Karin Bucha

Karin Bucha Staffel 5 – Liebesroman


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war ein Mensch, Onkel. Man kann nicht einfach hingehen und den anderen totschießen –«

      »Das stimmt schon, Kind. So magst du urteilen, weil von deinem Urteil ja auch die Strafe abhing, die man über Ulrich Karsten verhängt hat. Was hat er denn bekommen?«

      Eva-Maria ist fertig umgekleidet und tritt ins Zimmer.

      »Zwei Jahre, Onkel Charly«, berichtete sie, ohne ihn anzusehen und nimmt sich eine Zigarette von dem Tisch, der vor Charly Harris steht. »Davon ist ihm aber ein Teil auf Bewährung erlassen.«

      »Soso«, macht Harris und greift in die Zigarettendose, die ihm Eva-Maria reicht. Er bedient sie und sich mit Feuer und blickt auf die Uhr am Handgelenk. »Zehn Minuten können wir noch verplaudern.«

      Er betrachtet sie mit liebevollen Blicken. »Reizend siehst du aus, Eva- Maria. Ich habe deinen Anblick lange entbehrt.«

      Sie droht mit der Hand. »So lange hast du mich auch noch nie allein gelassen, Onkel. Bald ein und ein halbes Jahr. Wie hast du das nur so lange ausgehalten?«

      »Ich wollte dir Zeit lassen, dich einzugewöhnen, Kind«, sagt er wahrheitsgetreu. »Aber wann kommst du zu mir?«

      »Vorläufig nicht, Onkel. Das Geschäft braucht mich. Du hast dich ja heute überzeugt, wie gut der Laden geht. Alles verdanke ich dir.«

      Er wehrt mit beiden Händen ab. »Du übertreibst, Kind. Du allein bist Anziehungspunkt. Ich habe Gelegenheit gehabt, dich im Umgang mit deinen Kunden zu beobachten. Du bist einfach unvergleichlich reizend zu allen.«

      »Jetzt übertreibst du, Onkel. Du siehst alles mit Augen der Liebe.«

      Sie drückt ihre Zigarette aus und erhebt sich von ihrem Platz.

      »Ich glaube, es ist Zeit.«

      Arm in Arm begeben sie sich über den Flur, die Treppe hinab in den gemütlichen Speisesaal. Gottlob – denkt sie – daß Ulrich Karsten sich nicht an den allgemeinen Mahlzeiten beteiligt.

      Ihr verschlägt es beinahe den Atem, als sie neben dem Onkel an der Tafel Platz genommen hat und Ulrich Karsten, im dunklen Anzug, in der Tür erscheint und zögernd den Raum betritt.

      Eva-Marias Hand umklammert wie haltsuchend die Serviette, denn Onkel Charly neigt sich zu ihr und flüstert:

      »Da ist er doch, Eva-Maria. Wie – wie kommt er hierher?«

      Noch ehe sie antworten kann, steht Charly Harris auf und geht auf Ulrich Karsten zu. »Wie geht es Ihnen, Herr Karsten?«

      Karsten stutzt und sucht in seinem Gedächtnis, wohin er den Mann mit der hageren Gestalt, den weißen Haaren und den sehr hellen Augen hintun soll.

      Harris wartet gar keine Antwort ab, sondern wendet sich seiner Nichte zu.

      »Du gestattest doch, daß Herr Karsten sich zu uns setzt?«

      »Bitte!« sagte sie leise und streckt Karsten die Hand hin. Da fällt ein Vorhang vor Karsten nieder. Er sieht sich neben dieser wunderschönen Frau über Pläne geneigt. Er geht an ihrer Seite durch Räume, die angefüllt mit Kostbarkeiten aus aller Welt sind, und er hört ihre dunkle schwingende Stimme zu jedem Stück Erklärungen geben.

      Aber er sieht dieses zarte Gesicht mit den leuchtenden Augen auch hinter einem langen Tisch auftauchen. Es ist von schneeiger Blässe, und sie sieht beharrlich an ihm vorbei.

      Als er die schmalen, kühlen Finger in seiner Hand fühlt, strömt eine Welle der Scham durch seinen Körper. Hier muß er die Frau wiedersehen?

      Wäre er doch in der Einsamkeit seines Zimmer geblieben.

      Nun wird man ihn mit unangenehmen Fragen überfallen, und er wird keine beantworten können, weil er es nicht will.

      Doch nichts davon geschieht. Charly Harris beginnt ein lebhaftes Gespräch und achtet kaum auf die einsilbigen Antworten.

