ihr hier seid, ganz in ihrem Element. Endlich kann sie sich an ihrem neuen Herd austoben.« Sofia hatte am Abend zuvor von dem Küchenbrand erzählt, der die Schlossbewohner vor kurzem in Angst und Schrecken versetzt hatte.
Sie begaben sich also in den Salon, in dem für gewöhnlich die Mahlzeiten eingenommen wurden. Hier war liebevoll eingedeckt worden. Sie griffen mit gutem Appetit zu. Konstantin ließ es sich nicht nehmen, Paul zu füttern, Christian übernahm Miriam.
»Wenn das so ist«, meinte Bettina, »dann muss ich mich ja offenbar um nichts kümmern.«
»Freu dich doch«, meinte Christian harmlos, »jede Mutter ist doch froh, wenn sie mal ein bisschen Ruhe hat.«
Sie warf ihm einen scharfen, prüfenden Blick zu, den er in aller Unschuld erwiderte. Er hatte Miriam gerade wieder einen Löffel Apfelbrei in den winzigen Mund geschoben, als ein seltsames Klopfgeräusch ertönte.
»Mein Handy«, sagte Bettina entschuldigend. »Es könnte wichtig sein, entschuldigt bitte. Ich weiß, es ist unhöflich …« Mit diesen Worten erhob sie sich und bewegte sich auf die Tür zur, während sie das Gespräch entgegennahm.
Konstantin folgte ihr mit seinem Blick und sah sie mit einem Ruck stehenbleiben.
»Joseph?«, rief sie so laut, dass auch Christian und die Baronin aufmerksam wurden. Paulchen verzog das Gesicht, während Miriam mit ungeduldigen Bewegungen ihrer kleinen Hände nach mehr Brei verlangte.
Bettina hatte den Namen französisch ausgesprochen, und jetzt sprach sie in schnellem Französisch weiter. Offenbar hatte sie vergessen, dass sie Zuhörer hatte, denn sie dachte nicht mehr daran, den Salon zu verlassen. Christian verstand nur einzelne Wörter, er sah seiner Tante und Konstantin an, dass es ihnen ähnlich ging.
Das Gespräch endete schnell. Als Bettina sich zu den anderen umdrehte, war ihr Gesicht kreidebleich. »Ich muss sofort nach Stuttgart«, erklärte sie. »Da sind … Freunde von mir aus Gabun angekommen, denen werden Schwierigkeiten bei der Einreise gemacht. Ich muss ihnen helfen. Sie sprechen kaum Deutsch. Ich hatte ihnen eine Einladung geschickt, damit sie ein Visum bekommen, aber etwas scheint schiefgelaufen zu sein.«
»Ich begleite Sie«, sagte Konstantin schnell entschlossen.
»Aber nein, ich …«
»In Ihrem Zustand setzen Sie sich nicht ans Steuer«, sagte er ruhig, aber sehr bestimmt. »Ich schlage außerdem vor, dass Christian uns begleitet. Wenn er, als zukünftiger Fürst von Sternberg, sich für Ihre Freunde einsetzt, werden sie womöglich weniger Schwierigkeiten haben. Was meinst du, Chris?«
»Ich möchte gern mitfahren. Ich darf doch, Tante Sofia?«
Sofia begegnete Konstantins Blick, und ihr war, als wollte er ihr wortlos etwas mitteilen. Wenn sie auch die Botschaft nicht verstand, so begriff sie doch, dass es sich offenbar um etwas Wichtiges handelte und dass sie die Bitte nicht ablehnen konnte. »Natürlich«, antwortete sie ruhig. »Ich kümmere mich um die Kinder, Tina, mach dir keine Sorgen. Und bring deine Freunde dann bitte mit. Wir sollten ihnen vielleicht eine weitere Einladung schreiben – nur zur Vorsicht.«
»Danke, Sofia!« Bettinas Augen schwammen in Tränen.
Keine Viertelstunde später fuhren die drei ab und ließen die Baronin nachdenklich zurück. Sie war froh, dass Miriam und Paul ihre Aufmerksamkeit beanspruchten und sie von all den Fragen, die sie sich stellte und auf die sie keine Antwort fand, ablenkten.
*
Es wurde eine schweigsame Fahrt nach Stuttgart. Zum Glück dauerte sie nicht allzu lange. Bettina war unübersehbar nervös – und nicht nur das, sie hatte auch Angst, das war ihr anzumerken. Da sie aber offenbar noch immer nicht reden wollte, hielten Christian und Konstantin es für besser, sie nicht zu bedrängen. Außerdem hatte Bettinas Nervosität längst auf sie übergegriffen. Sie wussten nicht genau, was sie erwartete, also konnten sie sich auch nicht auf das Bevorstehende einstellen.
