Er legte die verletzte Hand auf den Tresen.
»Ach, du meine Güte! Was haben Sie denn angestellt?« Erschrocken starrte sie auf die blutunterlaufene Hand.
Auch Janine stand wie paralysiert etwas abseits. Doch im Gegensatz zu Wendy starrte sie nicht auf die Wunde, sondern auf den fremdländischen Mann, der wie ein Prinz aus einem Märchen aussah. Wie versteinert lauschte sie dem Gespräch zwischen Hasher und ihrer Kollegin und Freundin.
»Ich war nicht vorsichtig und habe mir die Hand eingeklemmt. Ob Daniel wohl kurz Zeit für mich hat?«
Wendy dachte schnell nach.
»Ich sag ihm sofort Bescheid. Und inzwischen kümmere ich mich um Sie. Janine!« Sie drehte sich zu ihrer Kollegin um.
Doch Janine reagierte nicht. Als die erwartete Antwort ausblieb, drehte sich Wendy noch einmal überrascht zu ihr um. Ein Blick genügte, und sie wusste, was mit ihrer Kollegin los war.
»Einen Moment bitte«, bat sie Hasher und trat auf Janine zu. »Hallo!« Wendy zupfte ihre Freundin am Ärmel. Wie aus einem schönen Traum erwacht zuckte Janine zusammen und sah sie verwundert an.
»Ja? Was ist?« Unwillig löste sie den Blick von Hasher.
Wendy lachte und wiederholte ihre Bitte. Dann nahm sie den Prinzen sanft am Arm und führte ihn in ein freies Behandlungszimmer, wo sie die Wunde säuberte und desinfizierte. Sie war gerade damit fertig, als sich Daniel zu ihnen gesellte. Wendy hatte ihm telefonisch die Einzelheiten durchgegeben, so dass er sich sofort um die Verletzung kümmern konnte. Die Assistentin kehrte an ihren Arbeitsplatz zurück, wo sie schon sehnsüchtig erwartet wurde.
»Wer ist dieser Mann?«, fragte Janine atemlos. »Er sieht aus wie ein Prinz aus dem Morgenland.«
Sichtlich amüsiert setzte sich Wendy auf ihren Stuhl.
»Er IST ein Prinz aus dem Morgenland.«
»Du nimmst mich auf den Arm.«
»Nein, ich glaube, dazu wärst du mir dann doch zu schwer.« Da Janine kaum etwas aus der Zeit im Orient wusste, erklärte Wendy kurz das Nötigste. Als sie Prinz Hashers wunderschöne Verlobte Kalila erwähnte, huschte ein Schatten über Janines Gesicht.
»Schade«, seufzte sie und schob zum wiederholten Male den Stapel Patientenkarten ordentlich zusammen, dass sie Kante auf Kante lagen.
»Darf ich dich daran erinnern, dass du auch einen Verlobten hast?«, fragte Wendy belustigt.
»Das weiß ich doch. Aber ein bisschen träumen wird doch wohl noch erlaubt sein, oder?« Janine lächelte verschmitzt, als Stimmen im Flur zu hören waren.
»Da hast du noch mal Glück im Unglück gehabt«, erklärte Dr. Norden, der sich inzwischen um Prinz Hasher gekümmert und die Untersuchung abgeschlossen hatte. »Die menschliche Hand besteht aus 27 Knochen, von denen ein paar sehr leicht brechen können. Glücklicherweise hast du dir nur eine ordentliche Prellung zugezogen. Ein Wunder«, stellte er anerkennend fest.
»Ich bin eben aus hartem Holz geschnitzt«, lächelte Hasher zufrieden.
»Ich weiß«, gab Dr. Norden herzlich zurück. »Das hast du schon einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt«, erinnerte er sich an die schwere chronische Krankheit des Prinzen, die er so viele Jahre mit stoischer Gelassenheit ertragen hatte, bis er durch verschiedene Therapien von seinen Beschwerden befreit worden war. Seither konnte er ein unbeschwertes Leben führen. Wenn er sich nicht gerade die Hand in einem Gitter einklemmte.
»Hatte dein Besuch auf dem Gestüt auch einen positiven Effekt?«, erkundigte sich der Arzt, nachdem er eine schmerzstillende Salbe auf die Wunde aufgetragen und die Hand verbunden hatte.
Interessiert sah Hasher ihm dabei zu und nickte.