      »Sie sprechen sehr gut englisch«, sagt Harris, und man sieht ihm die Freude über dieses Wiedersehen an. Eva-Maria sitzt still dabei, nippt von den Speisen, genau wie Karsten, und genießt mit allen Sinnen die Nähe des Mannes, den sie über alles liebt.

      Harris’ Augen sind geschärft. Er beobachtet seine Nichte genau. Nichts bleibt ihm verborgen.

      Ulrich Karsten erkennt das taktvolle Bemühen des Mannes aus England dankbar an. Aber er spürt auch die Mauer eisigen Schweigens, die die anderen Gäste um sich gebaut haben.

      Er möchte auf und davon laufen, wenn ihn der liebenswürdige Mann an seiner Seite nicht fesseln würde.

      »Würden Sie für heute abend mein Gast sein?« hörte er Charly Harris fragen. »Wir wollen noch ein bißchen ausgehen, da ich morgen wieder zu meinen Pferden zurückkehre.«

      Wie erwachend sieht er sich um. Er begegnet den Augen Eva-Marias, und wie unter fremdem Zwang sagt er:

      »Sehr gern.«

      Charly Harris läßt ein Taxi kommen, und wenig später tauchen sie mitten im nächtlichen Betrieb der Stadt unter. Karsten ist wie berauscht. So lange hat er das entbehrt, was ihm früher selbstverständlich war. Er sieht sich in der eleganten Bar mit trunkenen Augen um. Die gepflegte Umgebung, die gutangezogenen Menschen, die Teppiche, das spiegelnde Parkett, die Musik, die weich und einschmeichelnd in den Ohren klingt.

      »Tanzen Sie gar nicht?« reißt Charly Harris den sinnenden Mann aus seinen Gedanken.

      »Verzeihen Sie«, sagt er ganz verstört und verneigt sich vor Eva-Maria. »Wollen Sie – mit – mir tanzen?«

      »Gern, ich tanze für mein Leben gern«, erwidert sie nun bereitwillig. Und dann legt sich erstmalig sein Arm um die gertenschlanke Gestalt. Seine Hand zittert. Durch den dünnen Stoff ihres Abendkleides fühlt sie es. Sie schmiegt sich glücklich in seinen Arm und paßt sich seinen Schritten harmonisch an.

      Seltsame Gefühle beherrschen Karsten. Wie lange hat er keine Frau im Arm gehalten? Der braunglänzende Frauenkopf verschwimmt vor seinen Augen und ein rotblonder taucht dafür auf. Er sieht graugrüne lockende Augen vor sich und einen schwellenden, sehnsüchtig geöffneten Mund.

      Marion – tönt eine Stimme in ihm. Die Erinnerung an die Frau, die er wahnsinnig geliebt hat und die er, ja, jetzt weiß er es ganz genau, immer noch liebt, überfällt ihn mit Macht.

      Erst als die Musik verstummt und die Paare Beifall klatschen, erwacht er aus seinem törichten Traum – ja, einem törichten Traum.

      Er weiß, daß er sich an etwas klammert, was ihm gar nicht mehr gehört. Vielleicht hat es ihm überhaupt nicht gehört?

      Er fährt sich über die hohe Stirn. Schweißperlen stehen darauf.

      Dann begegnet er dem Blick der klaren Blauaugen. Ob sie wohl auch so berechnend und zerstörend ist wie Marion? Gleich darauf schämt er sich, denn er hört sie teilnehmend fragen:

      »Ist Ihnen nicht wohl, Herr Karsten?« Und als er nicht gleich antwortete, setzt sie, um ihm eine goldene Brücke zu bauen, hinzu: »Es ist fürchterlich heiß hier. Wollen wir lieber gehen?«

      Erstaunt betrachtet er sie.

      »Ich wäre Ihnen dankbar. Sie wissen, ich muß mich erst wieder an das alte Leben gewöhnen.«

      Dabei wird sein Gesicht hart, und seine Lippen pressen sich zusammen. Todunglücklich sieht er aus, unglücklich und kummervoll.

      »Nun, war es schön?« erkundigt Charly Harris sich, als sie an den Tisch zurückkehren. Er hat wohl den seligen Ausdruck ihres Gesichtes bemerkt und freut sich. Um so erstaunter ist er, als sie antwortet:

      »Sehr schön, Onkel. Aber ich möchte doch lieber heimgehen. Ich bin müde.«

      Sie fahren in die Pension zurück. In der Halle verabschiedet Karsten sich mit vollendeter Höflichkeit. Nichte und Onkel bleiben zurück.

      »Wollen wir noch Mokka trinken, Kind?«

      Sie nickt zustimmend, und dann sitzen sie sich in den tiefen,