Ludwig Ganghofer

Der Klosterjaeger


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Wohl verschwand er immer wieder zwischen Büschen und hinter Bäumen. Aber sie hatte ihn von weitem schon erkannt. Jetzt trat er auf den freien Weg heraus, und nun mußte das Wort gesprochen werden. Sie preßte die Hände auf die beklommene Brust, faßte sich ein Herz und versteckte sich hinter dem Holzstoß. Hier stand sie, zitternd an allen Gliedern, lugte nur ein wenig zwischen den Ästen hindurch und sah, wie Haymo langsam den Hag entlang ging; jetzt blieb er stehen und spähte nach jedem Fenster, in alle Winkel des Gartens. Und da kam es Gittli vor, als wäre sein Gesicht bekümmert und ernst. Sie sah noch, wie er verdrossen den Kopf schüttelte; dann kehrte er sich ab, schulterte den Bergstock und wanderte weiter. Hinter den Stämmen der Linden und Ulmen, welche die Straße geleiteten, verschwand er.

      Zögernd trat Gittli hinter dem Holzstoß hervor. Ihr war, sie wußte nicht wie — ähnlich vielleicht, wie dem Lippele zu Mut gewesen war, als Gittli zu ihm gesagt hatte: ‚Lippele, wie schaust du aus!‘ Was hatte sie nur getan! Den Bruder verkauft und verraten, wo es sie nur ein Wort gekostet hätte, ihn zu retten! Sie hatte die gute Stunde verpaßt. Weshalb nur, weshalb? Der Atem versagte ihr, und sie meinte fast zu ersticken. Wer sollte dem Bruder jetzt noch helfen? Haymo stieg zu Berge. Wann würde sie ihn wieder sehen? Lange, lange nicht! Es sei denn, daß sie selbst zu ihm hinaufstiege in die Röt. Am Ostersonntag! Weshalb aber so lange warten? Jetzt gleich! Haymo war noch nicht gar so weit, sie hätte ihn bald mit ihren flinken Füßen eingeholt! Ein paar Schritte flog sie dahin, dann wieder blieb sie stehen, zitternd, schlug die Hände vor das Gesicht und warf sich schluchzend über das dürre Holz.

      Gar weit konnte Haymo noch nicht sein; so hatte Gittli gedacht. Wie nah er war, das ahnte sie doch nicht. Denn als er am Hag des benachbarten Gartens vorüberschritt, mit sinnenden Augen vor sich hinblickend, flog ihm ein kleiner Strauß von Primeln mitten auf die Brust. Betroffen blieb er stehen, schaute verdutzt auf die zur Erde gefallenen Blumen nieder und sandte einen spähenden Blick in die Hecke, aus der sie hervorgeflogen waren. Hinter den mit zarten, blaßgrünen Blättern bedeckten Zweigen schimmerte es rot und ein leises Kichern schlug an das Ohr des Jägers.

      Haymos Augen blitzten freudig auf, rasch hob er den Strauß von der Erde, steckte ihn neben der Adlerfeder auf die Kappe, sprang auf die Hecke zu und teilte lachend mit beiden Armen das Gezweig.

      Vor ihm auf der Erde kauerte ein junges, dralles Mädel, das hübsche, aber ländlich derbe Gesicht umrahmt von dicken, blonden Flechten. Kichernd und mit zutunlichen Augen blickte sie zu Haymo auf, streckte aber abwehrend die Hände gegen ihn, als wäre sie eines lustigen Überfalles gewärtig.

      Haymo schien für die Gunst der Gelegenheit kein Auge zu haben. Die Wahrnehmung, daß der rote Schimmer von einem mit silbernem Kettchen umschnürten Mieder herrühre und nicht von einem gewissen Röckl, mochte ihm nicht sonderlich willkommen sein. Die ratlose Miene, die er zeigte, schien das Mädel halb zu ärgern, halb zu ergötzen. Sie richtete sich auf, verschränkte die Arme und lachte ihm ins Gesicht.

      „Hast du den Buschen geworfen?“ fragte er.

      Sie lachte nur und zeigte die weißen Zähne; doch als er sich ohne Gruß von ihr wenden wollte, sagte sie hastig: „So eine Frag! Wenn der Buschen nit fliegen kann von selber, wird ihn wohl eine geworfen haben, die nit weit ist.“

      „So weit vielleicht, wie du von mir?“

      Sie zuckte die Schultern und trat dicht an die Hecke heran.

