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Nun, begeistert waren sie nicht, als er ihnen am nächsten Tag von Evelins bevorstehendem Besuch berichtete.
Gitta nickte nur, aber er hörte aus ihrem Schweigen ihre Besorgnis und Missbilligung genau heraus.
Reni hingegen überlegte eine Weile und rief dann entrüstet: »Und was will die hier? Will die etwa meine Ostereier suchen und aufessen?«
»Aber nein«, beruhigte Henrik sein aufgeregtes Töchterchen. »Sie ist ja deine richtige Mutti und möchte nur wissen, wie es dir geht, ob du gewachsen und ein hübsches Mädchen geworden bist.«
»Deshalb muss sie doch nicht herkommen. Schick ihr doch ein Bild von mir.«
Nach diesem Argument schauten sich Gitta und Henrik entgeistert an, bis er lachend sagte: »Das Kind kann logisch denken, aber ich glaube nicht, dass Evelin mit diesem Vorschlag einverstanden sein würde.«
»Wann kommt sie denn, und wie lange will sie bleiben?«, erkundigte sich Gitta so sachlich wie möglich.
»Am Donnerstag vor Ostern«, entgegnete er. »Am Montag will sie dann wieder abreisen.«
»Wohnt die hier bei uns?«
»Nein, Reni. Sie wird sich ein Zimmer in einer Pension nehmen und wahrscheinlich gar nicht hierherkommen. Wir beide besuchen sie und fahren dann wieder nach Hause.«
Es wäre schön, wenn ich die Frau Doktor nicht sehen müsste und sie bald wieder abfährt, dachte Gitta bedrückt. Ich frage mich nur, was sie hier will. Hat sie plötzlich Muttergefühle bei sich entdeckt? Oder will sie zu dem Mann zurück, den sie vor Jahren verlassen hat?
Henrik stellte sich diese Fragen nicht, weil er Evelins bevorstehendem Besuch lediglich als spontanen Einfall wertete. Seine Ex-Frau wusste mit Feiertagen nichts anzufangen. Dann waren die Läden nämlich geschlossen und ihre Kollegen, mit denen sie sich ja so gut verstand, bei ihren Familien. Außerdem hatten sich ihre Eltern mit einem gleichgesinnten und etwa gleichaltrigen Ehepaar angefreundet und waren mit diesem viel unterwegs. Evelin fühlte sich in diesem Kreis wahrscheinlich wie das sprichwörtliche fünfte Rad am Wagen und zog es daher vor, lieber die eigene Tochter zu besuchen. Vielleicht war ja inzwischen aus der eine junge Dame geworden, die schon Interesse für teure Modehäuser und diverse Schmuckgeschäfte hatte. Dennoch war er aufgeregt und neugierig, was seiner zukünftigen Ehefrau nicht entging.
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Reni fand sich an diesem Morgen ausgesprochen hübsch in der neuen dunkelblauen Jeanshose und dem pinkfarbenen T-Shirt. Und die Haare hatte Tante Gitta auch schön gebürstet und mit zwei silbernen Spangen festgesteckt. Ja, das war alles total in Ordnung.
Nicht in Ordnung, ja, geradezu schrecklich war es jedoch, dass sie an diesem Tag nicht zu ihrer Freundin Thea gehen durfte, sondern zu dieser Frau, die sie kaum kannte und die ihre richtige Mutter sein sollte – und die jetzt in irgendeinem Hotel auf sie wartete.
Henrik sah der Kleinen an, was sie dachte. Und er ahnte auch, wie Gitta sich jetzt fühlte.
»Wir werden nicht lange bleiben«, versprach er ihr hastig und nahm sie tröstend in die Arme. »Am liebsten würde ich gar nicht hinfahren, aber sie ist nun einmal da und hat ein Recht, ihr Kind zu sehen.«
»Natürlich, mach dir um mich bloß keine Gedanken. Ich habe genug Beschäftigung. Und nun macht euch auf den Weg.« Sie nahm das Kind in die Arme und drückte es kurz an sich. Dabei flüsterte ihr Reni zu: »Ich erzähle dir heute Abend alles ganz genau.«
»Das ist schön.« Gitta zwang sich zu einem Lächeln und sah dann betrübt zu, wie Vater und Tochter die Wohnung verließen.
Evelin, die schon am Vortag angekommen war, hatte sich inzwischen ausgeruht und sah jetzt frisch und attraktiv und wie immer sehr elegant aus. Und sie tat bei der Begrüßung so, als hätte es nie Differenzen zwischen Henrik und ihr gegeben, als hätte sie Mann und Kind nie verlassen.
