals aufhören, zum Tempel des Herrn zu reisen. Dort wohnt Jahwe und dort werden Seine Gesetzestafeln aufbewahrt. Der Glaube, der die Hebräer nach Jerusalem zieht, ist weit stärker als alles, was Ihr oder Euer Pharao aufbringen könnt.«

      »Ihr seid diejenige, die sich täuscht. Das Volk wird keinen Grund mehr haben, die Pilgerfahrt nach Jerusalem anzutreten. Ich werde Tempel in den großen Städten des Nordens bauen, in Bet-El und Dan, und die Menschen werden dort hinströmen, um den Herrn zu verehren.«

      Ihre Augen weiteten sich. »Die Leviten werden das niemals dulden …«

      »So sollen sie aus meinem Königreich verbannt werden.«

      »Ihr könnt die Priester nicht verbannen. Das verstieße gegen das Wort Gottes.«

      »Muss ich Euch daran erinnern, Prinzessin, dass Gott mich auserwählte? Jeder, der sich mir in den Weg stellt, wird niedergestreckt werden.«

      »Es ist eine Lästerung …«

      »Schweigt!«

      Kopfschüttelnd trat sie einen Schritt zurück. »Das ist Wahnsinn. Ihr wandelt auf dem Weg der Zerstörung und nehmt ein ganzes Volk mit euch.« Sie zeigte auf den Ausgang. »Verlasst augenblicklich mein Zelt.«