Ludwig Ganghofer

Der Klosterjaeger


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das ein guter Mensch!“ weinte Seph und faltete die Hände. So kräftig ist für den Eggebauer wohl noch nie gebetet worden, außer von ihm selbst vielleicht.

      Gittli hauchte einen Kuß auf die heiße Stirn des schlummernden Kindes und schlüpfte in ihre Kammer. Als sie in den Kissen lag, weinte und kicherte sie, immer eins ums andere. Dazu sprach sie das Vaterunser, und noch ein zweites als Dreingabe; das hatte der liebe Herrgott heut verdient, der diese zwei guten, guten Menschen erschaffen hatte, den Eggebauer und den Haymo. Und von den beiden war Haymo gewiß noch der bessere; daß es bei ihm gar nicht zum Helfen kam, das war nicht seine Schuld. Sie wollte dem Eggebauer gewiß nichts abzwacken von seinen Verdiensten. Aber der Haymo! Der hätte dem Bruder das Geld nicht nur geliehen, nein, geschenkt! Hätt er’s denn aber auch gehabt?

      Gittli mußte lachen, als sie in ihrer Gedankenreihe zu diesem Ende kam. Sie streckte sich vergnügt, verschränkte die Hände unter dem Nacken und summte das Lied von der Schneerose vor sich hin:

      „Auf steiler Höh,

      Tief unterm Schnee —“

      Als sie zu der Stelle kam, an der es heißt:

      „Im Herzen tief

      Ein Blüml schlief,

      Gar lieblich und an Schönheit reich —“

      da verstummte sie. Was für ein Blüml war das? Sie hatte das nur immer so hingesungen. Jetzt zum erstenmal kam diese Frage. Was für ein Blüml war das?

      So lag sie mit offenen Augen und träumte in die Nacht hinein.

      Und draußen in der Küche saß Wolfrat beim neu entfachten Feuer und schnitzte aus einem Birnbaumzweig den Bolzen für die Armbrust.

      Vergangene Zeiten erwachten bei dieser Arbeit: das war nicht der erste Bolz, der aus seinen Händen kam. Die Bilder und Abenteuer seiner Jugend und seiner Kriegsjahre zogen an ihm vorüber. Einmal hob er den Kopf und blickte langsam gegen die Wand, hinter welcher Gittlis Kammer lag. Dabei spielte ein seltsam verlorenes Lächeln um seinen bärtigen Mund.

      Neben dem Herde sah er Federn liegen; mit ihnen fiederte er den Pfeil. Es waren die Federn, mit denen das ‚Mimmidatzi‘ gespielt hatte, bevor es entschlummert war.

       Inhaltsverzeichnis

      Seit zwei Tagen hauste Haymo wieder einsam in der Röt. Spät abends hatte er am ‚grünen Donnerstag‘ die Jagdhütte erreicht. Walti, den er in der Nähe der Kreuzhöhe getroffen, hatte den Jäger in der Dämmerung für einen Raubschützen angesehen und nicht übel Lust gezeigt, die Armbrust auf ihn abzuschießen. Dann gab es freilich ein lachendes Erkennen. Während des ganzen Heimwegs hatte der Bub zu erzählen; für ihn war jeder Schritt ein Abenteuer gewesen.

      Als sie zur Hütte kamen, fanden sie den Frater Severin schnarchend auf dem Heubett. Sie weckten ihn, und da meinte der Frater, es ginge zur Mette.

      „Ui jei!“ sagte er lachend, als er sich die Augen gerieben hatte. Aber aus dem Lachen geriet er gleich wieder in flammende Entrüstung. Haymo, so meinte er, hätte wohl auf den guten Einfall kommen können, einen Krug voll ‚Güte Gottes‘ oder eine Flasche mit ‚des Himmels höchster Gnade‘ aus dem Kloster heraufzubringen. Haymo sah ein, daß seine Sünde groß war, zwar nicht vor Gott, aber wohl vor einem seiner ‚Knechte‘. Nun mußte sich der arme Frater Severin nach dem fetten Sterz, den es zum Nachtmahl gab, mit einem Trunk Wasser schlafen legen. Brrr! Er liebte das Wasser nicht einmal in den Schuhen, viel weniger im Magen.

      Das ‚himmelschreiende Unglück‘ schien ihm aber den Schlaf nicht zu verkümmern. Er schnarchte gewaltiger als je.

