sich die Frau Hofrätin; die weiße Gardine sank herab: wie ein elektrischer Schlag durchzuckte es mich und das ganze Heer des Lichts! Gerettet! – An der Außenseite des Tuchs hing der Strahl mit seinen Kindern, bleich und angegriffen; drinnen aber tönte es fort:
›Ein schöner Herr, ein holder Jüngling,
Mit mildem, liebendem Aug
Umflattert mich, mit schmeichelnder Zunge! …‹
Schnell und schneller sank jetzt der Strahl herab, und eben berührte er die Erde, da – erwachte ich, und Gustav, dicht vor mir, den Kopf auf beide Fäuste gestützt, grinste mich an. – (Au! Nein, du hast mich nicht angegrinst?) Eine dicke schwarze Wolke stand vor dem Mond, und mein Traum war zu Ende, mein Märchen ist zu Ende!«
Das Märchen war zu Ende, aber noch nicht unser Mondscheinabend damals.
»Und nun, Gustav, Quälgeist … hier … da« …
Mit diesen Worten greift Elise in das Wasserbecken neben ihr und schleudert eine Handvoll blitzender Tropfen ihrem nichts ahnenden Gefährten ins Gesicht. Erschrocken und prustend springt dieser zur Seite, worauf die Übeltäterin, böse Folgen ahnend, sogleich, um das Becken herum, die Flucht ergreift.
»Ihr seid Zeugen, daß sie angefangen hat!« ruft Gustav, ebenfalls die Hand ins Wasser tauchend und Elisen nacheilend.
»Tante! Tante! – Onkel, Hülfe!« schreit diese, mit der abgebundenen Schürze den Verfolger im Rennen abwehrend und ihn mit der andern, freien Hand unaufhörlich bespritzend.
»Warte, Wasserjungfer!« ruft Gustav und bemächtigt sich der Schürze. »Das sollst du büßen, Verräterin!«
Mit einem Schrei läßt Elise ihre Ägide fahren, und – wie ein Reh ist sie seitwärts im Gebüsch hinter den Holundersträuchen verschwunden, doch nicht, ohne ihren durchnäßten Verfolger auf den Fersen zu haben.
»Diese Wildfänge!« seufzt die Tante Helene, auf eine Bank sinkend, während ich Taschentuch, Arbeitskörbchen und umherrollende Äpfel, welches alles das Frauenzimmer, den Ausgang ihres Attentats vorhersehend, sogleich zu Boden geworfen hat, aufsuche, wie es einem guten Onkel und Vormund geziemt. »Hören Sie nur, wie das Mädchen kreischt!«
Indem wir noch der wilden Jagd zwischen den Büschen lauschen, belebt sich plötzlich die Szene, und andere Figuren kommen durch die Monddämmerung. Mädchen-und Männerstimmen, kichernd und summend und Opernmelodien pfeifend! Jetzt treten die Kommenden aus dem Schatten in den hellern Lichtkreis um das Fontänenbecken: »Der Onkel Wachholder!« rufen verwundert mehrere Stimmen, und im nächsten Augenblick sind wir von den Nachtschwärmern und Abendfaltern umgeben und erkennen in ihnen wohlbekannte Freunde und Freundinnen von Gustav und Elise. Ein Gewirr von Begrüßungen und Fragen erhebt sich nun. Wo ist Fräulein Ralff, wo ist Lieschen, wo ist die Liese, wo ist Herr Gustav, wo steckt der Mensch? schwirrt das durcheinander und wird beantwortet, bis endlich Gustav und Elise zurückkommen von ihrer wilden Jagd, keuchend und rot, die Haare in Unordnung, Elise mit einem großen Riß im Kleide, aber beide Arm in Arm wie artige, verträgliche Kinder. – Jetzt geht der Jubel erst recht an! »Das ist schön, das ist prächtig, das ist ausgezeichnet; guten Abend, Natalie; guten Abend, Ida; ich grüße Sie, mein Fräulein; wo kommt ihr her, ihr Herumtreiber, usw. usw.«
Wie ist doch die Jugend so schön; wie wenig bedarf sie, um glücklich zu sein! Ein bißchen Mondschein, ein paar klingende Wassertropfen, die Strophe eines Liedes, und die jungen Herzen fühlen Gedichte, wie sie noch nie dem Papier anvertraut werden konnten. Ich, der alte Mann, welch ein Dichter, welch ein Maler müßte ich sein, wenn ich alle diese frischen, blühenden Gestalten, die da heute an diesem einsamen Abend wieder um mich her auftauchen, mit ihrem fröhlichen Lachen, ihren kleinen Sorgen und Freuden, ihren kleinen Sünden und Tugenden, mit ihren verstohlenen Seufzern, noch verstohleneren Zärtlichkeiten und ihren lauten Neckereien auf die Blätter dieser Chronik festbannen wollte! Wie abgeblaßt und schal sieht alles aus, was ich bis jetzt zusammengetragen und niedergeschrieben habe; wie farbenbunt und frisch erlebte es sich!
