umzukleiden. Als er damit fertig war, ging er nach dem Kinderzimmer hinüber, um Abschied von seiner kleinen Tochter zu nehmen. Es war die erste längere Trennung von seinem Kinde, und sie fiel ihm bitter schwer. Man hatte die Kleine schon zu Bett gebracht. Allein sie dachte nicht daran, einzuschlafen, sondern schluchzte jämmerlich und wollte durchaus zu ihrer Mutti.
»Die Mutti, die Mutti soll kommen!« beharrte das kleine Mädchen eigensinnig und schob Edna, die sich besorgt über sie beugte, heftig zurück.
»Und warum laßt ihr das Kind so bitterlich weinen?« fragte Edna verständnislos. »Warum holst du Gerswint nicht, Swen? Sie ist doch schon fertig angekleidet.«
»Ich wollte sie nicht belästigen.«
»Na, hör einmal, Swen, das ist doch nun wirklich übertriebene Rücksichtnahme«, versetzte sie unwillig und eilte davon, um schon einige Minuten später mit Mutter und Schwester zurückzukehren.
»Mutti, liebe Mutti«, stammelte Ilsetraut, müde und erschöpft von dem heißen Weinen und streckte der jungen Frau die kleinen Arme entgegen. »Du sollst doch nicht wegfahren, du bleibst wieder so lange wie damals. Wozu habe ich denn jetzt eine Mutti, wenn sie immer wegfährt und mich allein läßt!«
»Ich komme bald wieder, Ilsetraut«, versprach Gerswint und trocknete die Tränen von dem verweinten Kindergesicht. »Wenn du mir verspricht, nicht mehr zu weinen und dich brav hinzulegen, dann erzähle ich dir auch etwas Schönes.«
Damit legte sie das Kind in die Kissen zurück und sprach leise auf die Kleine ein. Erzählte, daß sie bald wiederkäme, daß sie der braven kleinen Ilsetraut auch etwas ganz Wunderschönes mitbringen werde und daß sie dann nie wieder von ihr ginge.
Zuerst fragte das Kind noch mißtrauisch dazwischen, dann wurden die Fragen immer seltener und verworrener, die Kinderaugen verschleierten sich und fielen schließlich zu. An den tiefen Atemzügen merkte Gerswint, daß die Kleine fest schlief. Sie verharrte noch einige Minuten und löste dann vorsichtig die Hände aus den festhaltenden Kinderpatschen.
»Ich glaube, daß wir jetzt gehen können«, sagte sie lächelnd zu den Umstehenden. Der Vater warf noch einen zärtlichen Blick auf das festschlafende Kind. Dann schärfte er der Erzieherin und Barbe eindringlich ein, gut auf die Kleine zu achten, drückte dem Fräulein abschiednehmend die Hand, streichelte die Wange der alten Barbe, küßte Elke, die ihn schmeichelnd umhalste, tätschelte den großen Kopf des Hundes und eilte dann erst den andern nach, die das Zimmer bereits verlassen hatten. Er ging in die Räume seiner jungen Gattin, wo er sie allein antraf.
»Gerswint, ich danke dir«, sagte er herzlich und zog ihre Hände an die Lippen. »Es wäre ungemein beunruhigend für mich gewesen, das Kind in so jammervoller Verfassung zurückzulassen.«
»Ich verstehe nur nicht, warum du mich nicht schon früher riefest«, sagte sie befremdet.
»Ich hatte ja keine Ahnung, daß du mit dem Kinde so gut fertig werden würdest«, gab er verlegen zurück. »Du hast doch nie mit Kindern Umgang gehabt, und Ilsetraut ist besonders schwer zu behandeln.«
»Wenn man den richtigen Ton für sie findet, dann ist sie es gar nicht«, widersprach die Gattin lächelnd.
»Ich wundere mich ja auch sehr darüber, daß du mit ihr so gut umgehen kannst«, verriet er ihr. »Nie hätte ich dir das zugetraut. Ich habe immer angenommen, Kinder wären dir lästig.«
»Du bist ja sehr aufrichtig, Swen«, meinte sie mit einem rätselhaften Lächeln. »Aber besser so als anders. Ich glaube, du hast zuviel Schauergeschichten von bösen Stiefmüttern gehört und gelesen.«
»Und ich glaube, ich habe dir bitter unrecht getan.«
»Nicht zu früh das eingestehen«, winkte sie mit einem reizenden Lächeln ab. Er starrte sie wie verzaubert an und streckte die Hände nach ihr aus.
Doch da trat sie mit einem hastigen Schritt zurück.
»Komm, Swen, das Auto ist schon längst vorgefahren«, mahnte sie gelassen. Er fuhr wie aus tiefer Versunkenheit auf und fuhr sich ruckartig über Stirn und Augen.
