Ludwig Ganghofer

Der Klosterjaeger


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finsteren Zug; es war männlich ernst und dennoch milde.

      Herr Schluttemann verbeugte sich; denn dieser Priester vor ihm, das war Herr Heinrich von Inzing, der Propst zu Berchtesgaden.

      „Reverendissime!“ sagte Herr Schluttemann und verbeugte sich abermals. „Kein Ende, Reverendissime, kein Ende mit Zorn und Ärger! Die Luft könnte einem ausgehen vor Gift und Galle! Da ist wieder so eine Dirn —“

      „Ich habe selbst gehört!“ fiel Herr Heinrich ein, winkte den Vogt zu sich in die Fensternische und sagte in fließendem Latein: „Mich dünkt, Ihr seid zu rauh mit den Leuten, Herr Vogt. Seht das arme Ding nur an, es gibt keinen Tropfen Blut und zittert am ganzen Leibe.“

      Das rote Gesicht des Herrn Schluttemann schwoll wie der Kamm eines gereizten Gockels. „Bitte in aller Weisheit zu bedenken, Reverendissime,“ sagte er in einem Latein, bei dessen bedenklichem Klang Herr Heinrich nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückte, „bitte zu bedenken, daß man den Leuten die Fuchtel zeigen muß. Sonst ist man verloren und betrogen alle Stund.“

      „Auch ich liebe die falsche Milde nicht. Aber auch Strenge muß geübt werden mit Maß und Ziel.“ Herr Heinrich musterte Gittli mit ruhigem Blick. Sie erbebte vor dem Glanz dieser Augen wie Espenlaub, duckte sich und zog den Kopf zwischen die Schultern, als möchte sie sich so klein machen wie ein Mäuschen. Herr Schluttemann wollte sprechen, der Propst aber winkte ihm zu schweigen und sagte, immer noch in lateinischer Sprache: „Der Bruder dieses Mädchens ist der Sudmann Wolfratus? Ich kenne den Mann, er hat ein furchtloses, mutiges Herz. Als wir das letzte Mal unter den Wänden des Wazmann jagten, holte er einen weidwunden Steinbock aus der schwindelnden Wand herunter, die kein anderer zu betreten wagte. Forschet nach, Herr Vogt, ob das Mädchen die Wahrheit gesprochen hat! Trifft den Mann kein Verschulden, dann soll ihm das Lehent erlassen sein für dieses Jahr. Höret Ihr aber, daß dieser Wolfratus ein Säufer ist, oder ein Würfelspieler, dann büßet ihn mit aller Strenge! Und jetzt schicket das Mädchen heim und lasset den Jäger kommen.“ Herr Heinrich wandte sich zum Fenster, von dem aus man einen herrlichen Blick genoß über Tal und Berge.

      Zitternd und bangend war Gittli die ganze Zeit gestanden; der Klang der fremden Sprache hatte sie noch mehr verwirrt, noch ängstlicher gemacht; ihr furchtsam lauschendes Ohr hatte unter den ihr unverständlichen Lauten zweimal den Namen ihres Bruders aufgefangen, und nach den bärbeißigen Drohungen, die Herr Schluttemann ausgestoßen, glaubte nun das arme Ding nicht anders, als daß mit der lateinischen Zwiesprach ihres Bruders Schicksal und Strafe beredet worden und beschlossen wäre: zahlen, oder das Lehen verlieren und verjagt werden von Haus und Hof. Ihre Augen wurden heiß, aber sie konnte nicht mehr weinen; an ihrer Kehle würgte die Angst, und ihr war, als stünde sie versteinert am ganzen Leib und vermöchte keinen Finger mehr zu rühren. Sie wich auch keinen Schritt zurück, als Herr Schluttemann blasend, mit dunkelrotem Gesicht und rollenden Augen auf sie zugeschossen kam; nur ihre tränenfeuchten Lider öffneten sich noch weiter, und ihre Lippen zuckten.

      „Marsch jetzt, fort mit dir!“ knurrte der Vogt, der sich trotz der Vermahnung, die ihm geworden, von seiner Würde nichts vergeben wollte. „Und sage deinem Bruder, wenn er nicht kommt am Ostermontag, dann schick ich die Knechte!“ Da sich Gittli noch immer nicht rührte, versetzte ihr Herr Schluttemann einen gelinden, durchaus nicht ernst gemeinten Puff; sie zuckte aber doch zusammen, als wäre das Richtschwert über ihrem Scheitel geschwungen worden. Wortlos wandte sie sich und schlich zur Türe, Schritt um Schritt. Dieser Abschied währte Herrn Schluttemann zu lang, er faßte Gittli am Arm, schob sie hurtig vor sich her, und da die lateinische Lektion, die er empfangen, sein Wohlwollen für den Sudmann Wolfratus gerade nicht gemehrt hatte, so konnte er sich nicht enthalten, dem Mädchen noch ins Ohr zu brummen: „Und sag ihm nur, daß ich einstweilen meinen Stecken in Salzwasser legen will, damit er besser pfeift. Huitt!“ Das war nun freilich wieder nicht gar so schreckhaft gemeint; denn in Wahrheit hatte Herr Schluttemann bis zur Stunde noch kein lebendiges Wesen geprügelt, nur Tote: nämlich die ‚Schwarzreiter‘, die geräucherten Saiblinge, die geklopft werden mußten, bevor man ihnen die rauchgeschwärzte Haut vom rosigen Fleische zog.

      Aber Gittli sah und hörte mit den Augen und Ohren eines Kindes, und was sie sah, war trostlose Finsternis. Noch ein Puff, und sie stand vor der Tür.

      Haymo, der draußen gelauert hatte, wie der Teckel vor dem Dachsbau, trat ihr hastig entgegen. „Bist du schon fertig, Gittli? Und hast du —“ Da sah er ihr verstörtes, tränennasses Gesicht und ihre kummervollen Augen. Das ging ihm ins Herz wie ein Messerstich. „Gittli? Was ist dir?“

      Sie schüttelte traurig den Kopf und entwand sich seinen Händen.

      „Gittli!“ stammelte er und wollte ihr nacheilen; aber da klang aus der Amtsstube die Stimme des Vogtes: „Haymo! Wo steckst du denn? Herr Heinrich wartet.“

       Inhaltsverzeichnis

      Als Gittli ins Freie kam, tat ihr der helle Glanz der Sonne in den Augen weh. Und so müde war sie, so zerschlagen an allen Gliedern, daß sie sich eine Weile an die Mauer lehnen mußte. Dann raffte sie sich auf, trocknete das nasse Gesicht mit den Armen und floh wie ein gescheuchtes Reh über den Marktplatz, den Klosterberg hinunter und dem Sudhaus entgegen. Hier blieb sie stehen und besann sich. Nein! Weshalb es dem Bruder jetzt schon sagen? Sie wollte ihm den Kummer ersparen bis zum Abend; er erfuhr noch immer früh genug, was ihm drohte.