Aber wo war auf einmal der Mond geblieben? Die dunkeln Wolkenmassen, die im Süden lange genug gedroht hatten, hatten sich unbemerkt herangewälzt; es grollte und murrte in der Ferne, und schwere warme Regentropfen schlugen vereinzelt in die lenes susurros sub noctem, in das leise Geflüster im Schatten der Nacht. Kennt ihr das »Rette sich wer kann!« bei einem plötzlich hereinbrechenden Gewitter in einer großen Stadt? Alle Gruppen lösen sich – Schürzen werden über den Kopf, Taschentücher über die Hüte gebunden; hier flüchtet ein Pärchen unter eine laubige Akazie, dort ein dicker alter Herr unter den Vorsprung eines Hauses; hier schlüpft leichtfüßig ein junges Mädchen dicht an den Häuserwänden hin, dort wandelt langsam und gleichmütig ein Naturmensch daher, nichts vor dem Regen schützend als seine glühende Zigarre.
Die Droschken scheinen sich zu vervielfältigen, und – »süß ist’s, vom sichern Hafen Schiffbrüchige zu sehen« – an allen Fenstern erscheinen lachende Gesichter. Studenten, Referendare, junge Theologen usw. wischen ihre Brillen ab; Maler verlassen ihre Paletten und Staffeleien und machen Studien nach dem Leben; Tanten und Mütter schelten über Indezenz. – Platsch, platsch! Alle Dachrinnen senden wie hämische Ungeheuer ihre Wassergüsse der dahertrabenden Menschheit in den Nacken. Es ist lächerlich-schrecklich bei Tage, schrecklich bei Nacht!
»Siehst du, Lieschen, das hast du erst gewollt – so lange hast du mit dem Wasser gespielt! Das kommt davon!« ruft ärgerlich die Tante Helene. Gustavs Jubel erreicht den höchsten Grad, und lachend schleppt er seine Mutter nach, während diesmal ich mit Liesen vorauslaufe. Nach allen Seiten haben sich unsere Freunde und Freundinnen von vorhin zerstreut. Das Gewitter kommt immer näher, der Donner brummt ganz artig, und die Blitze sind gar nicht übel. Selbst Gustav meint: »Gottlob, da ist die Sperlingsgasse!« Welche Überschwemmung! – Gute Nacht und keine langen Worte! – Gustav verschwindet mit seiner Mutter hinter ihrer Haustür, und auch wir erreichen glücklich die unsrige.
»Gott, Herr Wachholder, was habe ich für ‘ne Angst gehabt!« ruft die alte Martha uns von der Treppe entgegen.
Lieschen pustet und ächzt und lacht, hält Arme und Hände weit ab vom Leibe und wird so schnell als möglich ins Bett geschickt. Gustav ruft natürlich von drüben noch einige Fragen herüber, auf welche wir aber nicht antworten, und der Mondschein-Spaziergang ist zu Ende.
Am 15. April.
Der April, der einst mensis novarum hieß, ist der wahre Monat des Humors. Regen und Sonnenschein, Lachen und Weinen trägt er in einem Sack; und Regenschauer und Sonnenblicke, Gelächter und Tränen brachte er auch diesmal mit, und manch einer bekam sein Teil davon. Ich liebe diesen janusköpfigen Monat, welcher mit dem einen Gesichte grau und mürrisch in den endenden Winter zurückschaut, mit dem andern jugendlich fröhlich dem nahen Frühling entgegenlächelt. Wie ein Gedicht Jean Pauls greift er hinein in seine Schätze und schlingt ineinander Reif und keimendes Grün, verirrte Schneeflocken und kleine Marienblümchen, Regentropfen und Veilchenknospen, flackerndes Ofenfeuer und Schneeglöckchen, Aschermittwochsklagen und Auferstehungsglocken. Ich liebe den April, den sie den Veränderlichen, den Unbeständigen nennen und den sie mit »Herrengunst und Frauenlieb« in einen so böswilligen Reim gebracht haben. –
Ich wurde diesen Morgen schon ziemlich früh durch das Geräusch des Regens, der an meine Fenster schlug, erweckt, blieb aber noch eine geraume Zeit liegen und träumte zwischen Schlaf und Wachen in diese monotone Musik hinein. Das benutzte ein schadenfroher Dämon des Trübsinns und des Ärgernisses, um mich in ein Netz trauriger, regenfarbiger Gedanken einzuspinnen, welches mir Welt und Leben in einem so jämmerlichen Lichte vorspiegelte und so drückend wurde, daß ich mich zuletzt nur durch einen herzhaften Sprung aus dem Bette daraus erretten konnte. – Aprilwetter! Die Hosen zog ich – wie weiland Freund Yorick – bereits wieder als ein Philosoph an, und der erste Sonnenblick, der pfeilschnell über die Fenster der gegenüberliegenden Häuser und die Nase des mir zuwinkenden Strobels glitt, vertrieb alle die Nebel, welche auf meiner Seele gelastet hatten. Frischen Mutes konnte ich mich wieder an meine Vanitas setzen, und als ich gar in einem der schweinsledernen, verstaubten Tröster, die ich gestern von der Königlichen Bibliothek mitgebracht hatte, eine alte vertrocknete Blume aus einem vergangenen