Leni Behrendt

Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman


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uns doch wirklich nichts an. Laß diesen spöttischen Blick, Eike, du machst mich damit nervös. Du hättest besser getan, Papa auszureden, das Fräulein ins Haus zu holen, statt ihn noch darin zu bestärken.«

      »Aber Thea!« mahnte die Mutter leise. »Vergißt du denn ganz, daß Thomas kurz vor seinem Tode den Vater flehentlich bat, sich seines verlassenen Stiefkindes anzunehmen?«

      »Ach was, Thomas hatte gar nichts mehr zu verlangen«, ereiferte Thea sich immer mehr. »Er hatte doch schon längst sein Erbe weg. Und da ist es eine Zumutung von ihm, uns seine Stieftochter aufzuhalsen, die nun Papa auch noch auf der Tasche liegt.«

      »Eben…«, lächelte der Bruder ironisch. »Das ist nämlich bei dir der springende Punkt. Aber darf ich dich daran erinnern, daß auch du schon längst dein Erbe erhieltest – und du nun auch deinem Vater auf der Tasche liegst, sogar noch mit deiner Tochter?«

      Zuerst starrte sie ihn verblüfft an, dann fuhr sie empört auf.

      »Ich verbitte mir deine Anzüglichkeiten, hast du mich verstanden? Ich bin schließlich hier die Tochter des Hauses.«

      »Köstlich!« lachte Ilona amüsiert dazwischen. »Der Streit um das fremde Mädchen ist bereits entbrannt. Schade daß der gestrenge Herr und Gebieter dieses Hauses ihn nicht mit anhören kann der würde genauso wettern, wie er es vorhin bei mir tat. Nur daß ich den Mut hatte, ihm ins Gesicht zu sagen, was ihr jetzt feige hinter seinem Rücken tut.«

      »Kinder, so gebt doch Ruhe!« bat die Mutter kläglich. »Ihr wißt genau, daß Vater trotz eures Protestes doch tut, was er will. Und er tat recht, daß er Fräulein Berledes herholte. Sie ist doch das Vermächtnis von Thomas an uns…«

      Bitterlich weinend drückte sie das Gesicht in die Hände, und da schwiegen die anderen betreten still.

      *

      Drei Tage waren vergangen, nachdem Silje Berledes ins Hadebrecht-Haus kam. Sie hatte diese Zeit mit Essen und Schlafen verbracht und dabei Körper und Nerven wunderbar gestärkt. Doch nun wurde der Schlaf bei Tag immer kürzer, und sie begann sich zu langweilen.

      »Das ist gut«, behauptete Philchen, die ihre Schutzbefohlene immer noch liebevoll betreute. »Langeweile ist der beste Heilfaktor.«

      »Aber schwer zu ertragen.«

      »Nun, so wollen wir für Abwechslung sorgen. Sag mal, was befindet sich eigentlich in diesem unförmigen Paket? Ich bin sonst gewiß nicht neugieriger, als es einem weiblichen Wesen zukommt, aber dieses Monstrum da habe ich direkt zu suggerieren versucht.«

      »Wenn du Mut hast, öffne die mysterlöse Angelegenheit – aber mache dich auf alles gefaßt«, blitzte Silje sie mutwillig an.

      »Mädchen, mir wird ganz gruselig. Nichtsdestotrotz – die Neugierde ist stärker.«

      Damit griff sie zur Schere und war eifrig bemüht, die feinen Stiche zu durchschneiden. Wie ein Geduldspiel empfand sie es – und sah dann fast andächtig auf den Geigenkasten, den die Hülle endlich entblößte.

      »Die Geige von Paps«, kam eine tränenerstickte Stimme vom Bett her. »Ich habe sie auch noch als Heiligtum gehütet, als schon längst bei uns Schmalhans Küchenmeister war. Die Geige ist mein kostbarster Besitz.«

      Verstohlen wischte Philchen die Tränen fort, die ihr über die Wangen liefen, und versuchte, ihrer Stimme Festigkeit zu geben. Fast burschikos klang es, als sie fragte: »Und was befindet sich in dem schäbigen Kasten?«

      »Darin liegen die wenigen Schmuckstücke, die meine Mutter bis zu ihrem Tod trug. Alles andere wurde verkauft.«

      »So so…«, tat Philchen gleichmütig, hob den Deckel von der wirklich schäbigen Pappschachtel – und erblickte darin ein kostbares Medaillon an einer Platinkette, ein schwergoldenes Armband und einen Ring mit einem Kleeblatt aus Smaragden, eingefaßt von Brillanten. Eine wundervolle Arbeit, die schon allein dem aparten Schmuckstück großen Wert verlieh.

      »Mehr nicht?« fragte Philchen trocken, und da mußte das Mädchen trotz seines Kummers lachen.