»Inzwischen bin ich überzeugt davon, dass Aramis große Schmerzen hat und deshalb so wild ist.«
»Schmerzen?«, hakte Daniel verwundert nach und rollte auf dem Hocker hinüber zum Abfall, um die Verpackung des Verbandsmaterials wegzuwerfen. »Ist das nicht eine ungewöhnliche Reaktion?«
Ob der Unwissenheit seines Freundes lächelte der Prinz.
»Ein Herdentier reagiert anders auf Schmerz als ein Mensch«, erläuterte er in seiner besonnenen, einfühlsamen Art. »Es fühlt nicht nur die körperlichen Beschwerden, sondern hat gleichzeitig Angst. Instinktiv weiß es, dass es mit einer Verletzung ein leichtes Opfer für ein Raubtier sein und nicht mit der Herde fliehen könnte.«
Während Dr. Norden seinen Arbeitsplatz aufräumte, hatte er den Ausführungen seines Freundes interessiert gelauscht.
»Das leuchtet mir ein«, gab er überrascht zu. »Aber das Gestüt hat einen Tierarzt. Ich bin sicher, dass Aramis bereits mehrfach untersucht wurde.«
»Und was, wenn dieser Arzt nur gutes Geld kassiert und nichts dafür leistet?«, stellte Hasher eine provokante Frage. »Mal abgesehen davon, dass er vielleicht auch gar nicht den Mut hat, sich dem Tier zu nähern.«
»Das könnte ich ihm nicht verdenken.« Daniel warf einen vielsagenden Blick auf Hashers Hand.
Doch der Prinz war viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt.
»Danny hat gestern Abend von diesem Tierarzt erzählt …, wie hieß er doch gleich …«
»Josef Rosenknecht.«
»Genau der.« Hasher lächelte zufrieden. »Ich brauche seine Telefonnummer. Das ist der richtige Mann für Aramis«, behauptete er.
»Wieso ausgerechnet er?« Der Arzt verstand die Beweggründe seines Freundes nicht.
»Weil er offenbar nicht viel Aufhebens um seine Person macht und sich stattdessen um seine vierbeinigen Patienten kümmert«, legte der Prinz bereitwillig seine Überzeugung dar, die er aus Dannys Erzählung gewonnen hatte. »Außerdem scheint er weder rechthaberisch noch unbelehrbar zu sein.«
»Da hast du allerdings recht.« Die Argumente des Prinzen waren schlüssig, und Daniel verstand nun, warum Hasher ausgerechnet diesen Tierarzt für sein Vorhaben ausgesucht hatte. »Ich werde mich gleich mit Dr. Rosenknecht in Verbindung setzen und ihn um Hilfe bitten.«
Hasher lächelte fein.
»Nach der Behandlung, die ihm durch deinen Sohn widerfahren ist, wird er sie dir nicht versagen«, prophezeite er.
Prinz Hasher sollte recht behalten.
*
Nachdem Danny Norden seine Patientin begrüßt hatte, betrachtete er sie nachdenklich.
»Waren Sie schon einmal bei mir?«, fragte er interessiert. Er wusste, dass er sie schon einmal irgendwo gesehen hatte, war sich aber ziemlich sicher, dass das nicht in der Praxis gewesen war.
»Normalerweise behandelt mich Ihr Vater«, gab Rebecca bereitwillig Auskunft. Sie war eine hübsche Frau Anfang dreißig mit blasser Haut, dunklem welligem Haar und ungewöhnlichen grauen Augen. »Bei ihm hätte ich aber erst in ein paar Tagen einen Termin bekommen. Da bei Ihnen zufällig ein Patient abgesagt hat, habe ich das freundliche Angebot Ihrer Sprechstundenhilfe angenommen.« Rebecca lächelte offen. »Ich bin so furchtbar neugierig, dass ich nicht länger warten will.«
Danny gefiel die sympathische, freundliche Frau. Und plötzlich erinnerte er sich daran, wo er ihr schon einmal begegnet war.
»Sagen Sie, arbeiten Sie nicht in diesem großen Möbelhaus? In der Schlafzimmerabteilung?«, entfuhr es ihm.
Einen Moment war Rebecca verblüfft.
»Ach, jetzt erkenne ich Sie wieder!«, lachte sie dann auf. »Sie wollten das Wasserbett kaufen, vor dem Ihre Begleiterin Angst hatte.«
»Tut mir wirklich leid. Das hätte eine schöne Provision für Sie abgegeben.«
»Ich bitte Sie, das macht doch nichts«, winkte Rebecca gut gelaunt ab. »Ehrlich gesagt würde ich mir auch ein einfaches Bett aussuchen. Die Vorstellung, dass die Hülle reißen