nahm rasch wieder Platz. Wieder fiel ihr Blick einen Augenblick auf die grauen und regenbogenfarbigen Banknoten, die noch auf dem Tische lagen; aber schnell wandte sie das Gesicht von ihnen weg und sah wieder Pjotr Petrowitsch an; es kam ihr auf einmal der Gedanke, daß es sich, namentlich für ein Mädchen wie sie, ganz und gar nicht schicke, fremdes Geld anzublicken. Sie richtete ihren Blick zunächst auf die goldne Lorgnette, die Pjotr Petrowitsch in der linken Hand hielt, und zugleich auf den großen, massiv goldenen, sehr schönen Ring mit gelbem Stein, den er am Mittelfinger dieser Hand trug; aber hastig wendete sie ihre Augen auch davon ab, und da sie nicht wußte; wo sie mit ihren Blicken bleiben sollte, schaute sie schließlich ihrem Gegenüber wieder gerade ins Gesicht. Nach einer kurzen Pause fuhr Pjotr Petrowitsch in noch würdevollerem Tone als vorher fort:
»Es traf sich gestern zufällig, daß ich im Vorbeigehen mit der unglücklichen Katerina Iwanowna ein paar Worte wechselte. Diese wenigen Worte genügten, um mich erkennen zu lassen, daß sie sich in einem, wenn man sich so ausdrücken kann, unnatürlichen Geisteszustande befindet …«
»Jawohl, in einem unnatürlichen Geisteszustande«, stimmte ihm Sonja eilig zu.
»Oder, um es einfacher und verständlicher auszudrücken, in einem krankhaften Geisteszustande.«
»Jawohl, einfacher und verständ… Jawohl, sie ist krank.«
»Ganz richtig. Nun also, aus Menschenfreundlichkeit und … und … und sozusagen aus Teilnahme möchte ich mich gern meinerseits irgendwie behilflich zeigen, im Hinblick auf das traurige Schicksal, das ihr unvermeidlich bevorsteht. Ich möchte glauben, daß diese ganze arme Familie sich jetzt einzig und allein auf Ihre Unterstützung angewiesen sieht.«
»Gestatten Sie die Frage«, sagte Sonja und stand dabei plötzlich auf, »was haben Sie ihr gestern über die Möglichkeit, eine Pension zu bekommen, gesagt? Sie hat gestern zu mir gesagt, Sie hätten es auf sich genommen, ihr eine Pension zu erwirken. Ist das richtig?«
»Durchaus nicht; das ist sogar in gewisser Hinsicht sinnlos«, erwiderte Pjotr Petrowitsch und bedeutete ihr, sich wieder zu setzen. »Ich habe nur darauf hingedeutet, daß die Witwe eines im Dienst gestorbenen Beamten eine zeitweilige Unterstützung erhalten könne, wenn sie irgendwelche Protektion habe; es scheint jedoch, daß ihr verstorbener Vater nicht das erforderliche Dienstalter hatte, ja sogar in der letzten Zeit sich überhaupt nicht im Dienste befand. Kurz, es mag wohl einige Aussicht da sein, aber jedenfalls ist sie äußerst problematisch; denn ein Recht auf Unterstützung ist im vorliegenden Falle ganz und gar nicht vorhanden; im Gegenteil … Und da hat sie gleich auf eine Pension spekuliert? He-he-he! Die Dame muß ja eine rege Phantasie haben!«
»Ja, sie hat sich Hoffnung auf eine Pension gemacht. Sie ist nämlich leichtgläubig und gutherzig, und aus Gutherzigkeit glaubt sie alles, und … und … und ihr Verstand ist so … Ja, dann entschuldigen Sie«, sagte Sonja und stand wieder auf, um fortzugehen.
»Erlauben Sie, Sie haben noch nicht alles gehört, was ich sagen wollte.«
»Ja, ich habe noch nicht alles gehört«, murmelte Sonja.
»Also nehmen Sie doch Platz!«
Sonja wurde entsetzlich verlegen und setzte sich von neuem hin.
»Da ich sehe, in welcher Lage sie sich mit den unglücklichen kleinen Kindern befindet, so möchte ich, wie bereits gesagt, mich nach dem Maße meiner Kräfte irgendwie behilflich zeigen, das heißt, eben nur, was man so nennt, nach dem Maße meiner Kräfte, nicht in weiterem Umfange. Man könnte zum Beispiel zu ihren Gunsten eine Kollekte veranstalten oder sozusagen eine Lotterie … oder so etwas Ähnliches, wie dergleichen immer in solchen Fällen von Nahestehenden oder auch von Fernerstehenden, überhaupt von Hilfsbereiten unternommen wird. Das ist es, worüber ich gern mit Ihnen reden wollte. So etwas wäre möglich.«
»Ach ja, das wäre schön … Gott wird Sie dafür …«, stammelte Sonja und blickte Pjotr Petrowitsch unverwandt an.
