vor die Augen, rührten sich aber nicht vom Fleck, bis der Kopf des letzten Delinquenten gefallen war. Manch einer unter den Gaffern stand mit offnem Mund und gierig vorgereckten Händen und wäre am liebsten seinen Vordermännern auf die Köpfe gesprungen, die Exekution nur ja recht genau zu erblicken. Über die Schar der verschrumpften, kleinen, elenden Gesichter hob sich der rote, pausbackige Kopf eines Schlächters, der die Arbeit der Henker mit Kennerblicken verfolgte und sachkundige Bemerkungen darüber mit einem Schwertfeger tauschte, den er seinen Gevatter nannte, weil sie sich an einem schönen Feiertag einmal in der gleichen Kneipe besoffen hatten. Es gab Leute unter den Zuschauern, die sich lebhaft über die Einzelheiten der Hinrichtung stritten, und andre, die sogar Wetten abschlossen; die Mehrzahl aber gehörte zu der Menschensorte, die die ganze Welt und alles, was auf Erden geschehen kann, mit dem gleichen Stumpfsinn betrachtet und sich dadurch nicht einmal im Nasenbohren stören läßt.
In der vordersten Reihe, dicht hinter den schnauzbärtigen Stadtgardisten, stand ein adliger Junker – und war er keiner, so wollte er doch dafür gelten –, ein Bursch im Kriegerwams, der sich gewiß alles, was er besaß, auf den Leib gehängt hatte. Daheim in seiner Wohnung konnte schwerlich mehr zurückgeblieben sein als ein zerrissenes Hemd und etwa ein Paar alte Stiefel. Er trug gleich zwei Ketten mit Schaumünzen um den Hals, eine über der andern. Neben ihm stand seine Dulcinea, die Jungfer Wanda, und er drehte in einem fort den Kopf und gab acht, daß ja keiner ihr seidnes Gewand beschmutze. Dabei erklärte er ihr alles so erschöpfend genau, daß wirklich niemand in der Lage gewesen wäre, seine Mitteilungen nach irgendeiner Richtung hin zu ergänzen. »Holdseligste Wanda«, sagte er, »das ganze Volk, das Ihr hier versammelt seht, ist gekommen, weil es zusehn will, wie die Kosaken hingerichtet werden. Und der Mann, Holdseligste, den Ihr da oben seht: der das Beil und das andre Werkzeug in Händen hält – das ist nämlich der Henker. Der richtet nachher die Delinquenten hin. Und wenn er den Verbrecher rädert und die andern Martern anwendet, dann ist der Verbrecher noch am Leben; aber wenn er ihm den Kopf abhaut, dann, Holdseligste, ist er sofort tot. Zuerst wird er schreien und zappeln, aber wenn sein Kopf mal herunter ist, dann kann er nicht mehr schreien und nicht mehr essen und nicht mehr trinken, weil er dann nämlich keinen Kopf mehr hat, holdseligste Wanda.« So sprach der Junker, und sein Schatz horchte mit schaudernder Spannung auf seine Worte.
Die Dächer wimmelten von Menschen. Aus den Mansardenfenstern sahen die buntbemützten, schnauzbärtigen Köpfe des Gesindes. Auf den Balkonen saß unter Baldachinen der Adel. Um die Gitterstäbe der Brüstungen schlossen sich die hübschen Händchen lachender Damen, deren Zähne in zuckriger Weiße leuchteten. Erlauchte Herren mit kühnen Wänsten blickten gewichtig drein. Diener in prunkvollen Wämsern mit geschlitzten Hängeärmeln reichten Erfrischungen und Süßigkeiten herum. Hie und da warf eine übermütige schwarzäugige Schöne Kuchen und Früchte unter das Volk. Dann hielt die Menge der Hungerleider von Rittern die Kappen auf, und Sieger wurde, wer unter diesen Junkern in schäbigen roten Wämsern mit schwarz gewordnen Goldstickereien die längsten Arme hatte; er hauchte geziert einen Kuß auf die glücklich erhaschte Beute, drückte sie höflich ans Herz und schob sie ins Maul. An einem Fensterkreuz hing in vergoldetem Käfig ein Falke, der gleichfalls zuschauen durfte. Den einen Fuß hochgezogen, musterte er mit schiefgestelltem Kopf über den Schnabel hinweg neugierig die Menge.
Plötzlich erhob sich ein Murmeln; ringsum wurden Stimmen laut: »Sie kommen! Sie kommen! Das sind die Kosaken!«
Die Gefangnen schritten barhaupt einher; ihre Schöpfe waren lang, wilde Bärte starrten ihnen um Kinn und Wangen. Sie zeigten nicht Furcht, noch Trauer – stiller Hochmut sprach verhalten aus ihren Gesichtern. Die Kleider aus kostbarem Tuch waren verschlissen und hingen ihnen in elenden Lumpen um die Glieder. Die Kosaken schenkten dem Volk nicht Blick noch Gruß. – Allen voran schritt Ostap.
Was für Gefühle schüttelten den alten Taraß, als er den Sohn sah! Wie krampfte sich ihm das Herz zusammen! Umdrängt von der feindlichen Menge, stand er und schaute auf Ostap und verschlang jede seiner Bewegungen mit den Augen.
