Patricia Vandenberg

Dr. Norden (ab 600) Box 2 – Arztroman


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fürchte, da ist nichts mehr zu machen«, sagte Hasher kalt. Er hatte nicht das geringste Mitleid mit diesem hartherzigen Mann. »Wenn Aramis stirbt, ist auch Simone nicht mehr zu retten. Aber Sie wollten es ja nicht anders.«

      Der Regen prasselte jetzt so heftig auf die beiden Männer herab, dass Hasher die Stimme erheben musste. Er hob die Hand, um sich das nasse Haar aus dem Gesicht zu streichen. Auch Heinz tropfte Wasser aus den Augenbrauen und vom Kinn. Doch im Gegensatz zum Prinzen bemerkte er es nicht. Reglos stand er mitten im tobenden Gewitter und sah hilflos zu, wie seine Welt, alles, wofür er je gekämpft hatte, vor seinen Augen unterging. Hashers letzte Worte hallten in Heinz’ Kopf wider, und plötzlich kam wieder Leben in ihn.

      »Wir müssen Aramis retten«, rief er dem Prinzen panisch zu. »Vielleicht ist es noch nicht zu spät.« Ohne auf eine Reaktion zu warten, drehte er sich um und stürzte in Richtung Stall davon.

      Prinz Hasher sah ihm nach. Als er sich langsam in Bewegung setzte, spielte ein spöttisches Grinsen um seine Lippen. Seine List war nicht ganz fair. Und doch war sie nötig gewesen, um Heinz Kühn einen hoffentlich heilsamen Schock zu verpassen.

      *

      Als Dr. Daniel Norden das Krankenzimmer von Simone Kühn betrat, lag sie mit geschlossenen Augen reglos im Bett und atmete schwer. Sie schien zu schlafen. Trotzdem schloss er leise die Tür hinter sich und kam ans Bett.

      »Frau Kühn?«, sprach er sie leise an.

      Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust.

      »Ist es vorbei?«, fragte sie matt. »Hat Aramis es hinter sich?« Ihre Stimme bebte.

      Wenn sie die Augen geöffnet hätte, hätte sie gesehen, dass Daniel Norden lächelte. Doch sie tat es nicht.

      »Wie man es nimmt.«

      Eine Träne sammelte sich in ihrem Augenwinkel. Sie hing einen Moment in ihren langen Wimpern, ehe sie über ihre Wange rollte und vom Kinn aufs Nachthemd tropfte. Dort hinterließ sie einen dunklen Fleck.

      »Warum tun Sie mir das an? Warum quälen Sie mich damit, dass Sie mir Hoffnung machen? Denken Sie, dadurch wird es leichter für mich?«, fragte Simone bitter.

      Das Lächeln auf Daniels Gesicht wurde breiter.

      »Nun, vielleicht wird es ja leichter für Sie, wenn ich Ihnen sage, dass Aramis seine Zahnoperation gut überstanden hat und lammfromm im Stall steht.«

      Einen Moment lang schien die Zeit im Krankenzimmer stillzustehen. Simone atmete nicht. Sie seufzte nicht und sie lächelte nicht. Sie lag einfach nur reglos da und versuchte zu verstehen, was Dr. Norden ihr eben gesagt hatte.

      »Zahnoperation?«, wiederholte sie nach einer gefühlten Ewigkeit ungläubig und blinzelte endlich in das helle Licht des Nachmittags. Das furchtbare Gewitter hatte sich verzogen und einen reingewaschenen Himmel, saubere, klare Luft zurückgelassen. »Sie meinen, er ist nicht tot?«

      Daniel schüttelte den Kopf.

      »Ich komme gerade vom Gestüt«, erklärte er fast feierlich. Die Szene, deren Zeuge er dort geworden war, hatte ihn zutiefst berührt. Das Bild, wie Heinz Kühn den stolzen, aber müden Araberhengst umarmte und dabei bittere Tränen der Reue vergoss, schluchzte wie ein kleines Kind, würde er so schnell nicht mehr vergessen. »Aramis ist zwar noch etwas schlapp von der Narkose. Dr. Rosenknecht hat ihm eine ordentliche Portion Sedativum verabreicht. Wahrscheinlich hatte er doch mehr Angst, als er zugegeben wollte.« Bei diesem Gedanken musste Daniel schmunzeln. »Aber morgen dürfte der Hengst wieder ganz der Alte sein.«

      Simone begriff immer noch nicht ganz.

      »Aramis wurde nicht eingeschläfert?«, hakte sie vorsichtshalber noch einmal nach.

      »Nein, wirklich nicht. Und so, wie es aussieht, hat er noch ein langes glückliches Pferdeleben vor sich. Dr. Rosenknecht hat die günstige Gelegenheit genutzt und Ihren Liebling von Kopf bis Fuß untersucht. Er ist kerngesund«, versprach Dr. Norden mit Nachdruck. »Jetzt, nachdem der zerstörte Zahn endlich entfernt, das verletzte Zahnfleisch und die entzündete Schleimhaut versorgt sind, fühlt Aramis sich bestimmt wie neugeboren.«

      Fast ärgerlich blinzelte Simone gegen die Tränen an, die ihr in die Augen stiegen. Vergeblich.

