gebe, hatte ich mir diesmal vorgenommen, mich an der Donau-Anthologie des Literaturhauses Niederösterreich nicht zu beteiligen, da die Donau und ich doch nur sehr indirekt miteinander zusammenhängen. Ich lebe am Wörthersee, aus dem ein Bächlein abfließt, die Sattnitz, die in die Glan mündet, die in die Drau mündet, die in die Donau mündet, die ins Schwarze Meer mündet, das mir aber egal ist, weil ich die blaue Adria vor der Haustüre habe. Nationalstrom hin, Nationalstrom her: Man muss sich ja nicht überall einmischen und meinen, man sei eine Art literarischer Enzyklopädiker und hätte ganz automatisch zu allem und jedem etwas zu sagen, was für andere von Wert wäre. Irgendwelche Assoziationen hätte ich freilich schon zustande gebracht, ein Mittagessen in Ybbs, eine Skaterfahrt bei Dürnstein (keine Frage: Ohne die Donau wäre die Wachau die Hälfte wert und wo keine Donau, da auch kein Donauradweg), die einschlägigen Stellen im Nibelungenlied, der unterklassige Fußballverein SV Donau, der – weiß der Teufel warum – im Klagenfurter Stadtteil St. Ruprecht auf dem Donauplatz spielt, das gleichnamige Buch von Claudio Magris (Donau, nicht »Donauplatz«) oder die dreiviertelfetttriefende akustische Neujahrsgemeinheit von Johann Strauss, die mich Jahr für Jahr schon am Silvestertag veranlasst, außer Landes zu reisen, an die Adria vorzugsweise. Heinrich Eduard Jacobs Roman Liebe in Üsküb beginnt mit dem Satz: »Zweihundert Meter oberhalb Linz sprang Cäcilie Prandtauer in die Donau.« Und so wie die Donauau eine Au an der Donau ist, ist die Donau außer der Donau auch noch eine Donau, also eine Au am Don. Aber all diese Assoziationen würden zu weit führen und gehören auch eher ins Handbuch des nutzlosen Wissens. Blondl, Mariandl, Mythel und Legendel, die sollen andere erzählen.
Mitten im geistigen Absagen begriffen (nämlich beim Joggen den Lendkanal entlang von meiner Wohnung zur Ostbucht des Wörthersees) ist mir dann aber doch ein Gedanke gekommen, den ich gerne festhalten möchte, weil er eine Gemeinsamkeit, ja mehr noch: eine ganz unvermutete geheime Komplizenschaft zwischen der Donau und mir herstellt. Während die Donau nämlich sehr schön durch Linz und auch noch recht ordentlich durch Krems fließt, fließt die Donau praktisch gar nicht durch Wien, der Bundeshauptfluss nicht durch die Bundeshauptstadt, jedenfalls nicht so richtig. Durch Floridsdorf und Kaisermühlen fließt die Donau und freut sich auf Albern und Schwechat. Sie bleibt gewissermaßen naserümpfend immer am Rand, immer in der Peripherie, und stets hat man den Eindruck, am liebsten würde die Donau an Wien vorbei- oder um Wien herumkommen. Das ist die richtige Einstellung! Das macht mir Mut, der ich zwar berufs- und berufungsbedingt wohl ein Dutzend Mal pro Jahr nach Wien komme, zu Lesungen oder um mich mit Redakteuren, Dramaturgen, Verlegern, Lektoren zu treffen – aber nicht in Wien lebe und auch nicht in Wien leben will: Sei das eigenwillig oder schon starrköpfig, karrieretechnisch ungeschickt oder bloß exzentrisch und egozentrisch. Was der Donau recht ist, ist mir billig. Bei Budapest geht’s dann interessanterweise wieder.
Man muss ja immer mitbedenken, dass die Donau der österreichische Strom ist. Das sollte sich die Themse einmal erlauben, nicht durch London zu fließen! Die Seine, nicht durch Paris! Der Tiber, nicht durch Rom, die Moldau, nicht durch Prag, der Tejo, nicht durch Lissabon zu fließen! Das gäbe eine Aufregung! Und eine Empörung! Schäm dich, Donau! Das hätten wir nicht von dir gedacht! Hätte die Donau ein Einsehen und würde sie endlich mit der Österreichwerbung kooperieren, wäre sie heimattreu, patriotisch und pflichtbewusst, dann müsste sie aus ihrem Flussbett ausbrechen, an der Staatsoper vorbei durch die Kärntner Straße zum Stephansdom, den Dom auf einer kleinen Insel umspülen, dann weiter über den Graben zur Hofburg, zum Heldenplatz, zum Bundeskanzleramt, zum Parlament, Rathaus, Burgtheater, zur Universität fließen; vielleicht ein kleiner Abstecher in die Berggasse zu Sigmund Freud. Schönbrunn und Belvedere müssten selbstverständlich auch im Fließplan aufscheinen. Aber nein! Einen feuchten Dreck schert sich die Autistin Donau um das Wohl des Landes. Gar nichts kann man von ihr haben außer den Donaukanal, und auch den nicht freiwillig. Entweder ist die Donau renitent, subversiv, nicht gesellschaftsfähig, grantig und sie provoziert um des Provozierens willen und will immer gegen den Strom schwimmen: Auf die Art wird sie es hier freilich zu nichts bringen. Oder die Donau ist schüchtern. Scheu. Phlegmatisch. Paralysiert. Depressiv. Schwarzgallig. Zwangsneurotisch. Ein Desperado. Womöglich würde sie ins Wasser gehen, wenn sie könnte. Ein schwerer Fall. Da kann man nichts machen. Oder die Donau hält ganz einfach nichts vom elenden Antichambrieren und Arschkriechen und Kaffeehaussitzen und weiß, dass sie direkt in Wien ohnehin keine Chance hätte.
