begleitet und war ganz elend vor Abschiedsschmerz. Immer wieder mußte er in das zarte, blasse Gesicht der Nichte sehen.
»Komm doch mit, Liebling«, schlug er vor, seine Stimme zur Festigkeit zwingend, denn auch ihn hielt der Abschiedsschmerz gepackt. »Nimm dir eine tüchtige Vertreterin für das Geschäft. Nur für ein paar Wochen.«
»Ich möchte schon, Onkel, aber ich – kann nicht«, erwiderte sie leise.
Die Stimme aus dem Lautsprecher übertönte den weiten Platz.
»Die Passagiere bitte zum Flugzeug nach London. Bitte einsteigen…«
Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Komm bald wieder, Onkel«, flüsterte sie, und dann riß sie sich los. Er sah ihr lange nach und bestieg als letzter die Maschine.
Auf dem Heimweg wird Eva-Maria die Sinnlosigkeit ihres Handelns klar. Was will sie eigentlich in der Pension? Sie hat seit jenem Abend Ulrich Karsten nicht wiedergesehen. Milli Bothe wagt sie nicht nach ihm zu fragen. Ob er überhaupt nicht mehr hier wohnt? Gleichzeitig überfällt sie Sehnsucht nach ihrem eigenen, behaglichen Heim, nach ihren Büchern und nach ihrer Musik.
In der Halle begegnet ihr Milli Bothe. Sie hat das schöne, liebenswürdige Geschöpf, über dem trotz seiner Reife etwas ungemein Liebliches und Mädchenhaftes liegt, sehr gern.
»Nun, wieder allein?« erkundigt sie sich und lehnt sich neben Eva-Maria an das Treppengeländer.
»Sieht man mir das so sehr an?« Eva-Maria versucht ein Lächeln. »Nun ja, man leidet, wenn man von einem lieben Menschen Abschied nehmen muß.« Sie sieht sich suchend in der Halle um. Und dann wagt sie die Frage, die ihr schon lange auf der Zunge brennt. »Wo steckt übrigens Herr Karsten? Man sieht ihn kaum.«
Milli Bothe forscht in den klaren blauen Augen. Ist das nun Neugier oder Teilnahme? Weder noch liest sie daraus, und das veranlaßt sie, Eva-Maria in ihr kleines Schreibkabinett zu ziehen.
»Sie sind doch mit Ulrich Karsten befreundet? Nicht? Nur bekannt? Aber ich habe bemerkt, daß Sie und auch Ihr Onkel Herrn Karsten schätzen –«, hier unterbricht sie sich, denn sie sieht, wie in das eben noch blasse Gesicht rosarote Farbe steigt.
»Herr Karsten hat für mich einen Auftrag, einen sehr schönen Auftrag, zu meiner großen Zufriedenheit ausgeführt. Daher kennen wir uns«, erklärt Eva-Maria.
»Soso«, macht Milli Bothe, und sie meint, noch niemals Augen von solcher Klarheit gesehen zu haben. »Wollen Sie mir einen Gefallen tun?«
»Aber gern, Frau Bothe«, erklärt Eva-Maria.
»Dann suchen Sie einmal Herrn Karsten auf. Er – er ist sehr unglücklich. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen können. Er – er –«
Sie findet tatsächlich nicht die rechten Worte, um den augenblicklichen Zustand ihres Gastes schildern zu können, ohne eine Indiskretion zu begehen. Da kommt Eva-Maria ihr zu Hilfe.
»Ich verstehe Sie nicht nur, ich weiß alles von Ulrich Karsten.«
Sie fühlt, wie Milli Bothe ihr bald die Hand zerquetscht. »Und trotzdem waren Sie so nett zu ihm? Dann glauben Sie wohl auch an seine Unschuld?«
»Diese Frage ist so schwer zu beantworten«, weicht Eva-Maria aus. »Wenn eine Schuld seinerseits besteht, dann sicher nur aus Motiven, die uns nicht bekannt sind.« Aber Eva-Maria erhebt sich und drückt noch einmal warm die Hand der Wirtin, »wenn es Sie beruhigt, will ich Herrn Karsten gern mal aufsuchen.«
Langsam steigt sie die Treppe empor, macht ihr Zimmer auf, erfrischt sich, kämmt das glänzende Haar und verläßt ihr Zimmer wieder.
Vor der Tür zu Ulrich Karstens Zimmer bleibt sie sekundenlang unschlüssig stehen, dann gibt sie sich einen Ruck und klopft an.
»Herein!«
Überall auf Tisch und Stühlen sind Papiere ausgebreitet. Pläne, wie sie auf den ersten Blick sieht.
