angefangen hatte zu lachen. »Du bist schon richtig, Albert!«, hatte er gerufen. »Wer sich so frech hier herstellt und eine solche Rede hält, dem geben wir zumindest eine Chance – oder, Jungs?«
Das war der Anfang gewesen, vor einem Jahr. Seitdem war niemand mehr auf die Idee gekommen, Albertinas Fähigkeiten als Ingenieurin in Zweifel zu stellen. Heute bereitete es ihr selbst ein diebisches Vergnügen, zusammen mit »den Jungs« neue Kollegen ein wenig an der Nase herumzuführen.
Sie arbeitete hart, war nicht zimperlich und hatte sich bisher noch nicht einen Tag krank gemeldet. Und sie behielt fast immer den Durchblick – das unterschied sie von anderen, die unter Stress schon mal die Nerven und auch die Übersicht verloren. Auf Albertina war immer Verlass, und das wussten ihre Kollegen zu schätzen. Dass sie eine Adelige und aus vermögendem Hause war, wusste freilich niemand. Sie hatte das »von« in ihrem Namen bei der Vorstellung einfach unterschlagen. Es machte alles leichter für sie, wenn die anderen sie für Albertina Braun hielten. Den Spitznamen »Albert« hatten sie ihr bereits am ersten Tag verpasst. Ihr war es recht.
Sie schafften die Vorgabe für diesen Tag tatsächlich, genau wie sie es vorhergesagt hatte – allerdings waren sie dafür abends auch alle ziemlich fertig. »Das war hart heute«, stellte Albertina fest.
»Kannst du laut sagen«, brummte Kurt Wille. Mit ihm verstand sie sich am besten. Er hatte sich als einer der Ersten auf ihre Seite gestellt – zu einem Zeitpunkt, da mancher seiner Kollegen sie noch skeptisch beäugt hatte. Der große, starke Kurt und die schmale, wendige Albertina bildeten seitdem ein perfektes Arbeitsteam, meistens verstanden sie sich blind.
»Dafür wird es morgen leichter«, stellte Albertina fest. »Von jetzt an müssten wir eigentlich gut vorankommen – vorausgesetzt, es passieren nicht neue Katastrophen.«
Ein Wassereinbruch hatte sie in der vergangenen Woche zurückgeworfen, doch der Auftraggeber pochte darauf, dass der Vertrag erfüllt werden musste. Die Brücke war lange in der Planung gewesen, noch länger war der Bau hinausgezögert worden von Gegnern des Vorhabens. Aber nun endlich wurde sie gebaut, und sie sollte so schnell wie möglich fertig werden.
Kurt reckte sich. »Heute Abend haue ich mich früh in die Falle«, brummte er. »Bin echt müde.«
»Ich auch, aber ich habe leider noch was vor.« Albertina nahm den Helm ab. »Wir sehen uns morgen, Kurt.« Sie seufzte. »Ich arbeite ja wirklich gern, aber ein freier Samstag wäre zur Abwechslung auch mal wieder schön, finde ich.«
»Was hast du denn vor?«, fragte er. »Neuer Verehrer?«
Sie knuffte ihn kumpelhaft in die Seite. »Quatsch – es gibt keinen Mann neben dir, das weißt du doch, Kurt!«
Kurt war glücklich verheiratet und stolzer Vater dreier Kinder, aber er hörte es gern, wenn Albertina so etwas sagte, und sie wusste das.
»Ich muss zu meinen Eltern, das wird sicher ein bisschen anstrengend. Bis morgen dann!«
Sie verabschiedete sich auch von den anderen Kollegen, dann stieg sie in ihren alten, ziemlich verbeult aussehenden Kleinwagen und machte sich auf den Heimweg.
Sie war bereits nach fünf Minuten zu Hause, hatte aber zu ihren Eltern dann noch fast eine Dreiviertelstunde zu fahren. So hatte sie genügend Zeit, sich innerlich auf den vor ihr liegenden Abend vorzubereiten.
Doch bevor sie sich erneut auf den Weg machte, hatte sie noch etliches zu tun. Sie zog sich schnell aus, duschte – und dann begann das, was sie »Albertinas Verwandlung« nannte. Dieser Vorgang nahm insgesamt eine halbe Stunde in Anspruch. Die junge Frau, die im Anschluss daran das Haus verließ und in einen gepflegten, blitzblanken Sportwagen stieg, hätte niemand »Albert« genannt, so viel stand fest.
*
»Sehr schönes Haus«, bemerkte Baronin Sofia von Kant.
»In der Tat«, stimmte Baron Friedrich seiner Frau zu.
