Papa, das war es auch! Und das Donnerwetter stand auch am Himmel, als ich mit einem Schreckensschrei auffuhr. Waddel heulte jämmerlich; zwar schimmerte ein kleines Stückchen blauen Himmels durch die Baumzweige über mir, aber es war doch ganz dunkeldämmerig im Walde geworden. Cäcilie! Cäcilie! rief ich, aber das Mädchen hörte nicht; ganz starr saß sie da und starrte unbeweglich in den Wald hinein. Ich sprang auf und schüttelte sie – Cäcilie, Cäcilie! um Gottes willen, ein Gewitter, – so hör doch! – Sie fuhr mit der Hand über die Stirn und sah mich groß an; erst allmählich kam sie wieder zur Besinnung. – Ich glaube, ich habe auch geschlafen, sagte sie. – Mit offenen Augen? fragte ich; aber die Angst vor dem Donner ließ mich bald alles um mich her vergessen.«
»Fürchten Sie sich so vor dem Donner, Fräulein Bäschen?« fragte ich.
»Schrecklich!« sagte die Cousine, und der Hauptmann und Cäcilie Willbrand bestätigten es durch ihr Kopfnicken, Waddel durch ein kurzes Gebell.
»Du dummes Tier, ich begreife heute noch nicht, weshalb du das Maul nicht eher aufmachtest, wenn du merktest, daß ein Gewitter herankam!« redete Sidonie den Köter an. »Ich meine, ihr Vierbeine merkt das so lange vorher? – Ach, du lieber Gott – ach ja, es war mir recht schlecht zumute, das Weinen war mir näher als das Lachen, allen Trostsprüchen Cäciliens zum Trotz, und jetzt kam nun auch noch der Wind und faßte die Baumwipfel und bog die Tannen, und große Regentropfen schlugen nieder.«
»Ich mag den Wind auch nicht!« sagte ich.
»Ich mag ihn wohl« meinte Cäcilie. »Wenn er mich faßt und mir den Atem so in die Brust zurückdrängt, ist es mir immer, als gehöre ich in solchen Augenblicken der Natur mehr an, als sonst – ich kann es nicht recht ausdrücken; aber ich mag auch gern in einem dichten Nebel oder in einem Schneegestöber gehen, in welchem man keinen Schritt weit sieht und jede Richtung verloren hat. Es ist ein so ängstliches Behagen an den Wirkungen der großen Kraft, die um einen waltet – der Sturm bläst mir immer alle Alltagsgedanken und Alltagssorgen aus der Seele.«
Ich lauschte atemlos und schwieg; der Hauptmann rief: »Bravo!« und Sidonie lachte und klatschte in die Hände und rief: »Ja, es ist so, ich kann’s bezeugen, sie lehnte sich an die nächste Tanne – obgleich der Blitz am ehesten in die Bäume schlägt – und ließ sich von ihr hin und her schaukeln« –
»Es war ein wundervoller Aufruhr im Wald!« sagte Cäcilie. »Ein Klingen, Ächzen, Rauschen und Brausen erfüllte ihn – es ward mir, als läge ich in einer großen Wiege, und die große Mutter Natur schaukelte ihr kleines Kind.«
»Ja, ja!« rief Sidonie. »Aber Waddel und ich, wir fühlten uns nicht so sicher aufgehoben. Das arme Tier kroch ängstlich, so dicht als möglich, an mich heran, und winselte stehend an mir empor. Die Regentropfen schlugen mir eisig genug ins heiße Gesicht, und mein Herz pochte gewaltig. Die Augen schloß ich, und vor die Ohren hielt ich die Hände – ich schäme mich gar nicht, es zu sagen, Herr Vetter aus der Residenz; aber ich muß auch der Cäcilie ihr Recht angedeihen lassen. Als das Laubdach und die Tannen keinen Schutz mehr gegen den nun immer stärker herabströmenden Regen gewährten, machte sie eine Felsspalte in der Wand der steinernen Frau ausfindig, eine Art Höhle, ans welcher sich vor langen Jahren einmal ein Felsenstück losgelöst haben mußte: dahin schleppte sie mich, wie ein Kind, und die Vertiefung hatte Raum genug für uns alle drei und auch noch für einen großen Schröter, welchen der Wind von einer Eiche herabgeworfen haben mußte, und der zu unsern Füßen am Boden kroch. Cäcilie faßte ihn vorsichtig und nahm ihn unter Dach und Fach, obgleich er sich undankbar sehr bemühete, sie mit seinen großen Scheren zu packen. Papa, ein solches Gewitter habt Ihr doch nicht erlebt, als ihr in Frankreich waret! – Waddel, denkst du noch daran?«
»Ich hätte wohl einen Blick in dieses Schlupfwinkelchen werfen mögen!« sagte ich seufzend.