Maßloses Erstaunen liegt in seinen Zügen. »Sie kommen zu mir?«
Sie lächelt, hilflos und verwirrt. »Sie arbeiten?« fragt sie und kommt näher. »Wie schön. Darf man einige Arbeiten sehen?«
Mißmutig rafft er die Papiere zusammen. »Es ist alles nichts. Alles Stückwerk. Ich weiß gar nicht, wohin der Schwung von früher gekommen ist. Mir will nichts Rechtes einfallen.«
Eva-Maria bückt sich und hebt einen der mißhandelten Papiere auf. Eingehend studiert sie die Umrisse eines Neubaues, mit Gartenanlage und Schwimmbad.
»Wie schön«, stößt sie entzückt hervor. »Das ist wunderschön.« Ihre Augen strahlen ihn unbefangen an. »Wenn ich einmal seßhaft werde, müssen Sie mir ein solches Haus bauen.«
»Dann werden Sie mich längst vergessen haben«, preßt er hervor und ist erstaunt über ihr spontanes: »Niemals!«
Sekundenlang denkt er etwas ganz Irrsinniges. Warum hat er sich an eine Frau wie Marion verlieren müssen? Warum hat nicht ein Mensch wie diese Frau neben ihm gestanden?
Und wieder überkommt ihn die Verzweiflung. »Mein Leben ist verpfuscht«, sagt er grimmig. »Wenn ich es recht bedenke, dann hält mich nur der Glaube an die Liebe Marion Wendlands aufrecht. Eine Welt würde für mich zusammenstürzen, wenn die Frau, der mein Herz immer noch gehört, gegen diese Liebe gesündigt hätte.«
Ach, du lieber Gott – denkt Eva-
Maria verzweifelt und verstört sieht sie zu ihm auf.
Plötzlich fühlt sie sich an den Schultern gepackt. Ganz nahe ist sein Gesicht ihr.
»Warum sagen Sie nichts, Eva-Maria Harris? Warum sehen Sie mich so mitleidig an? Habe ich meinen Verstand nicht mehr beisammen, daß ich nach alledem noch so fest an die Frau glaube, der mein Herz gehört?«
Er sieht ihr tiefes Erschrecken und gibt sie ruckartig frei.
»Verzeihen Sie«, murmelt er verstört und fährt sich mit beiden Händen durch das Haar. »Sie ahnen nicht, was ich durchmache. Ich bin mir meiner sicher, aber kann ich es auch für die Frau sein? Nachts überkommen mich Zweifel. Ich müßte mich von dem Vergangenen lösen und kann es nicht. Ich bin dauernd von Gefühlen hin und her gerissen.«
»Machen Sie sich doch frei von diesen zermürbenden Dingen, Ulrich Karsten«, hört er ihre weiche Stimme, die wie sanftes Streicheln ist. »Beginnen Sie von vorn. Vergessen Sie die Frau. Versuchen Sie es wenigstens.«
Er sinkt auf den nächsten Stuhl, vergräbt das Gesicht in den Händen und stöhnt. »Das will ich ja«, murmelt er zwischen den Fingern. »Aber ich brauche Gewißheit.«
Sie reckt die hohe, so zart und zerbrechlich wirkende Gestalt.
»Sie müssen die Frau suchen, Ulrich Karsten. Sie muß doch zu finden sein«, rät sie ihm, und zugleich denkt sie an Doktor Rauh und seine Nachforschungen, die alle im Sande verlaufen sind.
Nicht einmal einen guten Rat geben kann ich ihm – überlegt sie und erkennt schmerzlich ihre Ohnmacht.
Sie hört ihn wieder sprechen. Rauh ist seine Stimme, aber wieder gefaßt. »Verzeihen Sie«, sagt er noch einmal und erhebt sich »Ich habe mich unverantwortlich benommen. Warum belaste ich Sie mit meinen Sorgen.«
»Sie haben mich nicht belastet«, wirft sie warmherzig ein.
Da lächelt er ein schattenhaftes Lächeln. Wie müßte es erst sein, wenn er von ganzem Herzen lachen könnte?
»Sie sind ein großartiger Mensch, Eva-Maria Harris. Es hat mir wohlgetan, Ihnen gegenüber sprechen zu dürfen. Ich weiß, daß ich Ihnen vertrauen kann.«
Er vertraut mir? Eine Welle der Glückseligkeit durchströmt sie. Er hat Vertrauen zu mir? Ist das nicht schon Glück, ein unbegreifliches, kaum erhofftes Glück? Wie gut, Milli Bothe, daß du mich zu ihm geschickt hast.
Wenig später sitzt sie Milli Bothe gegenüber, reibt die Handflächen hilflos gegeneinander
»Nun?«