Karin Bucha

Karin Bucha Staffel 5 – Liebesroman


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      Er lächelt vor sich hin. Das zu erfahren dürfte ihm nicht schwerfallen. Und dann laufen seine Gedanken in eine andere Richtung. Zu Ulrich Karsten, dem einzigen Freund, dem liebenswerten Menschen, der hinter Gefängnismauern steckt.

      Was er nicht weiß, ist, daß Ulrich Karsten bereits den Mauern entronnen ist, dank seiner guten Führung. –

      William Reincke springt am nächsten Morgen zeitig aus den Federn, läßt sich von der Mamsell eine Tasse starken Kaffee geben und braust davon, ohne seine Familie begrüßt zu haben.

      Er hat es eilig, zu Ulrich Karsten zu kommen. Zunächst sucht er Rechtsanwalt Doktor Rauh auf. Zuerst ist er etwas enttäuscht von dem Mann, der den Freund verteidigt hat, doch im Laufe der Unterhaltung ändert er gewaltig seine Meinung.

      Doktor Rauh ist ein guter Psychologe, ein scharfer Beobachter und ein Mann von menschlichen Qualitäten.

      »Sie sind nicht allein um Ulrich Karstens Los besorgt«, erwähnt er im Laufe der kurzen Unterhaltung. »Da ist noch eine Frau, die die Rätsel um ihn lösen möchte. Natürlich darf ich mich nicht vergessen. Doch solange die Frau nicht gefunden ist, die die Hauptrolle in diesem Trauerspiel übernommen hatte, kommen wir nicht vorwärts.«

      »Sie sind also noch von Karstens Schuld überzeugt?«

      »Schuld?« Doktor Rauh schnellt förmlich aus seinem Sessel empor. »Von seiner Unschuld, Herr Reincke. Wäre ich sonst an der Angelegenheit interessiert?«

      »Und wer ist die Frau, bei der Sie die Lösung des Rätsels vermuten?«

      »Marion Wendland heißt sie, und sie war die Verlobte Ihres Freundes.«

      Reincke betrachtet eingehend seine Fingernägel, wie immer, wenn ihn etwas stark beschäftigt.

      »Und wie sieht die Frau aus – natürlich sehr gut, nicht wahr?«

      »Geschmacksache!« erwidert Rauh und stellt sich Marion Wendland vor. »Sie gilt als schön, ist rotblond, mit seltsam graugrünen Augen, tadellose Figur, elegant – und rätselhaft. Genügt Ihnen diese Beschreibung?«

      Merkwürdig! Im selben Augenblick sieht er die Bardame vor sich. Rotblond, graugrüne Augen, elegant, schön, geheimnisvoll.

      Blödsinn! Sie mit den Geschehnissen in Verbindung zu bringen.

      »Und wann darf ich Ulrich Karsten besuchen?«

      »Aber der ist ja schon seit einigen Tagen wieder in Freiheit.«

      Jetzt ist Reincke überrascht. »Und das sagen Sie mir erst jetzt?« Er beginnt über das ganze Gesicht zu strahlen. »Wo finde ich ihn? Ich nehme an, daß Ihnen das bekannt ist.«

      Doktor Rauh gibt ihm erschöpfend Auskunft, und dann verabschiedet William Reincke sich von dem Rechtsanwalt. »Sie werden von mir hören«, sagt er zum Abschied und macht sich hurtig auf den Weg zur Pension Bothe.

      Er steigt zögernd die Treppen zum Eingang empor, sieht sich aufmerksam in der Halle um. Hm! Nicht übel – denkt er, und dann bittet er das freundliche Hausmädchen ihn bei Ulrich Karsten, falls er im Hause ist, zu melden.

      »Herr Karsten ist da. Darf ich bitten?«

      Er steigt eine läuferbelegte Treppe empor, geht einen Gang entlang, und nachdem das Mädchen verschwunden ist, klopft er an die Tür.

      Ohne eine Aufforderung abzuwarten, tritt er ein. Karsten lehnt am Fenster, ganz in Gedanken versunken. Der Teppich dämpft William Reinckes Schritte. Karsten fährt herum, als seine Hand seine Schulter umfaßt.

      Sekundenlang starrt er Reincke wie ein Wesen aus einer anderen Welt an. Dann zuckt es in seinen Zügen und dann liegen sie sich in den Armen, trommeln sich auf den Rücken und finden all die unsinnigen, kindischen Namen aus ihrer gemeinsam verbrachten Schulzeit wieder.

