Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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kleine,

       Rühre deine Beine,

       Kriech an meinem Finger ‘nauf,

       Setz dich als das Knöpflein drauf!

       Ist er nicht ein hoher Turm

       Für so kleinen roten Wurm?

      Und dann mit ganz feiner Stimme:

      Roten Purpur trag ich,

       Flüglein viere schlag ich!

       Gar kein Flüglein regst du,

       Nur zwei Bein bewegst du –

       Sechs Beine rühr ich,

       Sieben Punkte führ ich,

       Fliege höher als der Turm!

       Wer ist nun der kleine Wurm? – Etsch!

      Die Sonne muß draußen gar heiß und drückend sein, sie steht hoch im Mittage. Hier aber hat sie die Herrschaft mit dem Schatten zu teilen, und zwar so, daß man gar nicht mehr weiß, wo Dunkel, wo Licht ist, so flimmert und zuckt beides durcheinander.

      »Wirst du müde, Lieschen? Berauscht dich der Waldduft, kleines Herz? Komm, lege dein Köpfchen hierher; keine Mücke, keine Fliege, und wenn sie noch so golden wäre, soll dich im Schlummer stören. Schließe dreist die Augen und träume einen hübschen Elfentraum von Schmetterlingen und Blumen und kleinen Vögeln.«

      Wie behaglich der Pudel gähnt und, den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, mit den Augen blinzelt.

      »‘s ist doch ein ganz ander Ding ohne Maulkorb, nicht wahr, Rezensent?«

      Wie der Doktor so nachdenklich die blauen Zigarrenwölkchen von sich bläst! Denkt er an seinen ersten Aufsatz in den ›Knospen‹, denkt er an die Münchener Kusine?

      Wie sich der Lehrer mit leuchtenden Augen in die Pflanzenschätze seiner Botanisierbüchse vertieft!

      »Heda, Roder, was für ein Heft schaut da zwischen den Blättern und Wurzelwerk hervor?«

      »Her damit!«

      Der Lehrer errötet und reicht lächelnd das Heft herüber.

      »Was sehe ich! Vermag der Schulstaub solche Blüten zu treiben?!«

      Grinsend streckte der Doktor Wimmer den Kopf über meine Schulter und machte nach einigen Blicken auf das Manuskript sogleich Anstalt, es für die ›Knospen‹ mit Beschlag zu belegen, aber der Lehrer tat gewaltig Einsprache dagegen. Später schenkte er es mir. Soll ich ein Blatt daraus der Chronik einschieben?

      Es sei! Da ist eins.

      »Ich lag am Rande des Bachs und sann nach über die Geschicke der Völker und Könige und über – meine Liebe. Hinten in der Türkei lagen jene einander in den Haaren, und drüben in der kleinen Gartenlaube saß mein Schatz und schmollte. Ah!

      Lippe-Detmold ist mein Vaterland – was geht mich die Orientalische Frage an und der General Sabalkanskoi und die Schlacht bei Navarino?!

      Aber das Frauenzimmer dort?

      Beim großen Pan, damit muß es anders werden!

      Rot wie die Liebe ist der Abendhimmel; goldne Wölkchen, weiße Tauben schweben darin hin und wider wie Liebesgedanken … Wo sind meine Diplomaten, wo meine Kabinettskuriere?

      Es schwanken die Gräser – es regt sich – es läuft, es kriecht, es klettert, es hüpft, es flattert und fliegt – tausendbeinig, tausendflügelig! Es zwitschert und summt tausendtönig!

      Dichter-Minister, Frühlings-Räte, Liebes-Gesandte versammeln sich um mich zu Rat und Tat.

      Wohlan – die Konferenzen sind eröffnet! Allen Gegenwärtigen und Zukünftigen Gruß! Wen send ich zuerst an jene dort hinter den Holunderblüten?

      Ach! Du da – fort mit dir zu ihr hin – du mein leichtgeflügelter, magenloser Herold, du, den sie den ›roten Augenspiegel‹ nennen, zeig ihr auf deinen weißen Schwingen die beiden Purpurtropfen, sag ihr, es sei Herzblut – mein Herzblut aus dem wilden Kampf um die Liebe, die rote Liebe! Da flattert der Bote der Laube zu; es zittert mein Herz, mein banges Herz. – (Sie – niest!!!) O Dank, Dank, ihr ewigen, guten Götter, Dank für das Omen! (Erkälte dich nicht, Luise, nimm ein Tuch um, hörst du?)