»Das wäre möglich; aber … darüber können wir später einmal … das heißt, wir könnten auch gleich heute schon anfangen. Wir wollen heute abend noch einmal zusammenkommen, uns besprechen und sozusagen den Grund legen. Kommen Sie also so gegen sieben Uhr wieder zu mir hierher. Ich hoffe, Andrej Semjonowitsch wird gleichfalls an unsrer Beratung teilnehmen … Aber … da ist ein Punkt, der schon vorher genau erwogen werden muß; und eben deshalb habe ich Sie auch hierher bemüht, Sofja Semjonowna. Nämlich meine Ansicht ist die: der unglücklichen Katerina Iwanowna selbst kann man kein Geld in die Hände geben; das ist sogar geradezu gefährlich; als Beweis dafür dient gleich das heutige Gedächtnismahl. Es ist für morgen sozusagen keine trockene Brotrinde da, kein Schuhzeug, nichts; aber trotzdem kauft sie heute Jamaikarum ein und Madeira und … und … und Kaffee. Ich habe es gesehen, als ich durch das Zimmer ging. Morgen aber fällt wieder die ganze Last des Unterhaltes der Familie auf Ihre Schultern, und ohne Sie hätten sie keinen Bissen Brot. Ein solches Verfahren ist ja geradezu sinnlos. Daher muß auch eine etwaige Kollekte nach meiner persönlichen Ansicht in der Weise veranstaltet werden, daß von dem Gelde die unglückliche Witwe gar nichts erfährt, sondern etwa nur Sie. Habe ich nicht recht?«
»Ich weiß nicht. Es ist ja nur heute, daß sie so ist, … nur einmal im Leben; … es lag ihr so viel daran, ein Gedächtnismahl zu veranstalten, dem Toten eine Ehre zu erweisen, sein Andenken zu feiern; … sie ist sonst sehr vernünftig. Aber machen Sie es ganz, wie es Ihnen gut scheint, und ich werde Ihnen sehr, sehr, … sie alle werden Ihnen … und Gott wird Sie… und die vaterlosen Kinderchen …«
Sonja konnte nicht zu Ende sprechen; sie brach in Tränen aus.
»Nun ja. Also dann überlegen Sie sich das; jetzt aber wollen Sie für Ihre Mutter zunächst von mir persönlich eine meinen Kräften entsprechende Summe entgegennehmen. Ich spreche die dringende Bitte aus, daß mein Name dabei nicht erwähnt werden möge. Hier, bitte … Da ich sozusagen selbst meine Sorgen habe, bin ich nicht imstande, eine größere Summe …«
Und Pjotr Petrowitsch reichte Sonja einen Zehnrubelschein hin, den er sorgsam auseinandergefaltet hatte. Sonja nahm ihn, wurde rot, murmelte etwas und verabschiedete sich hastig. Pjotr Petrowitsch begleitete sie würdevoll bis an die Tür. Endlich schlüpfte sie ganz aufgeregt und erschöpft aus dem Zimmer und kehrte in größter Verwirrung zu Katerina Iwanowna zurück.
Während dieses ganzen Vorganges hatte Andrej Semjonowitsch bald am Fenster gestanden, bald war er im Zimmer auf und ab gegangen, ohne sich in das Gespräch einzumischen; als Sonja hinausgegangen war, trat er auf Pjotr Petrowitsch zu und reichte ihm feierlich die Hand.
»Ich habe alles gehört und alles gesehen«, sagte er, wobei er auf das letzte Wort einen besonderen Nachdruck legte. »Das war edel und vornehm von Ihnen gehandelt, das heißt, ich wollte sagen, human! Sie wollten die Danksagungen vermeiden; ich habe es wohl gesehen! Und wiewohl ich, offen gestanden, grundsätzlich kein Freund der privaten Wohltätigkeit bin, weil sie, statt das Übel auszurotten, es sogar noch steigert, so muß ich trotzdem bekennen, daß ich Ihre Handlungsweise mit Vergnügen mit angesehen habe; ja, wirklich, das hat mir sehr gefallen.«
»Ach, dummes Zeug!« murmelte Pjotr Petrowitsch etwas aufgeregt und blickte den andern forschend an.
»Nein, das ist kein dummes Zeug! Ein Mann, der wie Sie durch den gestrigen Vorfall gekränkt und aufgebracht ist und doch gleichzeitig imstande ist, an das Unglück andrer zu denken, ein solcher Mann – mag er auch durch sein Tun in sozialer Hinsicht einen Fehler begehen – verdient dennoch Hochachtung! Ich hatte das von Ihnen, Pjotr Petrowitsch, gar nicht erwartet, um so weniger, da nach Ihren Anschauungen … Ach, wie sehr hindern diese Ihre Anschauungen Sie noch an richtiger Lebensgestaltung! Wie arg regen Sie sich zum Beispiel über dieses gestrige Malheur auf«, rief der gutmütige Andrej Semjonowitsch, der wieder eine verstärkte Zuneigung zu Pjotr Petrowitsch empfand. »Aber wozu haben Sie eigentlich diese Ehe, diese gesetzliche Ehe, so unbedingt nötig, liebster, bester Pjotr Petrowitsch? Wozu haben Sie so unbedingt diese Gesetzlichkeit der Ehe nötig? Na, wenn Sie Lust haben, können Sie mich ja dafür prügeln; aber ich muß doch sagen: ich freue mich, freue mich geradezu, daß aus dieser Ehe nichts geworden ist, daß Sie frei sind, daß Sie noch nicht ganz für die Sache der Menschheit verloren sind; ich freue mich … Sehen Sie, nun habe ich