Er ging auf ihren munteren Ton ein und stellte bei sich fest, dass sie ihm rein äußerlich immer noch gefiel oder wieder gefiel. Ihren Egoismus vergaß er in diesen ersten Minuten des Wiedersehens vollkommen.
Seine Tochter konnte seine Freude nicht teilen. Sie bedachte die ›fremde Tante‹ mit misstrauischen Blicken und reichte ihr nur widerstrebend die Hand.
»Du bist aber groß und hübsch geworden.« Evelin zwang sich zu einem Lachen und strich ihrem Kind über das Haar. »Dann wird dir sicher gefallen, was ich dir mitgebracht habe.«
Sie wies auf eine bunte Kiste, die auf dem Tisch stand, und erklärte dazu: »Das ist eine Verkleidungskiste. Das sind verschiedene Kostüme drin und alles, was Elfen noch so brauchen – Haarreifen, Haarbänder, Ketten, Flügel und ein Zauberstab natürlich auch. Mach doch mal auf!«
Reni schaute Hilfe suchend zu ihrem Vater und griff nach seiner Hand, worauf der sie behutsam zu dem Geschenk ihrer Mutter dirigierte und dann die Kiste öffnete.
Evelin hatte offenbar euphorische Begeisterung erwartet, hatte angenommen, die Kleine würde sich auf die wirklich hübschen Kleidchen stürzen und sie gleich anprobieren wollen. Sie wusste ja nicht, dass Irene viel lieber Hosen trug und sich vor allem für Tiere und Pflanzen interessierte. So war die Enttäuschung von beiden Seiten nicht zu übersehen, und Henrik warf sich vor, mit Evelin kaum über das gemeinsame Kind gesprochen zu haben.
Es gelang ihm jedoch, die Situation zu entspannen, indem er lächelnd vorschlug: »Damit werdet ihr viel Spaß haben, Thea und du. Und vielleicht kommt die Mia auch noch. Dann könnt ihr eine Super-Elfenparty feiern.«
Das leuchtete der Kleinen sofort ein. Sie nahm sich einen Haarreifen, beäugte ihn genau, legte ihn wieder zurück und rief dann: »Und Tante Gitta bäckt Blaubeermuffins für uns und kocht Kakao.«
»Das wird sie bestimmt tun. Und nun bedanke dich bei deiner Mutti.«
»Danke schön, Tante«, murmelte Reni kaum verständlich, während sie sich erneut an ihren Papa schmiegte.
»Du sagst ›Tante‹ zu mir?« Evelins Stimme klang schrill, was das Kind noch mehr verunsicherte und Henrik leise und verärgert zu seiner ehemaligen Frau sagen ließ: »Hast du etwa gedacht, sie fällt dir vor Freude um den Hals und sagt sofort ›Mutti‹ zu dir? Wie kann sie das? Sie kennt dich doch kaum.«
»Ja, ja, schon gut«, winkte sie ungehalten ab. »Es kann sich ja alles noch ändern. Wollen wir nun einen Einkaufsbummel machen?«
Henrik seufzte ein wenig, denn er hatte dieses Rennen von einem Laden zum anderen in unguter Erinnerung, und er bezweifelte auch, dass Reni begeistert mitmachen würde.
»Ja, gehen wir einkaufen«, erwiderte er dennoch. »Ein Stündchen wird unsere Tochter schon durchhalten.«
Evelin lächelte dazu säuerlich und wollte ihrem Kind nur wenig später ein hellblaues Sommerkleid mit aufgedruckten Schleifen und Schmetterlingen sowie einen pinkfarbenen Rock mit passender Bluse kaufen.
Doch Reni wollte weder das eine noch das andere anziehen und protestierte laut und deutlich: »So etwas gefällt mir nicht, das will ich nicht haben.«
»Was soll ich dir denn schenken?«
»Eine Jeanshose oder Leggins«, antwortete die Kleine ihrer Mutter und setzte nach kurzer Überlegung hinzu: »Und einen Goldhamster.«
Henrik konnte sich daraufhin ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, was seine Ex-Frau natürlich bemerkte.
»Einen Goldhamster?!«, rief sie entsetzt. »So ein Vieh ist doch ekelhaft.«
»Ist es gar nicht. Er ist niedlich – und – und – ich werde ihn lieb haben, viel lieber als dich.« Reni begann zu schluchzen und rannte zur Tür, wollte weglaufen, weil es ihr bei dieser ›komischen Tante‹ überhaupt nicht gefiel. Henrik holte sie jedoch rechtzeitig ein und befahl barsch: »Du wirst hierbleiben und dich fortan besser benehmen, mein Fräulein. Deine Mutti mag nun einmal keine Tiere. Und die muss sie auch nicht mögen, weil sie sich sowieso keine anschaffen wird. Und du brauchst kein Kleid zu tragen,