      Wer ist der zweite meiner Boten? Schnell, schnell, meine kleine emsige Biene, – hin zu ihr – summe ihr ins Ohr Honiggedanken, Hausgedanken, Leinen-und Drellgedanken!

      (Was hat das Frauenzimmer zu lachen über ihrem Nähzeuge in der kleinen Laube?)

      Und nun mein letzter Bote, mein schwarzer Trauermantel, flattere hin zu ihr! Hör, was du ihr sagen sollst. Sag ihr: Luise, Luise, der Tag ist zu Ende – die Eintagsfliegen wurden müde, todmüde – der Bach schaukelt ihre armen kleinen Leiber fort, vorüber an den Blumen, über denen sie vor einer Stunde noch tanzten und spielten. Luise, Luise, das Leben ist kurz; Luise, die Nacht bricht herein; sieh den rotfinstern Streif im Westen, sieh, wie es im Osten unheimlich zuckt und leuchtet – horch, wie es grollt!

      (Es regt sich in der kleinen Laube! Sie seufzt!) Luise, Luise!

      (Sie tritt heraus!)

      Luise, Luise!

      Die Bäume schütteln ihre Blüten herab auf sie: Ave Luisa! Der Abendwind flüstert ihr zu: Ave Luisa! Die Blumen des Tages neigen sich ihr zu: Ave Luisa! Die Blumen der Nacht öffnen ihre Weihrauchkelche ihr – Ave Luisa! Ave Luisa! (Sie winkt … sie lächelt …)

      Friede?

      Friede!

      Friede! Läutet die Glocken im Reich!!! Erleuchtet die großen Städte, die Dörfer; erleuchtet jedes einsame Haus, Orgelklang in allen Domen, Kirchen und Kapellen! Auf die Kniee, auf die Kniee alles Volk! Männer, Weiber, Greise, Kinder, Jünglinge und Jungfrauen!

      Herr Gott! Dich loben wir!

       Herr Gott! Wir danken dir!

      Friede! Friede im Himmel und auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!«

      Ich kannte diese »Luise« des Lehrers gar gut. War sie nicht Gouvernante bei den Kindern des Baron Silberheim? Hat sie nicht später den Lehrer Roder geheiratet? Hat sie nicht Glück und Kummer und Verbannung mit ihm geteilt?

      Seid gegrüßt, Otto und Luise Roder, wo ihr auch weilen mögt!

      »Ei, das war schön!« sagte Lieschen erwachend und das Köpfchen aufrichtend. Sie dachte an ihren Traum im Grünen, nicht an des Lehrers Phantasien – die hatte sie richtig verschlafen.

      »Was hat dir denn geträumt, Lieschen?« fragte der Doktor, und das Kind blickte ihn verwundert an.

      »Hab ich denn geschlafen?« fragte sie.

      »Das kann man bei solchem kleinen Mädchen wie du bist, Liese, niemals recht wissen. Was hast du denn gesehen und gehört? Erzähle mal!« sagte ich.

      »O, es war wunderschön, was ich gesehen habe! Ich konnte gar nicht über das Gras weggucken; es war wie ein kleiner Wald, und welch eine Menge kleiner Tiere lief darin herum! Und wenn ich die Augen zumachte, wurde alles so rot, als brennte der ganze Himmel, daß ich sie schnell wieder aufmachen mußte. Ich dachte, ich wäre ganz allein, da kam auf einmal ein wunderschöner gelber Schmetterling mit zwei großen Augen in den Flügeln, die unten ganz spitz zuliefen, der setzte sich dicht vor meinem Gesicht auf einen Halm und sagte mit ganz feiner, feiner Stimme:

      ›Ein schönes Kompliment, kleines Fräulein, und ob Sie nicht zum Tee kommen wollten zur Waldrosenkönigin?‹

      Der Herr Lehrer las in diesem Augenblick was vor, ich hätte gern weiter zugehört und sagte es dem Schmetterling auch. Der aber sagte: bei der Königin säße ein gelehrter Herr, namens Brennessel, der hielte gar nichts von der Geschichte, ich solle daher nur dreist mitkommen. Ich fragte den Schmetterling, ob’s sehr weit wäre; er meinte: weit wär’s nicht, aber wir müßten einen Umweg machen, da läge ein groß schwarz Tier im Grase, das habe greulich nach ihm geschnappt, als er vorübergeflogen