Als sie sich dem Flughafen näherten, hielt Konstantin es für angemessen, das Schweigen zu brechen. »Wenn wir Ihnen helfen sollen, brauchen wir ein paar Information, Frau von Rabenfels«, erklärte er ruhig. »Wir sollten zumindest die grundlegenden Fakten kennen. Ihre Freunde heißen also Elise und Joseph Ogudu?« Das wusste er, weil er die Einladung nach Sternberg für die beiden selbst geschrieben hatte.
Sie nickte. »Ja. Ich kenne Elise und Joseph gut, weil wir zusammen gearbeitet haben, fast zwei Jahre lang. Joseph ist Chirurg, ein sehr guter Chirurg, Elise ist Hebamme, die beste, die ich je kennengelernt habe.«
Sie stockte kurz, dann setzte sie hinzu: »Sie sind mit dem Tode bedroht worden von diesen Mörderbanden, die durchs Land ziehen. Ich hatte Angst genug, dass sie es nicht schaffen würden, sich abzusetzen. Sie hätten längst hier sein sollen – aber es ist immer schwieriger geworden, den Kongo über die Grenze nach Gabun zu verlassen. Die beiden sind Kongolesen, und sie lieben ihre Heimat. Sie haben lange gezögert, sie wollten eigentlich nicht gehen.« Sie schluckte, während sie aus dem Fenster sah. »Ich denke, mehr müssen Sie nicht wissen. Sie sind meine Freunde, ich habe sie zu mir eingeladen. Sie haben ein Recht darauf, hier zu sein.« Ihre Stimme war bei den letzten Sätzen immer heftiger geworden.
Niemand sagte danach ein Wort. Konstantin fuhr langsamer und wechselte die Spur. Der Flughafen lag jetzt direkt vor ihnen.
*
»Schlafen die anderen noch?«, fragte Anna, als sie, noch immer verschlafen aussehend, nach unten kam.
»Nein, Tina ist nach Stuttgart gefahren, mit Konstantin und Christian, um Freunde aus dem Kongo abzuholen«, antwortete die Baronin. Ihr Mann und sie wechselten einen kurzen Blick. Friedrich war auch ziemlich spät aufgestanden, aber bereits im Bilde über das, was geschehen war.
Annas Gesicht war ein einziges großes Fragezeichen, und so erzählte die Baronin ein weiteres Mal, was sich ereignet hatte.
»Mist, dass ich verschlafen habe!«, rief Anna. »Wieso habt ihr mich nicht geweckt? Ich wäre so gern mitgefahren, Mama!« Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Chris haben sie mittlerweile bestimmt eingeweiht. Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht, und ich bin nicht dabei!«
»Welche Wahrheit denn?«, fragte Baron Friedrich erstaunt.
»Ach nichts«, nuschelte Anna, als sie merkte, dass sie zu viel gesagt hatte.
»Dadada«, rief Miriam aus der Ecke des Salons, in der sie gerade herumkrabbelte.
Anna eilte zu ihr, denn sie hielt das für eine sehr elegante Art und Weise, weiteren forschenden Fragen zu entgehen.
Doch ihre Eltern hatten nicht die Absicht, sich so einfach abspeisen zu lassen. Die Baronin erhob die Stimme. »Papa hat dich etwas gefragt, und wir sind gespannt auf die Antwort, Anna.«
»Es ist aber nicht mein Geheimnis«, erklärte das Mädchen widerstrebend.
»Raus mit der Sprache!«, forderte Sofia energisch. »Was geht hier vor?«
»Wir wissen doch gar nichts Bestimmtes, Mama.«
»Wer ist ›wir‹?«
»Na, Konstantin, Chris und ich. Eigentlich ist Chris auf die Idee gekommen, dass Tinas Geschichte einfach nicht stimmen kann.«
Die Baronin setzte sich kerzengerade hin, und auch Baron Friedrich richtete seine Konzentration nun ganz auf seine Tochter. Mit wachsendem Erstaunen nahmen sie die Überlegungen zur Kenntnis, die Konstantin und die beiden Teenager am Tag zuvor angestellt hatten.
»Donnerwetter!«, murmelte der Baron, als Anna zum Ende gekommen war. »Ich muss zugeben, es spricht einiges dafür, dass ihr Recht haben könntet. Wieso sind wir nicht darauf gekommen, Sofia?«
»Gute Frage«, erwiderte sie. »Wir haben Tina wahrscheinlich geglaubt, weil wir ihr immer geglaubt haben, Fritz.«
Er nickte nachdenklich. »Hoffentlich geht alles gut in Stuttgart«, sagte er beunruhigt.
»Und ich bin nicht dabei!«, klagte Anna.
»Was