Джек Лондон

Gesammelte Werke


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Bo­den strö­men. Im Lau­fe des Nach­mit­tags warf er auch die an­de­re Hälf­te fort. Jetzt blie­ben ihm über­haupt nur noch eine hal­be De­cke, der Zinn­be­cher und das Ge­wehr.

      Eine un­an­ge­neh­me Hal­lu­zi­na­ti­on be­gann sich sei­ner zu be­mäch­ti­gen. Er war ganz über­zeugt, dass er noch eine Pa­tro­ne üb­rig hät­te. Sie lag in der Kam­mer des Stut­zens, und er hat­te sie bis­her ein­fach über­se­hen. An­de­rer­seits aber wuss­te er die gan­ze Zeit, dass die Kam­mer leer war. Die Hal­lu­zi­na­ti­on woll­te je­doch kei­ner ver­nunft­mä­ßi­gen Über­le­gung wei­chen. Er konn­te sie für Stun­den ver­drän­gen, dann aber öff­ne­te er doch schnell die Kam­mer und muss­te fest­stel­len, dass sie leer war. Und die Ent­täu­schung war ge­nau­so bit­ter, wie wenn er wirk­lich er­war­tet hät­te, eine Pa­tro­ne zu fin­den.

      Eine hal­be Stun­de lang trot­te­te er wei­ter. Dann tauch­te die ver­rück­te Hal­lu­zi­na­ti­on wie­der in sei­nem Ge­hirn auf. Und aber­mals be­kämpf­te er sie, und den­noch blieb sie hart­nä­ckig, bis er, um sich zu ver­ge­wis­sern und sich von ihr zu be­frei­en, wie­der­um die Ge­wehr­kam­mer öff­ne­te und fest­stell­te, dass nichts vor­han­den war. Zu an­de­ren Zei­ten wan­der­ten sei­ne Ge­dan­ken selt­sa­me­re Wege. Und wäh­rend er wie ein leb­lo­ser Au­to­mat wei­ter­wank­te, nag­ten höchst merk­wür­di­ge Plä­ne und Ein­fäl­le wie Wür­mer in sei­nem Ge­hirn. Aber all die­se Aus­flü­ge aus der Wirk­lich­keit wa­ren doch nur von kur­z­er Dau­er, denn der ste­chen­de Schmerz, den der Hun­ger ver­ur­sach­te, rief ihn im­mer wie­der zu­rück. Ein­mal wur­de er von ei­nem sol­chen Aus­flug in die Welt der Fan­ta­sie ganz plötz­lich durch ein Ge­sicht zu­rück­ge­ru­fen, das ihn bei­na­he die Be­sin­nung ge­kos­tet hät­te. Er schwank­te, tau­mel­te und wank­te wie ein Be­trun­ke­ner, der sich ver­ge­bens be­müht, das Gleich­ge­wicht zu be­wah­ren. Vor ihm stand ein Pferd! Ein rich­ti­ges Pferd! Er woll­te sei­nen Au­gen nicht trau­en. Um ihn her lag ein dich­ter Ne­bel, der von flim­mern­den Licht­fle­cken ge­spren­kelt war. Er rieb sich wie ein Wil­der die Au­gen, um klar se­hen zu kön­nen – und bei Gott: Es war kein Pferd, son­dern ein großer brau­ner Bär! Das Tier be­ob­ach­te­te ihn mit krie­ge­ri­scher Neu­gier­de.

      Der Mann hat­te sein Ge­wehr schon halb an die Schul­ter ge­ho­ben, als er sich klar­mach­te, dass er ja kei­ne Pa­tro­ne dar­in hat­te. Er senk­te es wie­der und zog sein Jagd­mes­ser aus der mit Glas­per­len be­stick­ten Schei­de an sei­ner Hüf­te. Es war sehr scharf. Und es hat­te eine schar­fe Spit­ze. Er woll­te sich auf den Bä­ren stür­zen und ihn tö­ten. Aber sein Herz be­gann wie­der sein war­nen­des Po­chen: dump … dump … dump … Dann ka­men das wil­de Hüp­fen und das auf­ge­reg­te Flat­tern, der ei­ser­ne Ring, der sich um sei­ne Stirn press­te, und dann kroch das Schwin­del­ge­fühl schlei­chend durch sein Ge­hirn.

      Sein ver­zwei­fel­ter Mut wur­de von ei­ner mäch­ti­gen Woge von Angst be­siegt. Was soll­te er in sei­ner ver­damm­ten Schwä­che tun, wenn das Tier ihn an­griff? Er nahm sich zu­sam­men und stell­te sich in sei­ne im­po­san­tes­te Po­si­tur, fass­te das Mes­ser fest und starr­te den Bä­ren scharf an. Das mäch­ti­ge Tier mach­te mit plum­per Be­we­gung ei­ni­ge Schrit­te vor­wärts, stell­te sich auf die Hin­ter­bei­ne und ließ ver­suchs­wei­se ein Knur­ren hö­ren. Wenn der Mann lief, wür­de es ihm nach­lau­fen – aber er lief nicht. Jetzt war er von der Kühn­heit der Angst be­seelt. Auch er knurr­te, wild, schre­cken­er­re­gend. Und ver­lieh auf die­se Wei­se der Angst Stim­me, die dem Le­bens­wil­len so nahe ver­wandt und mit den tiefs­ten Wur­zeln des Le­bens ver­bun­den und ver­wach­sen ist.

