Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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Swik, ich wil dich wagen –

       O, Cäcilie Willbrand! – – –

      Der große Kasianienbaum in dem kleinen Garten vor dem Burgtor zu Finkenrode ist mit seinen Blüten geschmückt, wie ein Christbaum mit seinen Weihnachtskerzen. Alles Leben, welches den harten Winter hindurch in den braunen Knospenhülsen der Bäume und Gesträuche geschlummert hat, lugt keck und lustig hervor. Winzige geflügelte Wesen huschen durch die Luft und über den Boden hin; die Frösche hüpfen aus ihren Winterschlupfwinkeln, sonnen sich auf den Wegen und plumpsen bei jedem sich nahenden Schritt zurück in ihre Verstecke. Die Haselnußsträuche haben ihren gelben Blütenstaub liebend den roten Zäpfchen zugesandt – befruchtende Liebesgrüße!

      Drei Kinder kauern unter der großen Kastanie und haben die Köpfe so dicht als möglich zusammengesteckt. Ein schlafender Maikäfer liegt auf dem Rücken bewegungslos in der Hand des Knaben – belauscht von den sechs glänzenden Kinderaugen.

      »Er rührt sich!« sagt Käthchen Manegold.

      »Nun hauche ihn noch einmal an, Max!« ruft Cäcilie Willbrand.

      »Jetzt regt er sich! Sieh, er bewegt ein Bein!«

      »Er streckt die Fühlhörner aus – das ist der Anfang – Gebt acht, nun macht er sich auf!« jubelt der Knabe und erwärmt noch einmal das schlummernde Tierchen durch seinen warmen Atem.

      Cäcilie klatscht in die Hände: »Er ist aufgewacht! Er ist aufgewacht! Sieh, sieh!«

      Mit allen Beinen zappelnd sucht das Tier auf die Füße zu gelangen; es gelingt ihm nach vielen vergeblichen Mühen.

      »Laß ihn nicht fortfliegen – halt ihn! halt ihn!« rufen die beiden kleinen Mädchen, und der Knabe deckt schnell die andere Hand auf den Käfer, aber vergeblich! zwischen den kleinen Fingern durch drängt sich das Tier.

      »Da ist er!« jubelt Käthchen. »O seht, was für große schwarze Augen er hat! Jetzt laß ihn, Max! Bitte, bitte!«

      »Er zählt! Er zählt!« ruft Cäcilie – »Eins, zwei, drei –

      »Maikäfer flieg,

       dein Vater ist im Krieg.«

      »Jetzt geht«!« ruft Max Bösenberg.

      »Nein, noch nicht; aber gleich – seht, wie er mit dem Kopfe nickt.«

      »Wenn ihn nur kein Sperling fängt! Da – – surr!«

      Der Käfer entfaltet die Flügel und summt im Bogen hinauf in die Frühlingsluft, den grünenden Zweigen des Kastanienbaumes zu. Ein Angstruf entringt sich allen drei Kindern – der Knabe greift nach einem Stein – ein hungriger Spatz schießt, ehe das Tierlein die schützenden Zweige erreicht hat, unter dem Baume durch und erfaßt dicht über den Lockenköpfen der Kleinen den unseligen Maikäfer und trägt ihn blitzschnell mit sich fort.

      »Bösewicht!« ruft der Knabe und wirft seinen Stein dem Räuber und Mörder nach. »Kirschendieb! Galgendieb! Ach, der arme Maikäfer!«

      »Ach, der arme Maikäfer!« klagt bis kleine Cäcilie, und traurig singt Käthchen Manegold:

      »Deine Mutter ist im Pommerland,

       Das Pommerland ist abgebrannt.«

      »Ach, dem ist’s nun einerlei, ob die ganze Welt abgebrannt ist. Wenn wir ihn nicht losgelassen hätten, könnte er jetzt ganz ruhig in meiner hübschen bunten Schachtel sitzen!«

      Wie der Hurlebach an der Weißdornhecke des Gartens vorbeimurmelt, der Hurlebach, der aus dem großen Walde kommt und soviel Märchen erzählen könnte, wenn er wollte. Eine kleine grüne Tür führt durch die Hecke, hinab an das plätschernde, seichte, klare Wässerlein, welches solche unerschöpflichen Schätze an glatten Kieseln und bunten Steinen aller Art auf seinem Grunde birgt. Schon haben die Kinder den Tod des armen Maikäfers vergessen – an dem Rande des Baches knieen sie, tauchen die kleinen Hände in die kühlen Fluten und ziehen ihre Geheimnisse hervor. Kindern ist alles Symbol, und alles – Blumen, Kiesel, Blätter, Grashalme, Insekten – wird ihnen zu Abbildern des Lebens, und im Spiel mit Blumen, Kieseln und Grashalmen zupfen sie an dem Schleier der Zukunft.

