Gustav Freytag

Aus dem Staat Friedrichs des Großen


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die öffentlich zu vertreten einst die Breslauer Fakultät dem jungen Dozenten verwehrt hatte.

      In innerem Zusammenhange mit den »Bildern« steht die Reihe von acht Romanen, die Freytag unter dem Titel »Die Ahnen« 1872 begonnen und 1880 vollendet hat. Es sind 6 Bände von mäßigem Umfang, in denen ein und dasselbe Geschlecht von den Zeiten der Römerherrschaft bis ins neunzehnte Jahrhundert herab verfolgt wird. Die Absicht war, und es ist ohne Zweifel gelungen, in allem Wechsel der Zeiten, die geschildert werden, doch gewisse gemeinsame Charakterzüge der Familie und eine dadurch bedingte Gleichförmigkeit der Schicksale hervortreten zu lassen.

      Man hat wohl daran gedacht, Freytag mit seinen Zeitgenossen Fritz Reuter, Theodor Storm, Gottfried Keller zu einer Gruppe zu vereinigen; zum Vergleich mit dem 10 Jahre jüngeren Scheffel fordert die Gemeinsamkeit mancher von ihnen behandelten Stoffe von selbst auf. Was Freytag von allen den Genannten trennt, ist einmal, daß er weniger als sie in dem Boden einer bestimmten Landschaft wurzelt; und dann, daß er nicht ausschließlich Dichter ist, sondern ebensosehr Gelehrter und Politiker. Aber eben diese Verschmelzung getrennter Interessen bedeutet einer überall zunehmenden Berufs- und Arbeitsteilung gegenüber keinen geringen Gewinn; und wenn dem Wirken des Mannes vielleicht dadurch etwas von Wärme entzogen wurde, daß er das eigentliche Feld seiner Tätigkeit außerhalb der Heimatprovinz und außerhalb des Staats fand, dem er von Geburt angehörte, so liegt doch darin wieder ein Zug zum Universellen, wie er dem lange zersplitterten Vaterlande gerade besonders not tat. Und so wird Freytag mit seinen Werken und mit seiner Persönlichkeit auf lange hinaus zu den Männern gehören, die zur Erziehung des deutschen Volkes und zumal der deutschen Jugend berufen sind.

Flensburg, Januar 1898.Paul Cauer.

      Aus dem Staat Friedrichs des Großen.

      Was war es doch, das seit dem Dreißigjährigen Kriege die Augen der Politiker auf den kleinen Staat heftete, der sich an der östlichen Nordgrenze Deutschlands gegen Schweden und Polen, gegen Habsburger und Bourbonen heraufrang? Das Erbe der Hohenzollern war kein reichgesegnetes Land, in dem der Bauer behaglich auf wohlbebauter Hufe saß, welchem reiche Kaufherren in schweren Galeonen die Seide Italiens, die Gewürze und Barren der neuen Welt zuführten. Ein armes, verwüstetes Sandland war's, die Städte ausgebrannt, die Hütten der Landleute niedergerissen, unbebaute Äcker, viele Quadratmeilen entblößt von Menschen und Nutzvieh, den Launen der Urnatur zurückgegeben. Als Friedrich Wilhelm 1640 unter den Kurhut trat, fand er nichts als bestrittene Ansprüche auf zerstreute Territorien von etwa 1450 Quadratmeilen, in allen festen Orten seines Stammlandes saßen übermächtige Eroberer. Auf einer unsichern Öde richtete der kluge, doppelzüngige Fürst seinen Staat ein, mit einer Schlauheit und Rücksichtslosigkeit gegen seine Nachbarn, welche sogar in jener gewissenlosen Zeit Aufsehen erregte, aber zugleich mit Heldenkraft und großem Sinn, der mehr als einmal die deutsche Ehre höher faßte, als der Kaiser oder ein anderer Fürst des Reiches. Und als der große Politiker 1688 starb, war, was er hinterließ, doch nur ein geringes Volk, gar nicht zu rechnen unter den Mächten Europas. Denn seine Herrschaft umfaßte zwar 2034 Quadratmeilen, aber höchstens 1 300 000 Menschen. Auch als Friedrich II. hundert Jahr nach seinem Ahnherrn die Regierung antrat, erbte er nicht mehr als 2 240 000 Seelen, weniger als jetzt die eine Provinz Schlesien umfaßt.

      Der nächste Absatz und die folgenden Tabelle werden aus technischen Gründen nicht wie im Original als Fußnote wiedergegeben. Re.

      Kurfürst Friedlich Wilhelm erbte 1451 Quadratmeilen mit vielleicht 700 000 Einwohnern, diese zum größten Teil im Ordensland Preußen, welches durch die Verwüstungen des Krieges nicht so sehr verödet war.

      Quadr.-M. Einw. Im Jahr 1688 hinterließ der Kurfürst 2034 mit etwa 1 300 000 " 1713 " König Friedr. I. 2090 " 1 700 000 " 1740 " Friedr. Wilh.I. 2201 " 2 240 000 " 1786 " König Friedr. II. 3490 " 6 000 000 " 1805 waren (vor dem Eintausch von Hannover) 5463 9 800 000 " 1807 blieben 2877 " 5 000 000 " 1817 waren 5015 " 10 600 000 " 1830 waren 13 Mill. Ew., im Jahre 1865 aber 19 Mill. Ew. auf 5046 Quadratmeilen.

      und Kriegswunden würden dort schneller geheilt, als wo anders, Wohlstand und Intelligenz nehme dort in größeren Verhältnissen zu, als in einem anderen Teile von Deutschland!