      »Ein kaputter Zahn? Warum bin ich denn nicht selbst darauf gekommen?«, schluchzte sie und nahm dankbar das Taschentuch, das Daniel ihr reichte. »Das Maul ist der empfindlichste Teil eines Pferdekörpers. Wenn es dort Schmerzen hat, ist es oftmals nicht mehr reitbar und fällt durch aggressives Verhalten auf«, fiel es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen. Es war ihr anzusehen, dass sie sich bitterer Vorwürfe machte. »Ich habe nur nicht daran gedacht, weil Aramis’ Veränderung direkt mit dem Turnier zusammenzuhängen schien.«

      »Jeder Mensch macht mal Fehler«, versuchte Dr. Norden, sie zu trösten.

      »Aber dieser hier wäre beinahe ins Auge gegangen. Ich fühle mich wie ein absoluter Anfänger«, bezichtigte Simone sich selbst. »Dabei habe ich schon mein ganzes Leben lang mit Pferden zu tun.«

      Und dann gab es endgültig kein Halten mehr. Die Verletzung und die Sorgen hatten Simone so sehr geschwächt, dass sie ihren Emotionen keinen Einhalt mehr gebieten konnte. Wie ein Sturzbach strömten die Tränen über ihre Wangen. Doch Daniel, der um die heilsame Kraft der Tränen wusste, bestärkte sie darin, sich allen Kummer, alle Ängste und Sorgen von der Seele zu weinen. So wie das Gewitter den Himmel reingewaschen hatte, würden die Tränen Simones Seele reinigen. Ihrer Genesung stand endlich nichts mehr im Weg.

      Danny Norden hatte eine durch und durch angenehme Nacht hinter sich. Als es an der Tür klingelte, schlief er immer noch tief und fest. Nur zögernd drang ein Geräusch in sein Bewusstsein vor, das nicht so recht zu seinen schönen Träumen passen wollte. Doch als die Wohnungsklingel erneut schellte, begriff er endlich, was los war, und fuhr im Bett hoch. Fast im selben Augenblick wartete er auf den gewohnten Schmerz und presste vorsichtshalber die Augenlider fest zusammen. Wider Erwarten passierte nichts, die Qual blieb aus. Irritiert blinzelte er in den hellen Morgen.

      »Nanu.« Es dauert einen Moment, bis die Umgebung um ihn herum klar wurde. »Wo bin ich?« Dann erinnerte sich Danny. Es war die erste Nacht in seiner neuen Wohnung gewesen, und ein langer anstrengender Umzugstag lag hinter ihm, Tatjana und den Freunden, die ihnen tatkräftig geholfen hatten. »Aua, ich wusste ja gar nicht, dass ich so viele Muskeln und Knochen im Körper habe«, stöhnte der junge Arzt, als er sich beim nächsten, diesmal deutlich vehementeren Klingeln aus dem schönen Nussbaumbett kämpfte, das Tatjana in weiser Voraussicht ausgesucht hatte. Es war eine ausgezeichnete Wahl, wie schon die erste Nacht bewiesen hatte. »Ja, ja, ich komm ja schon.« Während Danny zwischen halb ausgepackten Umzugskartons, Taschen und Elektrogeräten zur Tür schlurfte, reckte und streckte er sich stöhnend. »Nicht so hastig. Ein alter Mann ist schließlich kein ICE«, murrte er und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage.

      »Ja bitte?« Er unterdrückte ein Gähnen.

      »Hier ist der Zeitungsbote und Brötchendienst«, erklärte eine ihm wohlbekannte weibliche Stimme.

      Unwillkürlich musste Danny lächeln.

      »Oh, ich wusste gar nicht, dass dieses Haus einen so exklusiven Service bietet.«

      »Extra für verwöhnte Akademikersöhnchen«, erklärte Tatjana frech. »Wollen Sie mich nicht endlich reinlassen? Sie haben vergessen, mir einen Zweitschlüssel auszuhändigen.« Sie trug eine Tüte mit Brötchen und Gebäck, die sie bei Frau Bärwald in der Bäckerei geholt hatte, in der sie mehrmals pro Woche aushalf. Unter ihrem linken Arm klemmte eine Zeitung und vom rechten baumelte eine Tüte mit Milch, Butter und Kaffeepulver. Danny drückte auf den Türöffner. In Ermangelung einer freien Hand drückte sie die Tür mit dem Rücken auf.

      Als Tatjana aus dem Aufzug stieg, stand Danny schon erwartungsvoll in der geöffneten Tür.

      »Ah, mein Lieblingsbrötchenservice«, erklärte er und nahm Tatjana schnell die Tüte und die Zeitung ab. »Hmm, das riecht ja mal wieder köstlich. Da dürfen Sie sich auf ein schönes Trinkgeld freuen, mein Fräulein.«