      »Ich möchte wohl ein Vogel sein!« sagt plötzlich der Knabe.

      »Und ich möchte wohl die Sonne sein!« ruft jubelnd Käthchen Manegold. Was wolltest du am liebsten sein, Cäcilie?«

      Die beiden dunkeln Augen verlieren sich sinnend in dem blauen Himmel. »Ich möchte nichts lieber sein – ich möchte sein, was ich bin.«

      »Nein, nein, nein!« ruft der Knabe. »Das gilt nicht; – nun verdirbt sie schon wieder das Spiel! Du mußt sagen, was du sein möchtest.«

      »Sage es, Cäcilie!«

      Die Kleine verbirgt ihr Gesicht in der Schürze; aber das wilde Käthchen reißt ihr dieselbe lachend weg: »Was möchtest du sein, was möchtest du sein, wenn du nicht Cäcilie Willbrand wärest?«

      »Nun denn, wenn ihr es durchaus wissen wollt: ich möchte der Hurlebach sein.«

      »O!« jubelt Käthchen.

      »Der möchte ich auch wohl sein, wenn ich kein Vogel sein wollte,« ruft Max.

      »Nun soll aber auch jeder sagen, weshalb er die Sonne, oder ein Vogel, oder der Hurlebach sein möchte; ich will den Anfang machen,« ruft Käthchen. »Die Sonne möchte ich sein, weil sie so schön und glänzend ist, und weil es immer schönes Wetter ist, wenn sie scheint, und weil ich sie leiden mag, und weil, weil« …

      »Ein Vogel möchte ich sein,« fällt der Knabe eifrig ihr ins Wort, »weil der nicht bloß am Boden zu kriechen braucht wie wir Menschen und die andern Tiere; sondern in der Luft umherfliegen kann, von einem Baum zum andern, über die Dächer weg und über die Berge weg, wohin er will. Nun Cäcilie, weshalb möchtest du der Hurlebach sein?«

      Die Angeredete fängt wieder an, mit ihrem Schürzenband zu spielen. »Ich möchte am liebsten Cäcilie Willbrand sein!« sagt sie furchtsam.

      »Nein, nein, du hast gesagt, du wolltest der Bach sein – weshalb willst du der Bach sein? Sage?«

      »Nun denn, weil er aus dem häßlichen, großen Walde glücklich herausgekommen ist, und immer an unserm Garten vorbeispielt, und immer unser Haus sehen kann, und die Mutter und den Vater. Hört nur, wie lustig er plätschert! Er freut sich, daß ihm nun die bösen Kobolde kein Leid mehr antun können.« Und das Kind kauert wieder nieder an dem murmelnden Wässerlein und läßt das klare, freundliche Element über die kleine Hand gleiten, als liebkose es die spielenden Wellen und Weilchen. Die beiden andern Kinder aber lachen und klatschen in die Hände: »O, sie glaubt, es gäbe im Walde Löwen und Bären, sie glaubt an Kobolde und Gespenster! Cäcilie, kleine Cäcilie!« –

      »Und gibt es etwa keine Kobolde und keine Bären?« fragt die Kleine, die schwarzen Losen altklug schüttelnd. »Die Muhme hat mir von dem grünen und roten und blauen Zwerg erzählt, und in meinem Bilderbuch steht der Bär abgemalt« –

      »Im Walde geht voll Grimm und Haß

       Der Bär und orgelt seinen Baß«

      lacht der Knabe.

      »Seht ihr! Hört ihr! Ihr sollt nicht lachen,« ruft Cäcilie. Mein gutes Bächlein freut sich doch, daß es aus dem bösen Wald heraus ist. Der Frau Rämer ihr Sohn ist darin totgeschossen, und sie haben ihn vor unserm Haus vorbeigetragen« –

      »Höre, kleine Cäcilie,« sagt der Knabe wichtig, »der Bach bleibt ja aber nicht immer bei Eurem Garten und Hause, siehst du, er geht ja immer weiter; da unten hinter der Stadt fließt er in das große Wasser, und dann geht er mit den Schiffen und den Holzflößen weiter, immer weiter hinab, bis er in das große Meer kommt; das ist ja noch viel schlimmer als der Wald – die Walfische sind darin, und hunderttausend Menschen sind darin ertrunken.«

      Das kleine Mädchen hatte aufgehört mit dem Wasser des Hurlebachs zu spielen, mit offenem Munde horcht sie den Worten des Knaben, während sie die Händchen an der Schürze trocknet.

      »Ich