Ludwig Ganghofer

Der Klosterjaeger


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Gatter öffnete, wurde der große Kummer, der sie bedrückte, gemildert und verdrängt durch die Sorge im kleinen. Forschend schaute sie umher; hier schien alles in Ordnung; die sieben Hennen stolzierten über den Rasen, scharrten glucksend in den Maulwurfshügeln und schüttelten das Gefieder in der Sonne; friedlich grasten die beiden Ziegen im Bogen um die Bäume, an die sie mit langen Stricken gebunden waren. Jetzt gewahrte Gittli im Gras ein ploderndes Hemdlein, aus dem zwei schlenkernde Beinchen hervorragten; ein fünfjähriger blonder Bub lag bäuchlings auf den Rasen gestreckt und grub und wühlte mit beiden Händen in der schwarzen Erde, als gält’ es, einen Schatz ans Tageslicht zu fördern.

      „Aber Lippele,“ rief Gittli, „was machst du denn da?“

      „Mausi fangen!“ flüsterte der kleine Maulwurfsjäger geheimnisvoll und wollte sein Graben und Wühlen von neuem beginnen.

      Gittli zankte: „Bist du denn gescheit? Da herliegen auf den kalten Boden! Gleich steh auf!“

      Lippele erhob sich schmollend, und da schlug das Mädchen entsetzt die Hände ineinander.

      „Lippele! Aber, aber! Wie schaust du denn aus! Da wird die Dittibas gleich weinen.“ Dittibas — diesen Namen hatte der lallende Kindermund erfunden, der es nicht fertig brachte, ‚Base Gittli‘ zu sagen.

      Die Dittibas wird weinen! Das war für Lippele die wirksamste aller Drohungen. Er verzog den Schnabel zu einem Pfännlein, streckte die Ärmchen mit gespreizten Fingern auseinander und schaute mit steifen Augen an sich hinunter. Dem langen Hemdl, das sein ganzes Gewand war, hätte es der schärfste Blick nicht mehr angesehen, daß es die Dittibas am Morgen weiß und frisch aus der Truhe genommen hatte. Und diese Hände! Und ein Gesicht dazu, als hätte Lippele den Versuch gemacht, die Maus mit den Zähnen aus der Erde herauszubeißen.

      „Suggibubi!“ bekannte Lippele mit rühmenswerter Selbsterkenntnis, während seine Augen sich mit Tränen füllten.

      „Gelt, ja!“ pflichtete Gittli bei, faßte das Bürschl am Ellbogen und ging der offenen Haustür zu, so rasch, daß Lippele mit Hopsen und Stolpern kaum nachkommen konnte.

      Es war eine ärmliche Stube, die sie betrat, mit dem dürftigsten, bäuerlichen Hausrat bestellt, aber alles sauber in Stand gehalten, Tisch und Bänke blank gescheuert. Hinter dem weißgetünchten Lehmofen stand das große Doppelbett, und in dem Winkel zwischen Bett und Mauer ruhte Sepha, das Weib des Sudmanns, in einem aus Weidenruten geflochtenen Lehnstuhl. Sie schien zu frieren, ein dickes Tuch war um ihre Schultern geschlungen und eine Lodendecke über den Schoß gebreitet. Das blonde Haar war gelöst und hing in dünnen, mattschimmernden Strähnen um das bleiche, verkümmerte Gesicht mit den krankhaft glänzenden Augen. An ihrer Haltung sah man die Schwäche; ganz zerfallen lag sie zwischen den Lehnen des Stuhles, den ihr Wolfrat an einem freien Tag geflochten hatte, weil ihr das Liegen so schlecht bekam.

      Eine Kranke als Krankenwärterin! In den mit grober Leinwand bezogenen Kissen des Bettes lag ein dreijähriges Mädchen; mit üppigen Ringeln floß das goldblonde Haar um das kleine Gesicht, dessen Wangen in fieberhafter Röte brannten. Die dünnen, zitternden Finger spielten über der Bettdecke mit den schon halb verwelkten Primeln und Veilchen, welche Gittli dem Kinde gebracht hatte, bevor sie das Haus verlassen.

      Und als das Mädchen nun die Tür öffnete, leuchteten die Augen des Kindes freudig auf. „Dittibas!“ lispelte es und streckte die Ärmchen.

      „Ja, mein Mimmidatzi, ich komm schon!“ sagte Gittli mit zärtlichem Lächeln und Nicken. Sie stellte den kleinen Verbrecher, den sie gefangen herbeigeführt, mitten in die Stube. „Schau nur, Schwährin, wie das Bürschl wieder ausschaut.“

      Über Sephas Züge flog ein mattes Lächeln. Und als der kleine Schlingel gewahrte, daß sein Aussehen die Mutter nicht schelten, sondern lachen machte, schrie er jauchzend auf, als hätte er eine stolze Heldentat zu verkünden: „Lippele Suggibubi, Suggibubi!“ Und wie eine toll gewordene Hummel surrte er tanzend durch die Stube.