      Hinter diesem törichten Tun verbirgt sich eine große Erschütterung, die auf beiden Seiten gleich ist. Reincke findet den Freund verhärmt, versorgt, hager und mit tiefliegenden Augen, voller Hoffnungslosigkeit. Karsten fällt beim Anblick des tiefgebräunten, Gesundheit strotzenden, vor Lebendigkeit überströmenden Freundes das eigene Schicksal doppelt schwer auf die Seele.

      Noch einmal so unbeschwert sein können – denkt er voll Wehmut, und er ahnt nicht, wie der Freund in seinen Zügen zu lesen vermag.

      »Uli, altes Haus, daß ich dich wiedersehen kann. Nach so langer Zeit. Menschenskind, man hat sich aus den Augen verloren und merkt erst jetzt, wie sehr man an dem anderen hängt. Hast du was Trinkbares da?«

      Er fragt nicht, warum Karsten nicht in der eigenen Wohnung lebt, er, der Architekt, der sehr viel Geld verdient hat. Er gibt sich zunächst ganz ahnungslos. Karsten klingelt das Mädchen herbei und Reincke übernimmt die Bestellung.

      »Du gestattest doch, Uli. Ich weiß in solchen Dingen mehr Bescheid als du.«

      Karsten läßt gern über sich bestimmen. Er kommt sich überhaupt so schlapp und erbärmlich vor.

      Bei einem Glas sitzen sie sich dann gegenüber. Immer wieder taucht die Frage auf: »Weißt du noch?« Und dann lacht Reincke herzlich auf, denn immer war er es, der die Streiche ausheckte und die anderen folgten ihm nur zu willig.

      Und auf einmal steht ein bedrückendes Schweigen zwischen ihnen. Reincke hat die Frage gestellt:

      »Armer Kerl, was hast du inzwischen durchmachen müssen.«

      Vor dieser Frage hat Karsten sich gefürchtet. Unschlüssig sieht er vor sich hin. Dann hebt er ruckartig den Kopf.

      »Sprechen wir nicht davon, William!«

      Reincke neigt sich vor. »Doch«, sagt er beharrlich. »Wir müssen davon sprechen, denn ich will dir helfen.«

      »Mir kann doch keiner helfen, Wulli.« Unwillkürlich greift er auf den Kosenamen zurück. »Ich habe die Tat begangen, man hat mich sehr milde bestraft und nun bin ich frei und beginne ein neues Leben.«

      »Und wie sieht dieses neue Leben aus?« läßt Reincke nicht locker.

      »Noch habe ich keinen Anfang gefunden«, gibt Karsten ehrlich und bedrückt zu. Und schließlich erzählt er seine Mißerfolge.

      »Das verstehe ich nicht, Uli. Du kannst doch mit deinem Geld jederzeit ein Büro eröffnen. Wenn nicht hier, dann in irgendeiner Stadt!«

      Karsten lacht grell auf. Ahnungsloser Engel – denkt er – mit hundert Mark, die mir längst nicht mehr gehören, die bereits Eigentum Milli Bothes für ihre Bewirtung sind.

      Vorübergehend hat er das heiße Bedürfnis, sich dem Freund restlos anzuvertrauen.

      Dann preßt er die Lippen zusammen und schweigt.

      »Und die Frau – deine Verlobte?«

      In Karstens Augen blitzt es auf. »Du weißt verdammt viel von mir.«

      »Und du scheinst zu vergessen, daß wir im Zeitalter der Atombombe leben, daß es Zeitungen gibt und findige Reporter, die ihre Blätter weit hinaus in die Welt flattern lassen. Mich hat eine solche Zeitungsnotiz zurückgerufen. Meinst du, ich hätte die vielen tausend Kilometer hinter mich gebracht, um mich jetzt von dir mit ein paar nichtssagenden Worten abspeisen zu lassen?«

      »Was willst du wissen?« Das klingt feindselig und abwehrend.

      »Alles!«

      »Mein Gott!« Karsten kann nicht mehr still sitzen. Er wandert im Zimmer umher, fühlt sich von den Blicken Reinckes verfolgt und aufmerksam beobachtet und ist ratloser und verschlossener denn je.

      »So rede doch endlich, Uli!« fällt Reinckes Stimme in die eingetretene Stille.

      Wieder dieses ratlose, widerwillige »Mein Gott!«

      »Liebst du diese Frau noch?«

      »Ja, ja, und nochmals ja. Ich liebe sie noch.« Heftig aufbrausend bricht es aus Karsten.

      »Trotzdem sie dich verlassen und – verraten