      Haymo maß das Mädel mit verwunderten Augen. „Du mußt aber nit viel Arbeit haben!“

      „Warum?“

      „Ich mein’ halt, daß du den ganzen Tag dazu brauchen mußt, bis du so viel Blümlen findest, daß du jedem, der da vorbeigeht, einen Buschen an den Kopf werfen kannst.“

      „An den Kopf?“ lächelte sie. „Ich mein’, er wär ein bißl tiefer geflogen. Und es könnt auch sein, daß ich nit für jeden einen Buschen hab.“

      „So?“

      „Ja!“ Sie streckte den Arm über die Hecke und faßte wie in Neugier den Kolben der Armbrust. „Ein schönes Schießzeug hast du! Bist wohl auch ein guter Schütz?“

      „Kann schon sein!“ meinte er und trat einen Schritt zurück.

      „Aber manchmal trifft auch eine Dirn mitten hin auf den richtigen Fleck und braucht keinen Bolzen dazu.“

      „So?“

      „Sooo? Sooo?“ spottete sie, während unverhehlter Ärger um ihre Brauen zuckte. „Sind bei dir die Wörtlen allweil so kostspielig?“

      Jetzt mußte Haymo lachen. „Gott bewahr! Nur in der Karwoch, weißt, in der größten Fasten.“

      „Sparst sie dir halt auf für den Feiertag, gelt? Freilich, beim Ostertanz kann sie einer brauchen, die vielen Wörtlen. Und die lang aufgehobenen, das sind die besten.“ Sie blitzte ihn mit ihren kecken Augen an. „Kommst du auch gewiß zum Tanz?“

      „Wenn ich wissen tät, daß die richtige Tänzerin kommt.“ Haymos Blicke spähten seitwärts durch die Bäume.

      „Sie kommt schon, brauchst dich nit sorgen drum!“

      „Meinst?“ fragte Haymo rasch; dann schüttelte er den Kopf. „Wie kannst du denn wissen —“

      „Sie hat mir’s selber gesagt,“ erwiderte das Mädel mit scherzender Wichtigkeit, „sie hat ja nit gar so weit zu mir!“

      Das stimmte; denn wenn ihn der Bub, den er auf der Achenbrücke mit der Frage nach dem Haus des Sudmanns angehalten, nicht irrgewiesen hatte, dann wohnte Gittli dort drüben unter dem nachbarlichen Dach.

      In freudiger Bewegung faßte Haymo die Hand des Mädels. „Sie hat es dir selber gesagt? Dann sag ihr wieder, daß ich komm! Ganz gewiß! Und dank schön für die Botschaft!“

      „Zenza! Zenza!“ rief von dem stattlichen Bauernhause her eine ungeduldige Stimme.

      „Ich komm schon!“ Und flüsternd wandte sich das Mädel wieder zu Haymo. „Mußt ihr aber auch einen Buschen bringen zum Feiertag!“

      „Den schönsten, den ich find. Schneerosen!“

      Sie schüttelte lachend den Kopf. „Die mag ich nit. Die sind mir alles zu kalt. Mußt schon wärmere suchen für mich! Und steck mir den Buschen vor Tag an das Kammerfenster! Dann trag ich ihn auf dem Kirchgang. Schau hinüber, das zweite Fenster neben der Tür!“

      „Zenza! Zenza!“ rief’s wieder vom Hause her.

      „Ich komm schon!“ Kichernd sprang sie davon, auf halbem Wege noch einmal zurückwinkend mit der Hand.

      Haymo machte ein paar Augen, als wäre das Blaue vom Himmel gefallen und ihm gerade auf den Kopf. „So? So meinst du’s?“ brummte er. Dann lachte er auf und ging mit eiligen Schritten seines Weges weiter. Als die Straße zwischen Bäumen und Strauchwerk an das Ufer der Ache lenkte, hörte Haymo hinter sich die singende Stimme des Mädels:

      „Ich weiß mir ein’ hübschen grünen Wald,

      Dort laufen drei Hirschlen wohlgestalt,

      Dort laufen drei Hirschlen hübsch und fein,

      Die freuen dem Jäger sein Herzelein.“

      Lauschend blieb Haymo stehen, und die Stimme sang weiter:

      „Ich weiß mir ein’ hübschen grünen Wald,

      Dort laufen drei Rehlen wohlgestalt,

      Eins schwarz und eins braun, eins geel wie Gold,

      Möcht wissen, welches der Jäger wollt!“

      „Ich könnt’s dir schon sagen. Wenn ich nur möcht!“ lachte Haymo vor sich hin und wollte sich zum Gehen wenden. „Jetzt hätt ich aber bald vergessen —“

      Er nahm die Kappe vom Kopf, riß den Primelnstrauß herunter und warf ihn flink in den Seebach, dessen tanzende Wellen ihn verschlangen, wie ein springender Ferch