Джек Лондон

Gesammelte Werke


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Sie her, Fräu­lein! Ent­schul­di­gen Sie, ich mei­ne na­tür­lich, den letz­ten Bis­sen Brot geb’ ich für Sie.«

      »Dan­ke«, sag­te sie. »Das kam von Her­zen. Das hört man gleich.«

      Er hielt einen Au­gen­blick mit Ru­dern inne und fisch­te aus dem Was­ser zu sei­nen Fü­ßen eine alte Kon­ser­ven­do­se her­vor.

      »Schöp­fen Sie lie­ber!« be­fahl er und warf ihr die Dose zu. »Leck war die Kis­te schon vor­her, aber vor­hin hat sie noch eins ab­be­kom­men.«

      Fro­na mach­te sich ge­hor­sam an die Ar­beit. So oft sie sich bück­te, ho­ben und senk­ten sich die Ber­ge mit ih­ren Glet­schern am Ho­ri­zont. Hin und wie­der ruh­te sie aus und sah nach dem von Men­schen wim­meln­den Strand, auf den sie zu­steu­er­ten, und dann wie­der auf die Bucht, in der an zwei Dut­zend große Damp­fer an­ker­ten. Von je­dem die­ser Schif­fe ging ein Strom von Leich­tern, Käh­nen, Ka­nus hin und her zum Lan­de. Sie dach­te an die Hör­sä­le, in de­nen sie vor ein paar Wo­chen noch zu Fü­ßen ih­rer Leh­rer ge­ses­sen hat­te. Die­se Welt hier war ihr lie­ber … vor der hat­te sie Re­spekt.

      »Aber Sie ha­ben mir Ihren Na­men noch nicht ge­sagt«, mahn­te Bi­shop höf­lich.

      »Ich hei­ße Wel­se«, ant­wor­te­te sie. »Fro­na Wel­se.«

      Sein Mund stand of­fen, er starr­te sie an: »Dann ist ja … Ja­cob Wel­se … Ihr al­ter Herr?«

      »Ja­wohl, wenn Sie nichts da­ge­gen ha­ben.«

      Er spitz­te die Lip­pen, stieß einen Pfiff aus und ließ die Rie­men glei­ten. »Klet­tern Sie in den Stern und zie­hen Sie die Bei­ne hoch!« be­fahl er. »Ge­ben Sie mir die Dose.«

      »Ar­bei­te ich denn nicht or­dent­lich?«

      »Doch, sehr gut so­gar. Aber Sie sind … Sie sind …«

      »Genau das­sel­be, was ich vor­her war. Ru­dern Sie wei­ter … das ist Ihre Ar­beit, und mei­ne be­sor­ge ich.«

      »Alle Ach­tung, Sie wer­den’s schaf­fen«, mur­mel­te Bi­shop und beug­te sich wie­der über die Rie­men. »Ja­cob Wel­se ist Ihr al­ter Herr! Don­ner­wet­ter, das hät­te man wis­sen sol­len!«

      Auf der san­di­gen Land­zun­ge, im Ge­wim­mel ge­schäf­ti­ger Men­schen, die wie Amei­sen hin und her ihre Las­ten tru­gen, schüt­tel­te sie dem Fähr­mann die Hand.

      Er war sehr stolz. »Nicht ver­ges­sen, Fräu­lein, mein letz­ter Bis­sen Brot ge­hört Ih­nen.«

      »Und Ihr letz­tes Hemd auch! Ver­ges­sen Sie das nicht.«

      »Ganz be­stimmt!«

      Als sie da­von­ge­gan­gen war, sah er ganz ent­rückt sei­ne Hand an, die sie ge­drückt hat­te.

      »Das ist ein Mä­del … Don­ner­wet­ter!«

      *

      Das Trip­peln auf städ­ti­schem Pflas­ter hat­te ihre Füße nicht ver­dor­ben. Im Au­gen­blick fand sie hier auf hei­mi­schem Strand die leich­ten, lan­gen Wan­der­schrit­te wie­der, die an­de­re mit viel Mühe ler­nen müs­sen. Mehr als ein Gold­grä­ber sah mit der­sel­ben Be­wun­de­rung wie Bi­shop auf ihre lan­gen, elas­ti­schen Bei­ne, aber die meis­ten blick­ten ihr ins Ge­sicht und freu­ten sich über den of­fe­nen, ka­me­rad­schaft­li­chen Blick ih­rer Au­gen. Wenn ei­ner sie an­lä­chel­te, lä­chel­te sie zu­rück, er­mun­ternd, hei­ter, mit­füh­lend, je nach­dem, aber im­mer ka­me­rad­schaft­lich.