Langsam näherten sie sich dem Eingang der stilvollen Villa, in der Eliane und Johannes von Braun wohnten. Sie hatten das Ehepaar erst kürzlich kennengelernt und gleich sympathisch gefunden. Dieses war ihre erste Einladung im Hause von Braun.
Sie hatten den Chauffeur gebeten, sie unten an der Straße aussteigen zu lassen, damit sie noch ein paar Schritte zu Fuß gehen konnten.
»Wir haben so häufig Gäste, Fritz, aber selbst gehen wir kaum aus. Wieso eigentlich?«
»Vielleicht, weil es auf Sternberg so schön ist?«
Sie lachte leise. »Ja, das spielt sicherlich eine Rolle«, gab sie zu. »Und vielleicht liegt es auch daran, dass ich immer noch denke, wir können die Kinder nicht allein lassen.«
»Lass sie das nicht hören, dass du sie Kinder nennst!«
Sie hatten die Villa erreicht und wurden herzlich begrüßt von den Gastgebern. Eliane von Braun war eine aparte Schwarzhaarige, ihr Mann Johannes, lang und dünn, überragte sie um einen ganzen Kopf. »Wie schön, dass Sie gekommen sind!«, sagte Eliane. »Wir haben uns richtig auf diesen Abend gefreut.«
»So wie wir«, erklärte Sofia.
Als sie in einen großzügigen Wohnsalon geführt worden waren, erwartete sie eine Überraschung: Sie trafen dort auf ein ihnen bekanntes Paar, Gräfin Caroline und Graf Ernst zu Kallwitz. Die Freude war groß, die Begrüßung ein weiteres Mal herzlich.
»Unsere Tochter wird auch noch kommen«, erklärte Eliane von Braun. »Sie hat zwar sehr viel zu tun, aber wir haben ihr gesagt, wie schön wir es fänden, wenn sie unsere neuen Freunde kennenlernen würde, und so wird sie uns wenigs-tens beim Essen Gesellschaft leis-ten. Sie kommt sicher bald. Was dürfen wir Ihnen als Aperitif anbieten?«
Sofia fühlte sich wohl. Sie genoss die geschmackvolle Einrichtung, die angeregte Unterhaltung, die Gesellschaft von Menschen, die sie gern hatte.
Sie nippte gerade an ihrem trockenen Sherry, als eine Tür geöffnet wurde und eine bezaubernde junge Frau eintrat: Das musste Albertina von Braun sein. Sie trug ihre schwarzen Haare ziemlich kurz, was ihr ausgezeichnet stand. Ein klares Gesicht mit klugen Augen und einem ausgesprochen sinnlichen Mund. Das helle Seidenkleid unterstrich Albertinas zarte Figur. Mit schnellen Schritten kam sie herein.
»Albertina, da bist du ja endlich«, rief Eliane und setzte dann mit sichtlichem Stolz hinzu: »Das ist unsere Tochter!«
Erst als die Vorstellung beendet war, begrüßte Albertina ihre Eltern mit liebevollen Umarmungen und Küssen.
Was für eine reizende junge Frau, dachte Sofia.
*
Graf Carl zu Kallwitz stöhnte, als er im Fitness-Studio vom Laufband stieg. Eine Dreiviertelstunde hatte er trainiert und dabei eine ziemlich hohe Geschwindigkeit eingestellt. Jetzt reichte es ihm. Er griff nach seinem Handtuch und trocknete sich die schweißnasse Stirn.
»Bist du schon fertig?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
Er drehte sich um und nickte. »Du nicht?«, fragte er seinen Freund Robert Heuser. Sie trafen sich oft im Studio.
»Eigentlich nicht, aber ich habe keine Lust mehr. Lass uns noch irgendwo ein Bier trinken und über die Schlechtigkeit der Welt reden.«
Carl musste lachen. »Nichts dagegen«, sagte er.
Sie duschten ausgiebig und steuerten anschließend ein Lokal an, in dem sie gelegentlich nach dem Training einkehrten. »Also, was ist dir heute passiert?«, fragte Carl, nachdem sie zwei Pils bestellt hatten.
Robert sah mit düsterem Gesicht vor sich hin. »Sabine«, war alles, was er antwortete.
»Bitte, nicht schon wieder!«, rief Carl. »Kannst du dir diese Frau nicht endlich aus dem Kopf schlagen, Robert? Sie macht sich nichts aus dir – akzeptier das und such dir eine andere.«
»Ich will aber nur Sabine«, murmelte Robert.
»Dir ist echt nicht zu helfen. Sie ist nett, sie sieht toll aus, ich finde sie sympathisch – aber sie liebt dich nicht. Und das hat sie