      »Tante Philchen, du verlangst aber auch gar zu viel von meiner Armseligkeit! Die Geige mit dem Schmuck zusammen bedeuten immerhin ein Vermögen.«

      »Hm – na ja. Kannst du nun wenigstens auf der Geige spielen, die du wie ein Zerberus zu hüten scheinst?«

      »Und ob!« strahlte es jetzt in den blauen Mädchenaugen auf. »Mein Paps hat mir doch Unterricht erteilt. Und er war ein großer Künstler – wenn das in diesem Hause auch nicht anerkannt wird.«

      »Das mußt du Grünschnäbelchen ja wissen«, brummte Philchen. »Schwing hier nicht so große Töne, spiel mir lieber etwas vor. Aber nicht so was Hochgeschraubtes, das kann mein einfältiges Gemüt nicht fassen.«

      Behutsam, als ob sie ein Heiligtum berührte, hob sie die Geige aus dem weichen Samt und reichte sie dem Mädchen hin, das dieses Kleinod ebenso behutsam entgegennahm. Um den Mund zuckte es wie verhaltenes Weinen, als Silje das Kinn an das glatte Holz legte, den Bogen ergriff und ihn leicht und federnd über die Saiten führte. Zuerst klang das Spiel noch unsicher und verworren, doch allmählich kristallisierte es sich zu klaren, weichen Tönen.

      »Leise flehen meine Lieder –«, klang die unvergessene Weise Schuberts süß durch das Gemach, und Philchen lauschte wie gebannt. Sie hinderte die Tränen nicht, die ihr über die Wangen liefen, in großen, glitzernden Tropfen.

      Die Erinnerung kam. Greifbar nahe sah Philchen den strahlend schönen Jüngling Thomas vor sich, der diese Weise so oft und gern spielte – diese Weise, die auch Philchen in ihrer Jugendblütezeit erklungen war, von Meisterhand hervorgezaubert. Denn auch er war ein Geiger gewesen, den sie mit achtzehn Jahren so schwärmerisch liebte – und der diese Liebe lachend abtat, um in die Welt hinauszustürmen und dort Ruhm zu erringen.

      Wie lange war das her? Vierundvierzig Jahre. Doch dem erschüttert lauschenden Philchen kam es vor, als wäre es gestern gewesen.

      Und dann hatte der Neffe Thomas wieder diese Weise gespielt und damit das Herz der Tante gewonnen. Sie war ihrem Zwillingsbruder Philipp bitter gram, daß er das Talent seines ältesten Sohnes nicht anerkennen, ihn durchaus zwischen Ziegel und Zement zwingen wollte. Aber Thomas ließ sich nicht halten. Genauso wenig, wie der andere sich von der Liebe des Jungfräuleins Philchen halten ließ.

      Und auch Thomas war in die Welt hinausgestürmt – um auch, wie der andere, zu verderben und zu sterben? Wohl nicht ganz. Denn Thomas Brecht war immerhin sechsunddreißig Jahre alt geworden, hatte Ruhm errungen, hatte Liebe gegeben und genommen, ehe die Götter ihn abriefen in ihr Reich.

      Philchen schreckte aus ihrer schmerzlichen Vergangenheit auf, als das herrliche Spiel verklang. Wie hilflos stand es da, das zweiundsechzigjährige Fräulein, das in seiner Jugend alle anderen Männer, die sich ihm werbend nahten, ausschlug um des einen willen…

      Ganz langsam, Schritt für Schritt, näherte sie sich dem Bett, von dem aus die junge Silje ihr mit bangen Augen entgegensah. Zart legten sich die weichen Mädchenarme um den Hals der Alternden, und eine tränenerstickte Stimme fragte: »Habe ich dir mit meinem Spiel wehgetan, du liebes Tantchen?«

      »Ach was, wohlgetan hast du mir!« polterte das resolute Philchen noch den letzten Rest von Wehmut fort. »Du kannst was, Mädelchen. Schule von deinem Paps?«

      »Ja. Er wollte eine Künstlerin aus mir machen, aber leider reichte mein Können dafür nicht aus.«

      »Ein Glück, daß die Kunst dich nicht unterjochen konnte. Es lebt sich ohne diesen Wahnwitz entschieden ruhiger und besser, mein Kind. Laß dich womöglich nicht doch noch in diese Klauen kriegen!«

      »Keine Angst!« lachte Silje. »So kunstbesessen bin ich nicht. Mir genügt schon das, was ich kann.«

      »Und das ist gewiß nicht wenig, Herzchen. Wenn das Eike wüßte, wie wunderbar du Geige spielen kannst, er würde vor Neid erblassen.«

      »Wer ist denn Eike?« fragte Silje neugierig, und Philchen lachte.

      »Ach so, den