Готфрид Келлер

Gesammelte Werke von Gottfried Keller


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in dem Beschauenden eine unwillkürliche Sehnsucht, das lebendige Kind zu sehen, ihm schmeicheln und es liebkosen zu dürfen. Es war auch der Erinnerung des alten Dorfes unbewußt lieb und wert, und in den Erzählungen und Sagen von ihm war ebensoviel unwillkürliche Teilnahme als Abscheu zu bemerken.

      Die eigentliche Geschichte war nun die, daß das kleine Mädchen, einer adeligen, stolzen und höchst orthodoxen Familie angehörig, eine hartnäckige Abneigung gegen Gebet und Gottesdienst jeder Art zeigte, die Gebetbücher zerriß, welche man ihm gab, im Bette den Kopf in die Decke hüllte, wenn man ihm vorbetete, und kläglich zu schreien anfing, wenn man es in die düstere, kalte Kirche brachte, wo es sich vor dem schwarzen Manne auf der Kanzel zu fürchten vorgab. Es war ein Kind aus einer unglücklichen ersten Ehe und mochte sonst schon ein Stein des Anstoßes sein. So beschloß man, als es durch keine Mittel von der unerklärlichen Unart abgebracht werden konnte, das Kind jenem wegen seiner Strenggläubigkeit berühmten Pfarrherrn versuchsweise in Pflege zu geben. Wenn schon die Familie die Sache als ein befremdliches und ihrem Rufe Unehre bringendes Unglück auffaßte, so betrachtete der dumpfe, harte Mann dieselbe vollends als eine unheilvolle infernalische Erscheinung, welcher mit aller Kraft entgegenzutreten sei. Demgemäß nahm er seine Maßregeln, und ein altes vergilbtes »diarium«, von ihm herrührend und im Pfarrhause aufbewahrt, enthält einige Notizen, welche über sein Verfahren sowie das weitere Schicksal des unglücklichen Geschöpfes hinreichenden Aufschluß geben. Folgende Stellen habe ich mir ihres seltsamen Inhaltes wegen abgeschrieben und will sie diesen Blättern einverleiben und so die Erinnerung an jenes Kind in meinen eigenen Erinnerungen aufbewahren, da sie sonst verlorengehen würde.

       Das Meretlein

       Inhaltsverzeichnis

      »Heute habe ich von der hochgebornen und gottesfürchtigen Frau von M. das schuldende Kostgeld für das erste Quartal richtig erhalten, alsogleich quittiret und Bericht erstattet. Ferner der kleinen Meret (Emerentia) ihre wöchentlich zukommende Correction ertheilt und verscherpft, indeme sie auf die Bank legte und mit einer neuen Ruthen züchtigte, nicht ohne Lamentiren und Seufzen zum Herren, daß Er das traurige Werk zu einem guten Ende führen möge. Hat die Kleine zwaren jämmerlich geschrieen und de- und wehmüthig um Pardon gebeten, aber nichts desto weniger nachher in ihrer Verstocktheit verharret und das Liederbuch verschmähet, so ich ihr zum Lernen vorgehalten. Habe sie derowegen kürzlich verschnauffen lassen und dann in Arrest gebracht in die dunkle Speckkammer, allwo sie gewimmert und geklaget, dann aber still geworden ist, bis sie urplötzlich zu singen und jubiliren angefangen, nicht anders wie die drey seligen Männer im Feuerofen, und habe ich zugehöret und erkennt, daß sie die nämliche versificirten Psalmen gesungen, so sie sonsten zu lernen refusirete, aber in so unnützlicher und weltlicher Weise, wie die thörichten und einfältigen Ammen- und Kindslieder haben; so daß ich solches Gebahren für eine neue Schalkheit und Mißbrauch des Teufels zu nemen gezwungen ward.«

      Ferner:

      »Ist ein höchst lamentables Schreiben arriviret von Madame, welche in Wahrheit eine fürtreffliche und rechtgläubige Person ist. Sie hat besagten Brief mit ihren Thränen benetzet und mir auch die große Bekümmerniß des Herren Gemahls vermeldet, daß es mit der kleinen Meret nicht besser gehen will. Und ist dieses gewißlich eine große Calamität, so diesem hochansehnlichen und berühmten Geschlecht zugestoßen und möchte man der Meinung seyn, mit Respect zu sagen, daß sich die Sünden des Herren Großpapa väterlicher Seits, welches ein gottloser Wütherich und schlimmer Cavalier ware, an diesem armseligen Geschöpflein vermerken lassen und rechen. Habe mein Tractament mit der Kleinen changiret und will nunmehr die Hungerkur probiren. Auch hab ich ein Röcklein von grobem Sacktuch durch meine Ehefrau selbsten anfertigen lassen und verbothen, der Meret ein ander Habit anzulegen, sintemal diese Bußkleidung ihr am besten conveniret. Verstocktheit auf dem gleichen Puncto.«

      »Sahe mich heute gezwungen, die kleine Demoiselle von allem Verkehr und Unterhalt mit denen Baurenkindern abzusperren, weill sie mit selbigen in das Holz gelauffen, allda gebadet im Holzweiher, das Bußhemdlein, so ich ihr ordiniret, an ein Baumast gehenkt hat und nackent davor gesprungen und getanzt und auch ihre Gespanen zu frechem Spott und Unfug aufgereizet. Beträchtliche Correction.«