Der Geist weht, wo er will, und die Donau fließt, wo sie will. Man muss sie nehmen, wie sie ist. Sie fließt durch die Bundeshymne, und sie ist und bleibt der Hauptfluss Österreichs, nicht weil sie so breit und erhaben wäre, sondern weil sie so schlampig und patschert und sonderbar ist, mit einem Wort: so österreichisch. Und deswegen muss ich doch unbedingt in der Donau-Anthologie vertreten sein, während ich ganz bestimmt nie auch nur ein Wort über die Drau schreiben würde. Zwischen mir und ihr besteht keine geheime Komplizenschaft und viel weniger Gemeinsamkeit, als man meinen möchte. Die Drau fließt übrigens auch gar nicht durch Klagenfurt.
PS: Wenn ich einmal gar nicht mehr weiter weiß und gar nicht mehr will und total verzweifelt bin: In die Drau gehe ich nicht! Ich gehe auch nicht in die Mur! Ich gehe in die Donau! Wenn sie Glück hat! Wahrscheinlich nehme ich den Tejo!
Lost in Kitz
Lieber Mário, am letzten Wochenende bin ich nach Kitzbühel gefahren, um einmal in meinem Leben die sagenumwobene einmalige Atmosphäre beim sogenannten Hahnenkammrennen auf der Streif mit eigenen Augen mitzuerleben, die ich bislang nur aus dem Fernsehen kannte, und so kann ich Dir heute wieder ein paar erhellende landeskundliche Mitteilungen machen. Denn in der Hauptstadt der Schination Österreich wird einem gerade an diesem Hahnenkammwochenende eine Facette unseres schönen Landes deutlich: Die sinnfällige Symbiose von Patriotismus und Alkoholismus (wobei aber nicht der Patriotismus zu Alkoholismus, sondern der Alkoholismus zu Patriotismus führt). Seit den frühesten Morgenstunden des Rennsamstags treffen am Bahnhof von Kitzbühel im Zehnminutentakt Sonderzüge ein, die Horden schwer betrunkener Österreicher aus dem gesamten Bundesgebiet herbeibefördern. Man erkennt sie weniger an ihren überdimensionierten rot-weiß-roten Zylindern und alpenländischen Filznarrenhüten, die kongenial zu dem in rustikale Gesichtskriegsbemalung gebetteten dämlichen Grinsen darunter passen, sondern an der bedauerlichen Tatsache, dass für viele von ihnen bereits das Verlassen des Zuges eine unlösbare physikalische Aufgabe darstellt.
Die meisten haben hier nicht einmal ein Zimmer für die Nacht gebucht, da die Nacht ohnehin dem Feiern, der Alkoholvergiftung und der völligen Zumüllung Kitzbühels vorbehalten ist, und unmittelbar nach Gelingen ihres opferreichen Vorhabens versuchen sie in der Morgendämmerung, irgendwie wieder ins Innere des Zuges zu gelangen, der sie und ihr Erbrochenes und ihr Delirium tremens wieder an den Ausgangspunkt zurückbefördert. Und zur Not bekommt man immer ein Zimmer oder wenigstens ein Bett am Gang im Krankenhaus.
Diejenigen schwankenden Gestalten hingegen, lieber Mário, für die die offene Waggontür bei der Ankunft kein unüberwindliches Hindernis war, sammeln sich zu Zigtausenden tutend und trompetend, johlend und grölend am Zielhang der Streif, schwenken die sorgsam mitgebrachten Transparente und Flachmänner, und je illuminierter sie werden, desto überschwänglicher preisen sie ihre Heimat. Das Verb lallen ist äußerst lautmalerisch, da es gleich drei L enthält und auch nichts anderes bedeutet, als seine Sprache, was immer man auch zum Ausdruck bringen will, mit diesem labialen Konsonanten zu unterwandern und zu überschwemmen. Unsere österreichische Bundeshymne, bei der in jedem Satz gleich zweimal das mit L beginnende Wort Land vorkommt, eignet sich für ein derartiges, wenn auch lexikologisch nicht autorisiertes Lautverschiebungsvorhaben geradezu ideal. Aber dass es phonetisch auch möglich ist, die drei Worte Immer wieder Österreich, in denen kein einziges L vorkommt, mithilfe einer Zunge im Schleudergang so auszusprechen, als käme fast kein anderer Buchstabe als das L vor, ist für einen guttural disziplinierten Menschen schwer nachvollziehbar.
Wer Hahnenkammsieger wird, ist weißwurscht. Falls es kein Österreicher, sondern der Amerikaner mit dem hervorragend zu grölenden Namen Bode wird, dann gilt eben, was sein Landsmann Walker Percy in seinem Handbrevier Lost in the Cosmos erklärt:
»… Im Unterschied zum Genuss geistiger Getränke in der Vergangenheit dient der Alkohol nicht dazu, das Fest zu feiern,