      Der Bär ent­fern­te sich lang­sam, wäh­rend er dro­hend knurr­te, sich aber in Wirk­lich­keit selbst vor dem selt­sa­men Ge­schöpf, das so auf­recht und furcht­los da­stand, fürch­te­te. Der Mann aber rühr­te sich nicht. Wie eine Sta­tue blieb er ste­hen, bis die Ge­fahr ver­schwun­den war. Dann gab er der Schwä­che nach und sank er­schöpft und zit­ternd in das feuch­te Moos.

      Wie­der raff­te er sich auf und wan­der­te wei­ter. Aber jetzt hat­te er eine neue Art von Furcht ken­nen­ge­lernt. Es war nicht die Furcht vor dem pas­si­ven Tod des Ver­hun­gerns, son­dern die, durch äu­ße­re Ge­walt ver­nich­tet zu wer­den, ehe die Ent­beh­run­gen das letz­te Stre­ben, das den Wil­len zum Le­ben auf­recht hielt, in ihm ver­nich­tet hät­ten. Da wa­ren zum Bei­spiel die Wöl­fe. Ihr Heu­len er­scholl von al­len Sei­ten in der Ein­öde und ver­wan­del­te die Luft in eine Werk­statt der Dro­hung, der Ver­nich­tung und dunk­ler Ge­fah­ren. Und so er­füllt war die Luft von die­sen schreck­ein­flö­ßen­den Tö­nen, dass er sich selbst da­bei er­tapp­te, wie er die Arme em­por­streck­te und sich kör­per­lich da­ge­gen stemm­te, als ob es die Wand ei­nes vom Win­de um­tob­ten Zel­tes wäre.

      Wie­der und wie­der kreuz­ten die Wöl­fe in klei­nen Ru­deln von zwei oder drei Stück sei­nen Weg. Aber sie hiel­ten sich von ihm weg. Sie wa­ren nicht zahl­reich ge­nug, und au­ßer­dem jag­ten sie die Renn­tie­re, die nicht kämpf­ten, wäh­rend sie nie wis­sen konn­ten, ob die­ses selt­sa­me Ge­schöpf, das auf zwei Bei­nen auf­recht her­um­lief, nicht viel­leicht doch kratz­te oder biss.

      Im Lau­fe des spä­ten Nach­mit­tags kam er an eine Stel­le, wo ab­ge­nag­te Kno­chen ver­rie­ten, dass die Wöl­fe ein Tier ge­tö­tet hat­ten. Es war, wie er aus den Über­res­ten fest­stell­te, ein Renn­tier­kalb, das noch vor ei­ner Stun­de mun­ter her­um­ge­lau­fen und äu­ßerst le­ben­dig ge­we­sen war. Er be­trach­te­te die Kno­chen, die so sau­ber ab­ge­nagt wa­ren, als ob man sie ge­wa­schen und po­liert hät­te, und die noch einen ro­si­gen Ton zeig­ten, weil das Le­ben, das in ih­ren Zel­len ge­wirkt hat­te, noch nicht end­gül­tig er­lo­schen war. Konn­te es ge­sche­hen, dass, ehe der Tag zu Ende ge­gan­gen, von ihm selbst nichts wei­ter üb­rig war? So war das Le­ben ja. Ein eit­les und flüch­ti­ges Et­was. Und nur das Le­ben war eine Qual. Der Tod hat­te kei­ne Sta­cheln. Der Tod war nur Schlaf. Er be­deu­te­te Auf­hö­ren. Ruhe. Frie­den. Wa­rum in al­ler Welt woll­te er da nicht ger­ne ster­ben?

      Aber er mo­ra­li­sier­te nicht all­zu­lan­ge. Er hock­te im Moos und be­gann an den Res­ten vom Le­ben zu sau­gen, die noch von dem zar­ten Rosa der le­ben­di­gen Kraft ge­tönt wa­ren. Der süße Ge­schmack vom Fleisch, der nur lei­se und un­wirk­lich wie eine Erin­ne­rung war, mach­te ihn voll­kom­men ver­rückt. Sei­ne Kie­fer um­schlos­sen die Kno­chen und kau­ten drauf­los. Zu­wei­len wa­ren es die Kno­chen, bis­wei­len aber auch sei­ne Zäh­ne, die zer­spran­gen. Dann zer­malm­te er die Kno­chen zwi­schen zwei Stei­nen, mahl­te sie zu ei­nem Brei, den er schluck­te. Hin und wie­der quetsch­te er sich bei der Eile auch die Fin­ger, und doch fand er einen Au­gen­blick Zeit, dar­über zu stau­nen, dass es nicht be­son­ders weht­at, wenn er die Fin­ger ver­se­hent­lich mit dem schwe­ren Stein traf.

      Es ka­men schreck­li­che Tage mit Schnee und Re­gen. Er wuss­te gar nicht mehr, wann er la­ger­te und wann er wie­der auf­brach. Er wan­der­te eben­so oft nachts wie am Tage. Er blieb lie­gen, wo er zu­fäl­lig um­fiel, und kroch wei­ter, so­bald der ster­ben­de Le­bens­wil­le in ihm auf­fla­cker­te und ein we­nig kla­rer brann­te. Als Ein­zel­we­sen kämpf­te er über­haupt nicht mehr. Es war das Le­ben selbst in ihm, das ihn vor­wärts trieb. Er litt nicht mehr. Sei­ne Ner­ven wa­ren ab­ge­stumpft und un­emp­find­lich ge­wor­den. Aber sei­ne See­le wur­de von wun­der­ba­ren Vi­sio­nen und herr­li­chen Träu­men er­füllt.

      Und die gan­ze Zeit ging er und sog und nag­te an den zer­split­ter­ten Kno­chen des Renn­tiers, denn er hat­te die letz­ten elen­den Res­te auf­ge­sam­melt