Die Kosaken hatten den Richtplatz erreicht. Ostap machte halt. Er sollte den bittern Todesbecher als erster trinken. Er musterte seine Kameraden zum Abschied, dann hob er die Hand gen Himmel und sprach laut und vernehmlich: »Herrgott, gönn es keinem von diesen ruchlosen Ketzern, daß er ein Stöhnen aus dem Mund eines gefolterten Christenmenschen vernimmt! Gib, daß keiner von uns sich nur ein einziges Wort entreißen läßt!« Und als er so gesprochen hatte, erstieg er das Schafott.
»Recht so, mein Sohn, recht so!« murmelte Bulba und senkte das graue Haupt.
Der Henker riß Ostap die zerlumpten Kleider vom Leib, er band ihm Hände und Füße und spannte sie in ein eigens dafür gemachtes Gestell. Und dann … Schweigen wir von den höllischen Qualen, bei deren Schilderung sich jedem die Haare vor blassem Entsetzen sträuben müßten! Diese Martern waren eine Ausgeburt jener rohen und wilden Zeit, da der Mensch sein Leben einzig den blutigen Greueln des Krieges weihte und sein Herz gegen jede weiche Regung verhärtete. Umsonst bekämpften einige wenige edlere Geister diese sinnlosen Grausamkeiten. Umsonst erhoben der König und viele Ritter, die von aufgeklärterem Verstand waren, warnend die Stimmen und wiesen darauf hin, daß so harte Strafen die Rachsucht des Kosakenvolkes entflammen müßten. Die Macht des Königs und das Urteil der Klügsten im Land waren wie Rohr im Wind vor der frechen Zügellosigkeit der Magnaten, die den polnischen Reichstag durch ihre törichte Kurzsichtigkeit und ihre kindische Eitelkeit zum Spottbild einer Regierung machten.
Ostap ertrug die peinliche Befragung durch die Folter wie ein Riese der Vorzeit. Kein Schrei wurde laut, kein Stöhnen, auch dann nicht, als ihm Arme und Beine gebrochen wurden. Todesschweigen lag auf der Menge. Noch die fernsten unter den Gaffern vernahmen das gräßliche Krachen der Knochen. Alle die zarten Jüngferlein wendeten erbleichend die Köpfe ab. Kein Laut des Schmerzes entriß sich den Lippen des Gemarterten, kein Zittern lief über sein Antlitz.
Taraß stand in der Menge, den Kopf gesenkt und dennoch stolz erhobnen Blicks; voll düstrer Bewunderung murmelte er: »Recht so, mein Sohn, recht so!«
Dann aber, als Ostap der letzten Todesqual unterworfen wurde, wollte die Kraft ihm versagen. Er ließ die Augen über die Menge laufen: Barmherziger Gott, nichts als kalte, fremde Gesichter! Wäre nur einer von seinen Nächsten bei ihm gewesen in der Stunde des Todes! Nicht das Weinen und Jammern der schwachen Mutter begehrte er zu hören, nicht das leidenschaftliche Schluchzen eines jungen Weibes, das sich verzweifelt vor die weiße Brust schlüge und sich um ihn die lockigen Haare raufte; doch einen starken Mann sehnte seine Seele brennend herbei, der ihn mit guter Rede aufrichte und ihm Trost zuspreche in der Bitterkeit des Verscheidens. Seine Kraft zerbrach, er schrie aus der Angst seines Herzens: »Vater! Wo bist du? Hörst du nicht, was sie mir tun?«
»Ich hör es!« klang es stark durch die Stille; und jedem einzelnen unter dem zahllosen Volk kroch kalt ein Schauer den Rücken herunter.
Die reisigen Wächter durchforschten hastig die Menge. Jankel wurde bleich wie der Tod; und als die Reiter an ihm vorüber waren, sah er sich angstschlotternd um. Taraß aber stand nicht mehr hinter ihm, er war verschwunden, als sei er nie dagewesen.
Zwölftes Kapitel
Taraß blieb nicht lange verschwunden. An den Marken des Grenzlands sammelte sich ein Kosakenheer, das zählte einhundertzwanzigtausend Mann. Dies war keine kleine Abteilung mehr, keine Freischar, wie sie sonst wohl auf Beute auszog oder mit den Tataren scharmützelte. Nein, hier hatte sich ein ganzes Volk erhoben, weil seine Geduld am Rand war, weil es Rache nehmen wollte für die Verhöhnung seiner Rechte, für die Verachtung seiner Sitten, für die Kränkung seines ererbten Glaubens, für die Entweihung seiner Kirchen, für den Zwang der verhaßten Union, für die Ungebühr der fremden Junker, für die Schande der Judenherrschaft auf christlicher Erde, für alles, was von altersher den grimmen Haß der Kosaken nährte, ihn sich tiefer und tiefer in die Herzen fressen ließ.
Den Oberbefehl über diesen gewaltigen Heerbann führte der junge, aber tapfre und kluge Hetman Ostranitza. Ihm zur Seite stand sein hochbetagter,