      Haymo und Walti hatten wieder auf dem Herd ihr Nachtquartier aufgeschlagen, die glimmenden Kohlen zwischen ihnen. Draußen das dumpfe Rauschen des Föhns.

      „Walti?“ fragte Haymo nach langem Schweigen mit leiser Stimme. „Schlafst du schon?“

      Der Bub richtete sich auf.

      „Walti, ich möchte dir was schenken, eh du fortgehst. Was willst du haben?“

      „Die Feder von deiner Kappe!“ platzte der Bub heraus.

      „Sollst sie haben, nimm sie dir nur morgen früh! Mußt mir aber auch einen Gefallen tun.“

      „Was?“

      „Weißt du, wo die Gittli haust?“

      „Die Müllerdirn?“

      „Nein, die Schwester des Sudmanns.“

      „Ach die! Ja. Warum?“

      „Dann geh zu ihr, morgen, und frag sie, warum sie geweint hat in der Vogtstub?“

      „Was soll ich fragen?“ wiederholte Walti, dem die Sache etwas dunkel vorkam.

      „Du sollst sie fragen, warum sie geweint hat, heut, wie sie bei Herrn Schluttemann in der Stub war. Sag ihr, daß ich es wissen will. Und wenn ich zum Ostertanz hinunterkomm, dann sag es mir wieder! Verstehst du?“

      „Wohl!“ nickte Walti. „Aber ich kann mir schon denken, warum sie geweint hat. Der Vogt wird halt giftig gewesen sein und hat sie bei den Ohrwascheln genommen. Das tut er gern, das weiß ich.“ Gähnend streckte er das kluge Haupt auf die zum Kissen geballte Lodendecke. Nach kurzer Weile richtete er sich wieder auf.

      „Haymo!“

      „Ja?“

      „Jetzt weiß ich, was für eine Gittli die richtige ist!“

      „So?“ lächelte Haymo.

      „Wohl!“ Und kichernd streckte sich der Bub wieder aufs Ohr.

      Bald darauf schliefen sie alle beide.

      Am andern Morgen, eh’ der Tag noch graute, verließ Haymo die Hütte, um seinen Hegergang anzutreten. Er hätte seinen Gästen gern ein Wort zum Abschied gesagt; aber die beiden schnarchten doppelstimmig so rührend zusammen, daß ihr gesunder Schlaf einen Stein hätte erbarmen mögen. Haymo nahm die Adlerfeder von seiner Kappe und steckte sie auf Waltis Filzhut. Dann ging er.

      Als er mit dem Abend in die Hütte zurückkehrte, waren die Klostervögel lange schon ausgeflogen. Haymo schürte nicht einmal Feuer; so müde war er. Er spürte die beiden auf den Herdsteinen verbrachten Nächte in allen Knochen; und er hatte sich heute geplagt wie nie. Keinen der Hut bedürftigen Platz in seinem weiten Revier hatte er unbesucht gelassen, jeden Steig und jeden Schneefleck hatte er abgespürt. Er wollte nicht ein zweites Mal so dastehen wie gestern in der Vogtstube. Herr Schluttemann war so liebevoll mit ihm umgesprungen, wie die Katze mit der Maus; nur das Verschlucken hatte noch gefehlt. Aber auch Herr Heinrich hatte zu den beiden vermißten Steinböcken eine strenge Miene gemacht; doch er war nicht ungerecht gewesen und hatte auf Haymos Rechtfertigung gehört, trotz Herrn Schluttemann, der die Tischplatte gehörig donnern ließ. Schließlich war Haymo vom Propst sogar mit freundlicher Rede entlassen worden. „Und wenn es dir Freude macht,“ sagte Herr Heinrich, „so magst du am Feiertag nach der Frühpirsche herunterkommen zum Ostertanz!“

      Diese Güte wollte Haymo mit doppeltem Fleiß vergelten. Wenn es das Glück nur wollte, daß ihm einer der Raubschützen bald in den Weg geriete. Er ballte die Fäuste bei diesem Gedanken. Aber mitten in seinen flammenden Zorn hinein hörte er die Geigen und Pfeifen klingen.

      Ob Gittli wohl zum Tanz käme? Nun, eine Dirn, die nicht kommt, die kann man holen. An diesen Gedanken spann Haymo hundert andere, bis sein