      Was war es also, das sogleich nach den Schlachten des Dreißigjährigen Krieges die Eifersucht aller Regierungen, zumal des Kaiserhauses, erregte, das seither dem brandenburgischen Wesen so warme Freunde, so erbitterte Gegner zugeführt hat? Durch zwei Jahrhunderte wurden Deutsche und Fremde nicht müde, auf diesen neuen Staat zu hoffen, ebensolange haben Deutsche und Fremde nicht aufgehört, ihn zuerst mit Spott, dann mit Haß einen künstlichen Bau zu nennen, der starke Stürme nicht auszuhalten vermöge, der ohne Berechtigung sich unter die Mächte Europas eingedrängt habe. Und wie kam es endlich, daß schon nach dem Tode Friedrichs des Großen unbefangene Beurteiler ermahnten, man möge doch aufhören, dem vielgehaßten den Untergang zu prophezeien? Nach jeder Niederlage sei er um so kräftiger in die Höhe geschnellt, alle Schäden

      Allerdings war es ein eigentümliches Wesen, eine neue Schattierung des deutschen Charakters, was auf dem eroberten Slawengrunde, in den Hohenzollern und ihrem Volke zutage kam. Mit herausfordernder Schärfe erzwang sich dies Neue Geltung. Es schien, daß die Charaktere dort größere Gegensätze umschlossen; denn Tugenden und Fehler seiner Regenten, Größe und Schwäche seiner Politik kamen in schneidenden Kontrasten zutage, die Beschränktheiten erschienen auffälliger, das Widerwärtige massenhafter, das Bewunderungswerte erstaunlicher; es schien, daß dieser Staat das Seltsamste und Ungewöhnlichste erzeugen, und nur die ruhige Mittelmäßigkeit, die sonst so erträglich und förderlich sein mag, nicht ohne Schaden vertragen könne.

      Viel tat die Lage des Landes. Es war ein Grenzland zugleich gegen Schweden, Slawen, Franzosen und Holländer. Kaum eine Frage der europäischen Politik gab es, die nicht auf Wohl und Wehe des Staats einwirkte, kaum eine Verwicklung, welche tätigen Fürsten nicht Gelegenheit gab, Ansprüche geltend zu machen. Die sinkende Macht Schwedens, der beginnende Auflösungsprozeß in Polen erregten weitläufige Aussichten, die Übergewalt Frankreichs, die mißtrauische Freundschaft Hollands zwangen zu schlagfertiger Vorsicht. Seit dem ersten Jahre, in welchem Kurfürst Friedrich Wilhelm seine eigenen Festungen durch List und Gewalt in Besitz nehmen mußte, wurde offenbar, daß dort an der Ecke des deutschen Bodens ein kräftiges, umsichtiges, waffentüchtiges Regiment zur Rettung Deutschlands nicht entbehrt werden könne. Seit dem Beginn des französischen Krieges von 1674 erkannte Europa, daß die schlaue Politik, welche von dieser kleinen Ecke ausging, auch das staunenswerte Wagnis unternahm, die Westgrenze Deutschlands gegen den übermächtigen König von Frankreich heldenhaft zu verteidigen.

      Es lag vielleicht auch etwas Auffallendes in dem Stammcharakter des brandenburgischen Volkes, an dem Fürsten und Untertanen gleichen Teil hatten. Die preußischen Landschaften hatten den Deutschen bis auf Friedrich den Großen verhältnismäßig wenig von Gelehrten, Dichtern und Künstlern abgegeben. Selbst der leidenschaftliche Eifer der Reformationszeit schien dort abgedämpft. Die Leute, welche in dem Grenzlande saßen, meist von niedersächsischem Stamme, mit geringer Beimischung von Slawenblut, waren ein hartes, knorriges Geschlecht, nicht vorzugsweise anmutig in den Formen ihres Lebens, aber von einem ungewöhnlich scharfen Verstande, nüchtern im Urteil; in der Hauptstadt schon seit alter Zeit spottlustig und von beweglicher Zunge, in allen Landschaften großer Anstrengungen fähig, arbeitsam, zäh, von dauerhafter Kraft.

      Aber mehr als Lage und Stammcharakter des Volkes schuf dort der Charakter der Fürsten. In anderer Weise, als irgendwo seit den Tagen Karls des Großen geschah, haben sie ihren Staat gebildet. Manches Fürstengeschlecht zählt eine Reihe glücklicher Vergrößerer des Staats, auch die Bourbonen haben weites Gebiet zu einem großen Staatskörper zusammengezogen; manches Fürstengeschlecht hat einige Generationen tapferer Krieger erzeugt, keines war tapferer als die Wasa und die protestantischen Wittelsbacher in Schweden. Aber Erzieher des Volkes ist keins gewesen wie die alten Hohenzollern. Als große Gutsherren auf verwüstetem Lande haben sie die Menschen geworben, die Kultur geleitet, durch fast hundertfünfzig Jahre als strenge Hauswirte gearbeitet, gedacht, geduldet, gewagt und unrecht getan, um ein Volk für ihren Staat zu schaffen, wie sie selbst: hart, sparsam, gescheit, keck, das Höchste für sich begehrend.

      In solchem Sinne