Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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den Rücken zu!«

      Mit diesen Worten trabte der tolle Gesell auf dem Fußpfad, auf dem er gekommen war, zurück ins Holz; Roder und ich folgten lachend. Der Exredaktionspudel sprang auch wie toll hinter uns her; »gaudeamus igitur« tönte des Doktors Baß in das beginnende Konzert der Vögel, unser Sommersonntag im Walde hatte begonnen.

      Welch ein Tag war das!

      Dieses erste Eintreten in die grüne Blätterwelt – dieses Aufatmen aus voller Brust! Der Doktor hatte mit der sich gewaltig sträubenden Liese einen ordentlichen Galopp angeschlagen und war unsern Augen entschwunden, unsern Ohren aber nicht. Die Kleine lachte – wurde ärgerlich – bat; der Pudel bellte aus Leibeskräften, und der Doktor fiel aus einem seiner Studentenlieder ins andere.

      Mit seiner Ausweisung schien der alte Jenenser Bursch alle gesellschaftlichen Bande für aufgelöst zu halten.

      »Das ist ein sonderbarer Menschentypus«, sagte Roder lächelnd, als wir langsamer hinterhergingen; »die personifizierte Gutmütigkeit unter dieser tollen, barocken Maske. Wir sind Jugendfreunde, welches sonderbar scheinen kann, da er in Lumpenhausen das Gymnasium besuchte, während ich auf dem Seminar mich zum Schulmeisterlein einpuppte. Ebensogut hätte ein Guelfe mit einem Ghibellinen Arm in Arm auf der via dei malcontenti in Florenz spazieren gehen können. – Aber es war so, er lehrte mich Zigarren drehen, ich dagegen brachte ihm bei, sich auf dem Klavier mit einem Finger zu dem famosen Liede zu begleiten:

      Mihi est propositum

       In taberna mori …

      Später verlor ich ihn aus den Augen; ich wurde Hülfslehrer in Lammsdorf, er ging auf die Universität. Da saß ich eines Abends und untersuchte Moose durch die Lupe, als mich plötzlich jemand auf die Schulter klopfte und eine Bierbaßstimme – wie weiland Leibgeber zum Armenadvokat Siebenkäs –, ›‘n Morgen, Roder‹, hinter mir sagte. Es war Wimmer, der wegen Übertretung der Duellgesetze relegiert, ›die große Tour machte‹, wie er sagte. Geld besaß er schon damals nicht, aber viel Humor und guten Mut, und so hat das Schicksal uns öfters wieder einander in den Weg geführt, und immer war der Doktor Wimmer – derselbe …«

      »Und aussterben wird diese Art nicht in Deutschland, solange man noch die Namen: Bier, Romantik und Politik nennen hört«, sagte ich.

      »Halt«, rief der Lehrer, »welch ein prächtiges Aconitum, entschuldigen Sie!« Damit sprang er ins Gebüsch, die Pflanze auszugraben, während ich in den Bart murmelte:

      »Und auch deine Art, deutsche Seele, wird nicht ausgehen, solange noch in eine Blüte das deutsche Gemüt sich versenken kann zwischen Weichsel und Rhein.«

      »Onkel Wachholder, Onkel Wachholder! Kommt alle schnell, schnell einmal her!« rief jetzt Lieschen in der Ferne.

      »Was gibt’s denn, Liese?« ruft Roder, seine Blume in die Botanisierbüchse legend.

      »Ein wunder-wunderhübsches Vogelnest hat der Onkel Doktor gefunden!« schallt es wieder, und wir setzten uns in Trab.

      Auf einem kleinen sonnigen Platz seitab vom Wege stand der Doktor, hochrot vom Singen und Rennen, und ließ die Kleine in einen Fliederbusch schauen. Liese, den Atem anhaltend, um die kleine piepende Welt nicht zu stören, guckte selig durch die Zweige, während der Rezensent das Wunder weiter unten suchte und, den Kopf und Leib im Laubwerk verborgen, nur die Hinterbeine und den wedelnden Husarenbusch zeigte.

      »Nicht wahr, Liese, das mußte ich dir doch zeigen? ‘s ist doch prächtig, wenn einen die Polizei so früh hinausjagt in den Wald!«

      Ein Buch guckte dem Doktor hinten aus der Rocktasche, und der Lehrer zog’s ihm heraus. Es war – Reineke de Voß, des Doktors ewiger Begleiter auf allen seinen Fahrten, den er fast auswendig wußte. Bei der Berührung des Lehrers sah er sich auch sogleich um und begann:

      »De quad deyt, de schuwet gern dat licht:

       Also dede ok Reinke de bösewicht.

       He hadde in de stad so vele missdan,

       Dat he dar nicht dorfte kamen noch gan.