»Ich auch,« sagte der Hauptmann. »Das mag ein Häuflein Unglück gewesen sein!«
»Durchaus nicht!« lachte Cäcilie. »Sidonie fing an zu stricken, was sie konnte, und hatte sich wirklich nach zehn Minuten soweit beruhigt, daß ich sie nur mit Mühe und Not abhalten konnte, dem armen Waddel den Hirschkäfer mit den großen Scheren an den Schwanz zu hängen.«
»Natürlich!« brummte der Hauptmann. »Menschen und Vieh muß sie quälen.«
»Das Gewitter verrollte; aber der Regen ließ nicht nach,« fuhr Cäcilie fort. »Ich wurde selbst für unsern Heimweg besorgt, als plötzlich ein Schatten auf mich fiel, Sidonie erschreckt einen kleinen Schrei ausstieß und Waddel aufsprang und laut bellte. Ein junges Mädchen stand vor unserm Schlupfwinkel, im strömenden Regen, und betrachtete verwundert das seltsame Nest, ein großes Klettenblatt über den Kopf haltend. Das Wasser troff aber dessenungeachtet aus ihrem schwarzen Haar, und die Kleider hingen ihr feucht am Körper herab. Sie sah sehr hübsch, wild und romantisch aus. Es war Marianne, die älteste Tochter des Zigeuners Martin Nadra. Schnell war ich auf den Füßen; ach – ich freute mich doch herzlich, ein menschliches Wesen zu erblicken. ›O die Fräulein, die schönen Fräulein im Wald und im Wetter!‹ kreischte das Kind, und zog die schwarzen Haarflechten durch die Finger, daß das Wasser in Perlen über die Hand lief. ›Gottlob, Marianne, daß du da bist!‹ rief Sidonie, ›der Himmel hat dich geschickt: wo sind die andern?‹ Das Zigeunermädchen zeigte die weißen Zähne und wies in den Wald hinein. ›Dorten –ich will die Mutter rufen – das ist ein Prachtwetter – aber nicht für die schönen Damen! – bin gleich zurück.‹ Sie war verschwunden, wie sie gekommen war, bald aber hörten wir ihren Ruf in der Ferne, darauf andere Stimmen und Hundegebell, welchem Waddel fröhlich antwortete; und einige Augenblicke später waren wir umgeben von der seltsamen Schar unserer Freunde.«
»Da hättet ihr das Volk sehen sollen!« rief Sidonie. »Das war ein Treiben, Lärmen, Purzelbaumschlagen um uns her! Die Kinder tanzten und kreischten im Regen, die Mama Nadra aber kauerte vor uns nieder, schluchzte, lachte, streichelte uns die Hände und Kleider, versicherte hoch und teuer, daß das Wetter uns nichts tun würde; die Großmutter habe es schon besprochen und bespreche es noch – und in demselben Augenblick meldete ein neues Jubelgeschrei uns die Annäherung der Alten. Auf ihren Krückstock gestützt, humpelte das alte Weiblein daher, begleitet von dem tollen Musikanten Wallinger, der seine Geige sorgsam unter den Rockschößen gegen den Regen verbarg. Ein wunderliches Paar! Vor ihnen her trippelte die schwarze Henne der Alten; die Männer der Familie schienen abwesend zu sein. Kennen Sie den Wettersegen der Zigeuner von Finkenrode, Herr Vetter?« Ich verneinte es und sprach den Wunsch aus, ihn kennen zu lernen für eintretende Fälle.
»Warten Sie!« rief Sidonie und sprang zu ihrem zierlichen Schreibtischchen, in welchem sie eine Zeitlang kramte und suchte. »Willst du die Güte haben, die Lampe anzuzünden, Cäcilie. Ach, ein wenig Ordnung könnte mir doch nicht schaden« –
»Durchaus nicht! im Gegenteil!« sagte der Hauptmann; die Lampe flammte auf, das Zimmer trat ins Licht – der Zettel mit dem Wettersegen fand sich, und das Bäschen stellte sich deklamierend mitten in das Gemach:
»Jesus Christus, ich bitte dich! Jesus Christus, Sohn Gottes, laß uns nicht vergehen!
Buro, Baro, Kirn, Ofel, Jop! – Mausa, Coma, Broit Zorobam –
Haltet den Wind! Haltet den Wind!
Jungfrau Maria, sei uns gnädig! Sei uns gnädig!
Halt den Blitz! Halt den Blitz!
Jesus, Maria, Lukas, Markus, Matthäus und Johannes, legt Ketten an dem Donner! Kaspar, Melchior, Balthasar –
Schützet uns! Schützet uns!
Im Namen des Vaters, laßt keinen Schaden geschehen an Mensch und Vieh, an Leib und Seele, an Korn und Getreide!
Mit Gottes Hülfe und Gottes Gnaden und Beistand; und mit Beistand der hohen göttlichen Worte und Namen – Amen! Amen! Amen! Amen!«
»Welch ein tolles Gemisch von Heidentum und Christentum! Sie müssen mir eine Abschrift dieses prächtigen Spruches überlassen, Sidonie.«
»Bei jedem Amen wird ein Kreuz nach einer der vier Weltgegenden hin geschlagen,« sagte Cäcilie. »O Herr Bösenberg, Sie