      »Heut ein großer Spectakel und Verdruß. Kame ein großer, starker Schlingel, der junge Müllerhans, und richtete mir Händel an von wegen der Meret, welche er alltäglich schreien und heulen zu hören vorgegeben, und disputirte ich mit demselben, als auch der junge Schulmeister, der Tropf, herankam und drohete, mich zu verklagen, und fiel über die schlimme Creatur her, herzete und küssete sie etc. etc. Ließ den Schulmeister alsochgleich arretiren und zum Landvogt führen. Dem Müllerhans muß ich auch noch beikommen, obgleich selbiger reich und gewaltthätig ist. Möchte bald selber glauben, was die Bauersleute sagen, daß das Kind eine Hexe sey, wenn diese Opinion nicht der Vernunft widerspräche. Jeden Falls steckt der Teufel in ihr und habe ich ein schlimmes Stück Arbeit übernommen.«

      »Diese ganze Woche habe ich einen Mahler im Hause tractiret, so mir Madame übersendet, damit er das Portrait der kleinen Fräulein anfertige. Die bedrängte Familie will das Geschöpfe nicht mehr zu sich nemen und allein zum traurigen Angedenken und zur bußfertigen Anschauung, auch von wegen der großen Schönheit des Kindes, ein Conterfey behalten. Insbesundere will der Herr nicht von dieser Idee lassen. Meine Ehefrau verabreicht dem Mahler alltäglich zwei Schoppen Wein, woran er nicht genug zu haben scheinet, da er allabendlich in den rothen Löwen gehet und dort mit dem Chirurgo spielet. Ist ein hochfahrendes Subject und setze ihm daher öfter ein Schnepfen oder ein Hechtlein vor, welches in dem Quartal Conto der Madame zu vermerken ist. Wollte anfenglich mit der Kleinen sein Wesen und Freundlichkeit treiben und hat sie sich sogleich an ihn attachiret, daher ich ihme bedeutet habe, mir in meinem Procedere nicht zu interveniren. Wie man der Kleinen ihr verwahrte Habit und Sonntagsstaat herfürgehohlt und angelegt benebst der Schapell und der Gürtlen, so hat sie großen Plaisir gezeiget und zu tanzen begonnen Diese ihre Freude ist aber bald verbittert worden, als ich nach dem Befelch der Frau Mama 1 Todtenschedel hohlen ließe und in die Hand zu tragen gab, welchen sie partout nicht nemen wollen und hernachmalen weinend und zitternd in der Hand gehalten, wie wenn es ein feurig Eisen wär. Zwaren hat der Mahler behauptet, er könne den Schedel aufwendig mahlen, weill solcher zu denen allerersten Elementen seiner Kunst gehöre, habe es aber nicht zugegeben, sintemal Madame geschrieben hat: ›Was das Kind leidet, das leiden auch wir, und ist uns in seinem Leiden selbst Gelegenheit zur Buße gegeben, so wir für ihn’s thun können; derohalb brechen Ew. Wohlehrwürden in Nichts ab, Euere Fürsorge und Education betreffend. Wenn das Töchterlein dereinst, wie ich zum allmächtigen und barmherzigen Gott verhoffe, hier oder dort erleuchtet und gerettet seyn wird, so wird es ohnzweifelhaft sich höchlich erfreuen, ein gutes Theil seiner Buße schon mit seiner Verstocktheit abgethan zu haben, welche über ihn’s zu verhängen der unerforschliche Meister beliebt hat!‹ Diese tapferen Worte vor Augen, habe ich auch diese Gelegenheit für dienlich erachtet, der Kleinen mit dem Schedel eine ernsthafte Buße anzuthun. Man hat übrigens einen kleinen leichten Kindsschedel gebrauchet, dieweill der Mahler sich beschwehret, daß der große Mannsschedel zu unförmlich seye für die kleinen Händlein, in Betracht seiner Kunst-Regula, und hat sie denselben nachher lieber gehalten; auch hat ihr der Mahler ein weißes Röslein dazugesteckt, was ich wohl leiden mochte, weil es als ein gutes Symbolum gelten kann.«

      »Habe heut plötzlich ein Contreordre erhalten in Betreff des Tableau und soll nun selbiges nicht nach der Stadt spediren, sondern hier behalten. Es ist Schad um die brave Arbeit, so der Mahler gemacht hat, weil er ganz charmiret war von der Anmuth des Kinds. Hätt ich es früher gewußt, so hätt der Mann für diesen Kostenaufwand mein eigen Conterfey auf das Tuch mahlen können, wenn die schönen Victualien nebst Lohn einmal drauff gehen sollen.«

      »Es ist mir fernerer Befelch zu Handen gekommen, mit aller weltlichen Instruction abzubrechen, besonders mit dem Französischen, da solches nicht mehr nöthig erachtet werde, so wie auch meine Gemahlin den Unterricht auf dem Spinett sistiren solle, was der Kleinen leid zu thun scheinet. Vielmehr soll ich sie fortan als ein einfaches Pflegekind tractiren und allein fürsorgen, daß sie kein öffentlich Ärgernuß gebe.«

      »Vorgestern