Es gab nun noch einen kurzen, herzlichen Abschied von Mutter und Geschwistern, dann fuhr das junge Paar im Auto davon, während im Schloß die Feier weiterging.
*
»Die wären also gut untergebracht«, bemerkte Bolko, der mit der Mama und Edna in die Festräume zurückkehrte, die von frohen, lachenden Menschen erfüllt waren.
Sein Blick ging über die zahlreichen Gäste, bis er an einer Gestalt im weißen Spitzenkleide haften blieb.
»Wie gefällt dir Ellen?« fragte er die heute ganz besonders reizende Edna, die ihn zuerst verblüfft ansah und dann verstehend lächelte.
»Wenn ich ›schlecht‹ sage, dann verprügelst du mich unter Garantie«, neckte sie ihn. »Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mit ›gut‹ zu antworten. Nur zu blaß ist sie für meinen Geschmack, zu blaß und zu traurig. Sorge dafür, daß die bleichen Wangen sich röten, daß die verschleierten Augen leuchten; ich glaube, dann könnte man Ellen als bildschön bezeichnen.«
»Soll gemacht werden, Schwesterlein«, nickte er ihr herzlich zu und bahnte sich durch die tanzenden Paare einen Weg zu Ellen hin, die im Kreise ihrer Eltern und einiger anderer ältlicher Herrschaften saß und mit todtraurigen Augen in das frohe Treiben rings umher blickte. Er verbeugte sich vor ihr und bat um einen Tanz, und es schien einen Augenblick, als wolle sie dankend ablehnen. Dann jedoch erhob sie sich und ging mit ihm. Zuckte heftig zusammen, als sein Arm sie umschlang, und lehnte sich so weit zurück, wie es nur eben anging.
Eine Weile ließ er es auch ruhig geschehen; dann zog er sie jedoch mit einem Ruck an sich und hielt sie mit stählernem Arm fest an sich gedrückt.
»Herr von Hellersen, was fällt Ihnen ein? Sofort lassen Sie mich los!« sagte sie empört. Doch er lachte sie nur aus und hielt sie unerbittlich fest.
»Liebe, kleine, dumme Frau«, sagte er zärtlich. »Ihr Sträuben nützt Ihnen gar nichts. Halten Sie lieber fein still. Es ist der Arm eines arbeitsgewohnten jungen Mannes, der Sie hält. Und der gibt nicht heraus, was er halten will.«
Da gab sie endlich nach, weil sie kein Aufsehen erregen wollte. Hielt die Augen beharrlich gesenkt und sah daher nicht das spitzbübische Lachen in seinem Gesicht. Merkte auch nicht, wie er sie allmählich aus der Reihe der Tanzenden führte; sie wurde erst aufmerksam, als die Musik schwächer und immer schwächer zu ihnen herüberklang. Und als sie nun erschrocken aufsah, da erst bemerkte sie, daß er mit ihr aus dem Saal getanzt war.
»Herr von Hellersen, ich verbitte mir das!«
Er lachte jedoch immer übermütiger, wirbelte mit ihr im wahren Eiltempo davon, bis sie weit genug von der Gesellschaft entfernt waren. Dann hob er sie kurz entschlossen auf seine Arme und stürmte mit ihr davon.
In einem Zimmer, in dem die Musik nur noch ganz gedämpft zu hören war, ließ er sich in einen Sessel sinken, ohne sie aus den Armen zu lassen, und verschloß ihr mit seinen Lippen den Mund. Küßte sie so lange, bis sie einsah, daß ihr alle Empörung nichts nützen würde und sie ruhig in seinen Armen lag.
»Siehst du, warum nicht gleich so?« lachte er glückselig. »Anders ist dir mißtrauischem, kleinem Wesen ja doch nicht beizukommen; man muß dich einfach überrumpeln. Nun sage noch: ›Lieber Bolko, ich habe dich ganz schrecklich lieb und will sehr bald deine Frau werden‹, dann bin ich ganz sittsam und vernünftig.
Aber, was hast du denn, Liebstes?« fragte er erschrocken, als sie heiß aufweinte. »Bist du mir so böse? Sprich doch endlich, quäle mich doch nicht unnötig!«
Da hob sie den Kopf und schmiegte ihre Wange an die seine.
»Ich kann doch deine Frau nicht werden, Bolko!« sagte sie so traurig, daß es ihm ins Herz schnitt. »Schau, ich bin doch eine geschiedene Frau und…«
»Und ein großes Dummerchen«, unterbrach er sie aufatmend. »Was kannst du dafür, daß du an einen gewissenlosen Lumpen herangeraten mußtest?«