      Für sie schi­en die Zeit rück­wärts ge­rollt, auf ein­mal war sie wie­der in je­nes Mit­tel­al­ter zu­rück­ver­setzt, in dem sie her­an­ge­wach­sen, in dem es kei­ne Bah­nen und Au­to­mo­bi­le, nur Kar­ren und brei­te Bücken als Ver­kehrs­mit­tel gab. Män­ner, de­nen man an­sah, dass sie bis­her nur mit der Ak­ten­map­pe un­term Arm spa­ziert wa­ren, beug­ten sich un­ter schwe­ren Las­ten. Ihre Bei­ne be­weg­ten sich schwer und stol­pernd, sie wa­ren die­se An­stren­gung nicht ge­wöhnt, und ihre Ge­sich­ter perl­ten von Schweiß. An­de­re lu­den ihr Ge­päck mit stil­lem Tri­umph auf vier­räd­ri­ge Kar­ren und scho­ben los, aber sie blie­ben ste­cken, wo der ers­te große Stein ih­nen den Weg ver­sperr­te. Nach et­li­chem Kampf füg­ten sie sich dann den für Rei­sen in Alas­ka gel­ten­den Grund­sät­zen, lie­ßen den Kar­ren ste­hen oder zo­gen ihn an den Strand zu­rück, um ihn zu ei­nem fa­bel­haf­ten Preis an die Chechaquos zu ver­kau­fen, die noch spä­ter als sie ge­lan­det wa­ren. Neu­lin­ge wan­der­ten mit zehn­pfün­di­gen Colt-Re­vol­vern, Pa­tro­nen­gür­teln und Jagd­mes­sern drauf­los, aber bald merk­ten sie, wie un­nütz die­se Mord­ge­päck­stücke wa­ren. Re­vol­ver, Pa­tro­nen und Mes­ser gar­nier­ten ihre Spur.

      Hier, an die­sem Strand, den da­mals noch kein Strom gold­gie­ri­ger Män­ner durch­flu­tet hat­te, war Fro­na Kind ge­we­sen. Hier hat­te sie im Gra­se ge­spielt und er­schau­ernd ge­hört, wie das Echo ihre Stim­me von Glet­scher zu Glet­scher trug und wi­der­hall­te. Über die­ses Gras stapf­ten jetzt zehn­tau­send Män­ner rast­los hin und her. Zehn­tau­send an­de­re wa­ren un­ter­wegs über den Chil­coot. Aber­mals Zehn­tau­send hat­ten die Päs­se schon über­wun­den und mar­schier­ten zu die­ser Stun­de die Gold­fel­der an.

      Die Dyea stürz­te sich, wie in al­ten Ta­gen, rau­schend und to­send ins Meer, aber an ih­ren Ufern quäl­ten sich Män­ner in wo­gen­den Rei­hen an Tau­en und Rie­men, schlepp­ten schwer be­la­de­ne Boo­te her­an und lösch­ten die Fracht.

      Die Tür zu dem La­den, in dem einst Bi­ber­fän­ger oder Pelz­händ­ler ihre be­schei­de­nen Ein­käu­fe ge­macht hat­ten, war jetzt von ei­ner lär­men­den Schar von Kun­den ver­sperrt. Wo einst ein ein­sa­mer Brief Mo­na­te und Jah­re dar­auf ge­war­tet hat­te, ab­ge­holt zu wer­den, sah Fro­na jetzt die Post in Hau­fen lie­gen. Auf­ge­reg­te Leu­te schri­en nach ih­rer Kor­re­spon­denz. Auch die Waa­ge vor der The­ke war um­la­gert. Ein In­dia­ner warf sei­nen Pa­cken auf das Wie­ge­brett, ein wei­ßer Be­am­ter krit­zel­te das Ge­wicht in sein No­tiz­buch, ein neu­er Pa­cken flog her­an, ver­schnürt und be­reit, auf dem Rücken ei­nes Man­nes über den Chil­coot zu rei­sen.

      Zu Fro­nas Zei­ten war hin und wie­der ein­mal das Ge­päck ei­nes Gold­grä­bers oder Händ­lers für sechs Cent das Kilo über den Chil­coot trans­por­tiert wor­den. Der Chechaquo, des­sen Ge­päck ge­ra­de ab­ge­wo­gen wur­de, sah trau­rig in sei­ne Brief­ta­sche.

      »Acht Cent«, bot er dem In­dia­ner.

      Gro­ßes Hohn­la­chen.

      »Vier­zig Cent«, ver­lang­te die Rot­haut.

      Der Mann sah sich ängst­lich um, mit tief­trau­ri­gem Ge­sicht. Er las das Mit­ge­fühl in Fro­nas Au­gen und starr­te sie an.

      »Stel­len Sie sich vor, Fräu­lein, drei Ton­nen Ge­päck hab’ ich und soll vier­zig Dol­lar für hun­dert Pfund be­zah­len! Das sind 2400 Dol­lar für drei­ßig Mei­len!« schrie er ganz ver­zwei­felt. »Was soll ich tun?«

      Fro­na riet ihm: »Be­zah­len Sie die vier­zig Cent, sonst schmei­ßen sie Ih­nen den gan­zen Kram vor die Füße.«

      Der Mann sag­te: »Dan­ke, Fräu­lein«, be­folg­te aber ih­ren Rat nicht, son­dern fing wie­der an zu han­deln. Der ers­te In­dia­ner trat vor und streif­te sich, ohne ein Wort zu sa­gen, die Tra­g­rie­men ab. Als der Gold­su­cher sich eben ent­schlos­sen hat­te nach­zu­ge­ben, er­höh­ten die Last­trä­ger ih­ren Preis