      Gittli hatte sich auf das Bett gesetzt; sie hielt das Kind umfangen, das ihren Hals mit seinen dünnen Ärmchen umklammerte; so umschlungen, Wange an Wange gelehnt, wiegten sie sich hin und her, und die Kleine sang dazu in schmeichelnden Lauten.

      Durch das niedere Fenster fiel ein leuchtender Sonnenstrahl, der in dem trüben Raume tausend fliegende Stäubchen flimmern machte. Wollte nach hartem Winter der Frühling nun auch Einkehr halten unter diesem Dach? An der Zeit wär’ es gewesen!

      Gittli machte sich an die Arbeit. In ihrer kleinen Kammer vertauschte sie das ‚gute‘ Gewand mit ihrem abgetragenen roten Röckl. Erst las sie draußen im Garten die den Hühnern ausgefallenen Federn zusammen, damit das kranke Kind neue Kurzweil hätte. Dann kam Lippele in die Kur. Gittli kniete auf den Dielen, neben sich eine kleine Holzwanne mit kaltem Bachwasser; mit einem linnenen Lappen bearbeitete sie dem kleinen Burschen Gesicht und Hände, daß ihm die Haut zu glühen begann. Ließ er nur einen Muckser hören, dann hieß es gleich: „Schön brav sein, Lippele, oder die Dittibas tut weinen!“

      Sepha schaute ihr eine Weile schweigend zu; dann fragte sie: „Hast du den Vogt daheim gefunden?“

      „Ja freilich.“

      „Ist er gut mit dir gewesen? Und hat er eine Freud gehabt mit den Röserln?“

      „Das glaub ich!“ sagte Gittli, während sie sich tief über die Wanne beugte, um den Lappen auszuringen. „Ah, ah, hat er gesagt, die sind aber schön! Ja, du — so schöne hab ich schon bald nit gesehen, hat er gesagt. Komm her, Lippele!“

      „So? So? Und was hast du sonst noch mit ihm geredt?“

      „So halt, wie man redet, von allerhand, ja! Aber weißt du, gar lang hab ich mich nit verhalten dürfen. Du! Was da die Leut warten, eins am andern!“

      Eine Weile war Stille. Dann sagte Sepha mit scheuem Klang in der Stimme: „Geh, sag mir’s, Gittli!“

      „Was denn?“

      Sepha atmete schwer. „Sag mir’s! Hat der Polzer das Lehent schon beisammen?“

      „Aber freilich!“ lachte Gittli, doch mit abgewandtem Gesicht, denn sie fühlte, daß sie rot wurde bis über die Stirn.

      „Gott sei Dank!“ Ein befreiender Seufzer löste sich aus Sephas Brust.

      Lippeles Kur war beendigt. Er wurde noch in sein starrendes Lederhösl gesteckt, wie die Grille in ihr Häuschen. Und dann hieß es: „So, Lippele, brav, jetzt bist du wieder schön!“ Er bekam einen Kuß, als Draufgabe noch einen Klaps, und sprang zur Tür hinaus, um die Verwandlung in den bei ihm natürlichen Suggizustand mit frischem Eifer zu zu beginnen.

      Gittli trug die Wanne aus der Stube. Draußen blieb sie schwer atmend stehen und schüttelte in ratloser Sorge den Kopf.

      Nun mußte sie die bescheidene Mahlzeit richten. Hinter dem Haus lag ein mächtiger Stoß dürren Holzes; den hatte Gittli während des Winters zusammengetragen; hier stand sie und zerbrach über dem Knie die morschen Äste; immer wieder ließ sie die Hände sinken und starrte vor sich hin. Wie sollte sie es dem Bruder sagen, wenn er heimkam nach Feierabend? Und wenn er es wußte — wo sollte er Hilfe finden? Da schoß ihr eine heiße Welle zum Herzen. Einen wußte sie. Der würde helfen, das hätte sie beschwören mögen. Haymo, der Klosterjäger! Weshalb ihr gerade dieser Eine in den Sinn kam? Sie wußte keine Antwort auf diese Frage. Aber das Herz war ihr leicht geworden. Und wie glatt und einfach dieser Weg war! Ein einziges Wort zu Haymo, und Haymo sprach ein paar Worte mit Herrn Heinrich. Und Herr Heinrich konnte doch dem Haymo nichts abschlagen. Ihr war, als sähe sie den Jäger schon daherkommen, lachend: „Gittli! Ich hab mit ihm geredet, und er hat gesagt, dein Bruder soll sich Zeit lassen mit dem Lehent und soll zahlen, wann er kann. Sorg dich nimmer! Ich hab alles gerichtet. Gelt, du weißt schon,