       He schuwede seer des Konniges hoff

       Darin he hadde seer kranken loff!« –

      »Aber hier, Liese, ist’s was anderes; wenn wir hier ein Vogelnest finden, so dürfen wir auch hineingucken und unsere Meinung darüber sagen.«

      »O das ist wunder-wunderhübsch«, ruft die Kleine, welche gar nicht hört, was der Doktor sagt. »Sieh, der alte Vogel fürchtet sich gar nicht – o, welche große Schnäbel – er sitzt ganz still zwischen seinen Jungen und sieht nur nach dem Rezensenten hinunter! – Er tut dir nichts, kleiner Vogel, bleib ruhig sitzen!« –

      Jetzt ließ der Doktor das Kind auf den Boden gleiten: »Nun lauf zu Fuß«, sagte er, »das Gras ist trocken.«

      Welch ein Tag! Noch zogen weiße Wölkchen über die Baumwelt weg, bald aber hatte die Sonne sie verzehrt, und das ewige Blau lächelte rein und klar auf uns herab. Immer tiefer versenkten wir uns in die duftende Wildnis: »Wo lassen wir alle die Blumen, die wir pflücken, Lieschen?« – Die Händchen sind schon so voll, daß wir bei jedem Schritt eine verlieren und daß der Doktor sagen muß:

      »Ist’s nicht wie im Märchen, wo der Vater die verlorenen Kinder durch hingestreute Steinchen wiederfindet? Ein verfolgter Zeitungsschreiber – schrecklich – die Häscher sind ihm auf den Fersen – wo hat er sich hingewendet? – ›Ha‹, sagt der erfahrenste der Spürer, ein wahrer Pfadfinder auf der Vagabondenjagd – ›seht die Blumen – untermischt mit Zigarrenenden! Laßt uns dieser Spur folgen, Brüder! – Ha, seht hier im weichen Boden die Hundetapfen! – Er ist’s, er ist’s. – Fort, ihm nach!‹ – Schrecklich!«

      »Bravo, Wimmer!« lachte der Lehrer, der wieder eine Pflanze im Gehen zerlegte. »Welcher Stoff für dein nächstes Werk; wo du es auch schreiben magst, ich hoffe auf ein Exemplar.«

      »In München werde ich es schreiben, Verehrtester! Habe ich nicht einen Kontrakt mit dem Buchhändler und Eigentümer der ›Knospen‹ – Gabriel Pümpel, in der Tasche? Ist nicht Gabriel Pümpel mein Onkel? Ist nicht Nannette Pümpel meine Kusine? Wetter, ich sehne mich ordentlich nach dem Nannerl!«

      »Doktor! Doktor!« rufe ich lächelnd.

      »Wahrhaftig«, seufzt der eliminierte Schriftsteller, »ich habe heute ordentlich Lust, solid zu werden.«

      Ehrlicher alter Bursch!

      »Also das waren deine Gedanken«, sagt der Lehrer lächelnd und gerührt, »als du gestern den ganzen Nachmittag auf meinem Sofa lagst? Ich konnte dich vor Tabaksqualm nicht recht sehen, aber du schienst mir außergewöhnlich nachdenklich und träumerisch. Gottlob, wenn diese Exilierung so ausschlüge.«

      »Hurra«, schreit der Doktor, den Hut in die Luft werfend: »Es leben die Knospen! Es lebe das Bockbier! Es lebe das Haus Pümpel und Kompanie!«

      Der Exredaktionspudel ist außer sich; jetzt hat er die größte Lust, Elise vor Wonne über den Haufen zu werfen, jetzt springt er an seinem Herrn in die Höhe, jetzt ist er im Gebüsch verschwunden, jetzt kommt er auf der andern Seite wieder zum Vorschein! Bums – da liegt er im Grase, wälzt sich, daß man nicht weiß, was oben oder unten, Beine oder Rücken, Kopf oder Schwanz ist! »Wer hat eine Uhr? Niemand? Desto besser, der Magen ist unsere Uhr. Hier unter dieser prächtigen Buche wollen wir uns lagern. Wie das Moos so weich ist! Ausgepackt die Taschen, den Korb, die Botanisierbüchse! Eine Flasche Wein erscheint. Wer hat einen Korkzieher? Niemand? Desto besser, wir schlagen ihr den Hals ab; ein niedliches Glas hat Elise mitgebracht.«

      »Holla, Roder, aufgepaßt! Rezensent hat den Kopf in Ihrer Rocktasche!«

      »Welch Behagen, sich so im weichen Grase auszustrecken! Wie das schmeckt im grünen Walde! – Die alte Martha soll leben, sie hat prächtig gesorgt.«

      »Komm, Kind, unsere kleinen Beine sind doch wohl müde! Was bedeuten diese Faden? Aha, jetzt werden wir Kränze winden. Welche prächtigen wilden Rosen!«

      »Sieh, da kriecht ein Marienkäfer auf deinem Arm,