Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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      Schöner lächelt der Hain, silberner schwebt der Mond,

       Und der ganze Olymp fleußt auf die Erd’ herab!

       Wenn die Liebe den Jüngling

       Durch die einsamen Büsche führt.

       Hölty.

      Maxima de nihilo nascitur historia.

       Propertius

      1

       Inhaltsverzeichnis

      Ich saß in dem Redaktionszimmer des Kamäleons, den Kopf auf beide Fäuste stützend, vor mir die statistischen Nachrichten über die Sterbefälle der vorigen Woche, welche die Geburten bei weitem überwogen. Es war der neunundzwanzigste November, und gestern hatte ich meinen neunundzwanzigsten Geburtstag gefeiert; genug, um in der Stimmung zu sein, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen, oder an seinem eigenen Halstuch sich aufzuhängen!

      Weitenwebers Feder kritzelte mir gegenüber, und die Wolken seiner Zigarre kräuselten anmutig aus dem Haufen von Büchern, Zeitungen, Briefen und so weiter, und so weiter, welche seine liebenswürdige Persönlichkeit meinen Blicken entzogen, empor, und vermehrten langsam aber sicher den Wolkenschleier über unsern Häuptern und die ehrwürdige graue Patina der Decke und der Wände.

      »Weitenweber!«

      Ein unverständliches Geknurr antwortete dem Anruf, und ich fing unter dem fortdauernden Geknarr der Feder meines Freundes nur zwei Worte des Gedankenniederschlags, der sich auf dem duldwilligen Papier nach und nach absetzte, auf – »süßer Wahnsinn« – und dann die ärgerliche Mahnung – »laß mich wenigstens noch fünf Minuten in Ruhe!«

      Ich richtete in Ermangelung eines Besseren die Augen nach der Decke und gähnte aus Herzensgrunde; dann warf ich einen matten Blick auf meine Umgebung und gähnte zum zweiten Mal. Es hatte sich seit vorgestern nichts in dem Redaktionszimmer des Kamäleons verändert.

      Der menschenfeindliche Dreifuß, der jedesmal bockte und umschlug, wie ein störriger, widerspenstiger Esel, wenn ihm jemand seine Persönlichkeit unvorsichtigerweise anvertraute; das Brettergerüst mit all den modernden Jahrgängen des Journals, die merkwürdige Tür mit den Namen aller früheren Redakteure und Mitarbeiter des Blattes, das eiserne Lineal, die halbverkleisterten Tintenfässer, aus denen schon soviel Witz und Dummheit, Geist und Blödsinn, Humor und Trivialität hervorgezogen worden war; im Winkel Weitenwebers gespenstige weißgraue Kopfbedeckung über seinem weißgrauen unheimlichen Überrock, aus dessen Tasche mit dem Taschentuch auch das glänzende Futter herausgezogen war, – der Kalender an der Wand, auf dem Andreaskreuze über jede nutzlos verbrachte Woche gezogen waren – ah – ich schloß die Augen und gähnte zum drittenmal, hätte mir dabei aber fast die Kinnladen ausgerenkt, weshalb ich aufsprang und nach einigen Gängen durch das Gemach am Fenster stehen blieb.

      Die schwere Regenluft drückte die aus den Schornsteinen aufsteigenwollenden Rauchwolken hinab in die Gassen, verdichtete so nach Möglichkeit den Nebel, welcher den ganzen Tag über auf der Stadt gelegen hatte, und verjagte auch grade nicht den aufsteigenden Wunsch, das Atemholen so bald als möglich aufzugeben. Der ununterbrochene Strom der Bevölkerung, welcher da draußen vorüberfloß, sah womöglich noch schmutziger, verwahrloster aus, als sonst. Wehmütig betrachtete ich meinen Freund Weitenweber, der in diesem Augenblick mit der Fahne seiner Feder sinnig einen Galgen an die beschweißte Fensterscheibe neben seinem Platze malte und einen armen Sünder von Druckenlassenden mit lang ausgestreckter Zunge daran aufknüpfte, nachdem er ihn auf seinem Konzeptpapier vielleicht eines noch qualvolleren Todes hatte verscheiden lassen. Ich ging zu meinem Sessel zurück und nahm meine vorige Stellung wieder ein, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und der kleine Hinkelmann den Kopf ins Zimmer steckte.

      »So, da steckst du, Bösenberg! Hier ist ein Brief für dich – fang! Guten Abend, Weitenweber!«

      »Hat der Mensch schon wieder eine weiße Weste an!« brummte Weitenweber, sein Haupt ruckartig über seinem Bücherhaufen emporschnellend.

      »Gebrauchst du mich, Weitenweber?«

      »Geh zum Teufel!« schnauzte der Gefragte und lachend verschwand der kleine, elegante, fette Doktor, und Weitenweber rezitierte einen Vers aus dem Aristophanes, welchen ich hier nicht wiederholen werde, bei den blauen Augen Athenens – erstens weil er zu unanständig ist für die keuschen Ohren jetziger Zeit, und zweitens, weil sich das Griechische des Publikums allzusehr – gegeben hat. – Zweifelnd wog ich das mir zugeworfene Schreiben in der Hand. Ein Mahnbrief war es nicht; viele Postzeichen, welche ich, der zunehmenden Dämmerung wegen, nicht mehr erkennen konnte, bedeckten es. Weitenweber zog die Glocke; – Floh, das Faktotum der Redaktion, erschien – die Gasflammen leuchteten auf – ich erbrach das ziemlich umfangreiche Siegel …

      »Weitenweber! Um Gottes willen – Wei – ten – we – ber!«

      »So hole doch der Henker die ganze Wirtschaft!« schrie der lange Redakteur und warf die Feder fort. »Ich wollte, Ihr hättet alle Flügel der Morgenröte genommen und – nun was soll’s? Schnell, schnell, wenn, ich bitten darf; ich habe nicht Lust, noch länger in diesem verdammten dumpfigen Loche zu sitzen.«

      »Höre, höre – schlafe ich, träume ich, oder wache ich –« –

      »Ein türkischer Sultan läßt sich, um dies zu erfahren, von seiner schönsten Odaliske in das Ohr beißen – Floh, im Galopp nach der Kreuzgasse zu der kleinen Ballettänzerin – aha, wie heißt sie doch?«

      »Höre, höre, Weitenweber!« rief ich, und die Stimme, mit welcher ich meinem Freunde das folgende Schreiben vorlas, zitterte gewaltig; die Buchstaben tanzten mir zu sehr vor den Augen!

      »Wohlgeborener Herr! Hoffentlich wird dieser Brief Sie treffen. Es ist der dritte, den ich an Sie abschicke. Den ersten sandte ich nach Wien, den zweiten nach München – beide haben Sie nicht erreicht. Eine traurige Pflicht habe ich zu erfüllen, indem ich das selige Abscheiden Ihres Herrn Onkels, Herrn Albrecht Maximilian Bösenbergs weiland, hierdurch vermelde. Am 15. Oktober ward derselbe tot in seinem Bette gefunden, und ist die Nachlassenschaft desselben